Besorgen Sie sich ein Leben! In der Fichenkomödie «Moskau Einfach!» verliebt sich ein Beobachter wieder einmal in die Beobachtete. Was hat diese Sehnsucht nach Zuneigung bloss zu bedeuten?

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Schon bald wird aus dem Beamten ein falscher Matrose: Phi­lippe Graber als Viktor Schuler. Still: Vinca Film

Am Ende ist Viktor über seinem Schreibtisch eingeschlafen. Die ganze Nacht hat der Geheimdienstler Fotografien aus dem Zürcher Schauspielhaus entwickelt und im Keller seiner Behörde in den Akten gewühlt. Er hat Fernsehbeiträge gesichtet, Zeitungen durchforstet und schliesslich die Verdächtigen wie in einem Spinnennetz an die Wand gepinnt: Max Frisch, der sein Stück «Jonas und sein Veteran» über die Schweizer Armee zur Aufführung bringt, den Regisseur, einen überzeugten Sozialisten aus der DDR, die Schauspielerin, die Kostümbildnerin, den Portier. «Alles ist miteinander verbunden», sagt Viktor (Philippe Graber) zu seinem Vorgesetzten Marogg (Mike Müller), als dieser ihn am Morgen im Büro aufweckt.

Die Worte des Chefs an der internen Schulung des Geheimdiensts waren eindringlich gewesen. Subversion in Reinform sei diese GSoA-Initiative zur Abschaffung der Armee, ein lehrbuchmässiges Manöver. «Das ist nicht Theater, meine Herren!», warnte Marogg. «Jemand hält Ihnen eine Waffe ins Gesicht, Sie schauen direkt in den Lauf und merken es nicht einmal.» So machte sich der dienstversessene Viktor an die Arbeit, und bald schon wird er auf die geheime Mission geschickt: Er soll als Statist das Schauspielhaus infiltrieren.

Zuerst wehrt der Beamte im Wolljäckchen noch ab, er will lieber rund um die Uhr im Büro Wache schieben. «Besorgen Sie sich einmal ein eigenes Leben», spottet Marogg. So wird aus dem Beamten ein Matrose, mit Wuschelmähne statt Scheitel, mit WOZ-Ausgaben statt Schützenpokalen zu Hause, und die Komödie nimmt ihren Lauf. Bald verliebt sich der falsche Matrose in die Schauspielerin, die er als Geheimdienstler bespitzelt. Odile heisst sie, Tochter eines hohen Militärs ist sie auch noch.

Mit dem Ruderboot ans Meer

In «Moskau Einfach!» arbeitet Regisseur Micha Lewinsky kenntnisreich den Schweizer Überwachungsstaat auf, der bis zum Ende des Kalten Kriegs 1989 rund 900 000 Personen und Organisationen fichierte. Die Feindbilder, die Überwachung, die Berufsverbote, alles wird in eine auch für Nachgeborene verständliche und unterhaltsame Geschichte gepackt. Dass der DDR-Regisseur (Michael Maertens) in seinem Intellektuellenplastiksack nur seine Gage zum Privatbankier schafft, ist eines der vielen schönen Details. Und Philippe Graber sah man ja schon immer gerne zu, wie er mit seinem überfordert-genervten Blick durch die aufgeräumte Schweiz stolpert.

Leider ist der Film aber auch eine typisch schweizerische Aufarbeitung, bei der am Schluss alle wieder einmal konkordant über alle lachen können. Man hat sich auch viel Mühe gegeben bei den Kulissen im Stil der achtziger Jahre, für etwas müssen die vielen Vintageläden im Land ja gut sein. Nur einmal kippt der Film ins Böse, als Odile (Miriam Stein) vor einer Zunftgesellschaft das Soldatenlied über die verehrte Gilberte de Courgenay trällert und die patriotische Rede so übersteigert, dass sie ihre Abgründigkeit offenbart: Am besten würde man diese PazifistInnen doch nicht nur fichieren, sondern gleich in ein Stadion schaffen und dann …

Dann fragt man sich irgendwann, ob einem die Anlage dieses Films nicht doch sehr bekannt vorkommt. Genau, sie ist die gleiche wie in «Die Schweizermacher» (1978), Rolf Lyssys Standardwerk über die Einbürgerungspolitik. Mike Müller erinnert bis aufs Schnauzhaar an Walo Lüönd als Fremdenpolizist, und Philippe Graber wirkt mit seinem leicht trotteligen Charme wie dessen Gehilfe Emil Steinberger. Und schon in jenem Film war doch die Pointe, dass sich der Untergebene in eine Tänzerin verliebt und sich mit ihr aus dem engen Dasein zwischen Büroklammern und Paragrafen in ein befreites Leben davonstiehlt. Im Fichenfilm klettern auch Viktor und Odile in ein Boot auf der Limmat und wollen davonrudern bis ans Mittelmeer.

Ob die Parallelen zu «Die Schweizermacher» Kalkül oder Zufall sind, kann man Lewinsky dann ja in Solothurn fragen, wo «Moskau Einfach!» die Filmtage eröffnet. Bemerkenswert ist jedenfalls, dass die beiden Filme die gleiche Sehnsucht bedienen: die nach Sympathie, Zuneigung, Übereinstimmung zwischen BeobachterInnen und Beobachteten, wie sie in den Liebesaffären ihren Ausdruck findet. Eine Sehnsucht übrigens, die nicht spezifisch schweizerisch ist, sondern bei der deutschen Kinoverarbeitung der Stasivergangenheit bereits im Titel anklingt. Im Thriller «Das Leben der Anderen» (2006) von Florian Henckel von Donnersmarck sympathisiert der Spitzel im Dachgeschoss mit dem oppositionellen Schriftsteller in der Wohnung darunter, bis er sich aktiv in dessen Biografie einzumischen beginnt.

Woher bloss rührt diese Sehnsucht nach Zuneigung? Schliesslich haben sich historisch die Grosszahl der SpionInnen nicht in andere Menschen verliebt, sondern diese verraten. Sicher, so eine Liebesgeschichte samt Verstellung ist ein patentes dramaturgisches Mittel, der DDR-Regisseur inszeniert am Pfauen nicht von ungefähr Shakespeares Verwechslungskomödie «Was ihr wollt». Viel eher bietet sich aber die These an, dass diese Sehnsucht eine Art Kitt der Versöhnung ist. Um die Brüche der Vergangenheit zu überdecken, sie als rund, fertig und abgeschlossen betrachten zu können.

So reiht sich «Moskau Einfach!» perfekt ins Jubiläum der Fichenaffäre vor dreissig Jahren ein, das im Herbst grösstenteils anekdotisch blieb. Kaum ein Zeitungsbericht, der nicht die Szene erzählte, wie während der Untersuchung des Geheimdiensts 1989 die ParlamentarierInnen die Schubladen mit den Fichen öffneten und parteiübergreifend den Fichenskandal konstatierten. Und bei der Thurgauer SP-Nationalrätin stand doch tatsächlich in der Akte: «Trinkt abends gerne ein Bier!» Na dann prost vor dem nostalgischen Kaminfeuer!

Fertig lustig

Der Fichenskandal wird so zunehmend zur historischen Klamotte, zum Nutzen für alle politischen Lager. Die Bürgerlichen müssen sich nicht damit beschäftigen, dass sie jahrzehntelang einen Staat verantworteten, der nicht demokratisch, sondern paranoid war. Und die Linken dürfen sich selbstzufrieden ihrer Wichtigkeit erfreuen und Anträge stellen, um zu sehen, ob sie noch immer fichiert werden, auch wenn der Begriff «Fiche» aus dem vordigitalen Zeitalter stammt. Und alle SchweizerInnen können wieder einmal kollektiv vergessen, dass die Mehrzahl der Überwachten sowieso AusländerInnen waren.

Wobei es durchaus sein Gutes hat, dass der Fichenskandal jetzt als Unterhaltung für die ganze Familie ins Kino kommt. So können wir alle gerührt Viktor zuschauen, wie er am Schluss in den Unterhosen auf die Bühne des Schauspielhauses stolpert und Odile dankt, dass er dank ihr nun um das wahre Leben wisse. Und uns nach dem Happy End vielleicht doch mit der Frage beschäftigen, wie heute die Überwachung funktioniert, welche ideologischen Konzepte die Sicherheitsdispositive strukturieren. Und ob die Instrumente zur demokratischen Kontrolle des Geheimdiensts, die nach dem Fichenskandal erstritten wurden, noch genügen. Schliesslich wollen wir doch nicht enden, wie die Leute in «Moskau Einfach!» einander am liebsten beschimpfen: als politische Amateure.

In: Solothurn, Reithalle, Sa, 25. Januar 2020, 21 Uhr, und Di, 28. Januar 2020, 20.45 Uhr. Ab 13. Februar 2020 im Kino.

Moskau Einfach!. Regie: Micha Lewinsky. Schweiz 2020