Klimafonds-Initiative: «Es geht um das gute Leben für alle»

Nr. 2 –

SP und Grüne legen ihre Initiativprojekte für einen Klimafonds zusammen. Die Parteipräsidenten Cédric Wermuth und Balthasar Glättli sprechen mit der WOZ erstmals über die Ziele und Zielkonflikte des Plans. Und schliessen einen Nichtangriffspakt für den Bundesrat.

«Der Gegner sitzt rechts, und die Zukunft ist links-grün.» Balthasar Glättli und Cédric Wermuth gehen in der Klimapolitik den gleichen Weg.

WOZ: Herr Glättli, Herr Wermuth, die Grünen und die SP wollten nach der Ablehnung des CO2-Gesetzes zwei separate Initiativen für einen Klimafonds lancieren. Es wirkte wie ein Wettrennen um die Vormacht bei diesem Thema. Nun schliessen Sie sich zusammen. Warum die neue Einigkeit?
Balthasar Glättli: Es ist ein gutes Zeichen, wenn zwei Parteien, die sich den Kampf für Klimagerechtigkeit auf die Fahne geschrieben haben, unabhängig voneinander auf ähnliche Lösungsansätze kommen. Aber sich dabei zu konkurrenzieren, ergibt wenig Sinn.

Cédric Wermuth: Ich kann mich da nur anschliessen. Wir haben uns geeinigt, dass es falsch wäre, die Klimafrage parteipolitisch zu stark aufzuladen. Wir wollen die Kräfte bündeln.

Was sind Ihre Lehren aus dem Nein zum CO2-Gesetz vom vergangenen Juni?
Glättli: Man hat vom CO2-Gesetz fälschlicherweise behauptet, es sei Klimaschutz auf dem Buckel der Ärmeren, der Landbevölkerung, der Mietenden. Unser Fazit daraus ist: Klimagerechtigkeit muss mindestens genauso stark als Staatsaufgabe verankert werden wie die öffentliche Bildung, das Gesundheitswesen oder auch der Strassenunterhalt.

Aber wie Sie sagen: Die Vorlage war nicht asozial. Die Nein-Kampagne hat das behauptet, und die Ja-Kampagne hat es nicht geschafft, diese Behauptung zu kontern.
Wermuth: Ja, diese Kritik müssen wir auf uns nehmen. Vielleicht wollten wir in der Euphorie nach den Wahlen 2019 auch zu viel im gleichen Gesetz regeln. Die Botschaft, die bei den Leuten ankam, war jedenfalls fatal: Zuerst kommt meine individuelle Verantwortung, und die Grossen lässt man laufen. Wir haben die Klimapolitik stark mit Katastrophen verbunden und zu wenig betont, dass es um das gute Leben für alle gehen muss. Mit unserer Initiative beziehen wir alle mit ein und stellen eine öffentliche Infrastruktur für den Klimaschutz. Das ist eine Hoffnungsperspektive, ein gesellschaftliches Grossprojekt, quasi die AHV des 21. Jahrhunderts.

Was sind die Kernforderungen der Initiative?
Wermuth: Ganz einfach: Wir wollen einen Klimafonds. Daraus werden vor allem öffentliche Projekte finanziert, aber auch Kredite und Subventionen an Private gesprochen. Dies mit fünf Zielen: Dekarbonisierung von Verkehr, Immobilien und Wirtschaft, Steigerung der Versorgungssicherheit mit erneuerbaren Energien aus der Schweiz, Weiterbildung und Umschulungsmöglichkeiten, die wir brauchen, um alle mitzunehmen. Viertens die Förderung negativer Emissionen und fünftens die Stärkung der Biodiversität.

Im provisorischen Text heisst es, dass der Fonds mit 0,5 bis 1 Prozent des Bruttoinlandprodukts gespeist werden soll. Das sind etwa 3,5 bis 7 Milliarden Franken im Jahr. Woher soll das Geld kommen?
Wermuth: Es ist völlig gerechtfertigt, einen Grossteil davon über Schulden zu finanzieren: Investitionen in die Infrastruktur lohnen sich immer. Dass sich die öffentliche Hand dafür verschuldet, ist ökonomisch richtig. Und die Ausgaben sollen auch von jenen refinanziert werden, die jahrelang profitiert haben.

Die Reichen sollen mehr Steuern bezahlen?
Glättli: Die mit den grösseren Schultern sollten auch mehr tragen. Das ist ein linkes Prinzip, dazu stehen wir.

Gehen wir in die Details. Der Bund soll laut der Initiative die Stärkung der Biodiversität unterstützen, um die Folgen der Klimaerwärmung zu bekämpfen. Wie?
Glättli: Wir haben mehr extreme Hitze, mehr extreme Niederschläge – die Stärkung der Biodiversität und die Bewältigung dieser Klimafolgen gehen Hand in Hand. Wir wollen die Städte nicht mit Maschinen kühlen, sondern mit mehr Bäumen, mit Pocket-Parks, mit blühenden Fassaden. Gegen Überschwemmungen braucht es dringend Entsiegelung und grüne Dächer.

Die Initiative will aber auch den Ausbau der erneuerbaren Energien fördern. Insbesondere neue Staudämme bedrohen die Biodiversität. Da gibt es einen Zielkonflikt, der sich in Zukunft wohl noch zuspitzt.
Glättli: Ja, es gibt Zielkonflikte. Aber aus Sicht der Grünen ist auch nicht alles schwarzweiss. Es gibt vertretbare Wasserkraftprojekte wie den Triftstausee im Kanton Bern. Und es gibt andere, die nicht vertretbar sind. Ganz zentral ist, dass wir nicht nur beim Zubau, sondern auch bei der Energieeffizienz ansetzen – und bei der Suffizienz: kein massloser Stromverbrauch! Ich bin überzeugt, dass wir mit einer Solaroffensive sehr viele Probleme lösen können, ohne in Zielkonflikte mit dem Biodiversitätsschutz zu geraten. Die Grünen haben es im Kanton Bern mit der Solarinitiative vorgemacht: Auf jedes geeignete Dach gehört eine Solaranlage.

Warum haben Sie denn nicht festgeschrieben, dass Solaranlagen im Siedlungsgebiet Priorität vor neuen Stauseen haben sollen?
Wermuth: Wir haben bewusst auf Details verzichtet, weil es ja um eine Verfassungsgrundlage geht.

Glättli: Dass wir die Priorität bei Solarkraft im Siedlungsraum sehen, ist angesichts unserer parlamentarischen Vorstösse klar.

Wermuth: Unsere Initiative korrigiert einen Fehler, den man mit der Energiestrategie 2050 gemacht hat. Da hat man ja quasi gesagt, wir regeln die Hälfte des AKW-Ersatzes, und die andere Hälfte regelt der Markt. Das hat nicht funktioniert.

Zum Thema «Negativemissionen und Kohlenstoffsenken»: Sie betonen, dass natürliche Senken Priorität haben sollen. Das sind in der Schweiz vor allem Wald und Boden. Beide sind unzuverlässig: Kohlenstoff im Boden geht je nach Bewirtschaftung schnell wieder in die Luft, und der Wald kann nach Dürren und Stürmen sogar zur CO2-Quelle werden.
Glättli: Wir sehen gerade im Bereich Landwirtschaft Potenzial. Heute spricht man von ihr im Kontext des Klimas fast nur als Problem. Sie ist aber Teil der Lösung: wenn die Böden so bewirtschaftet werden, dass sie langfristig Kohlenstoff binden. Wir versuchen da auch, eine Brücke zu den Bauern zu schlagen, zwischen Stadt und Land. Ich sehe aber auch andere Speicher, gerade im Gebäudebereich: Mit Holzbauten lässt sich CO2 über Jahrzehnte binden.

Sie können sich als Parteipräsident mit dem Thema Klima profilieren, es wäre aber nie so stark auf der Agenda ohne Klimabewegung. Haben Sie die Initiative mit ihr abgesprochen?
Glättli: Nein. Aber unsere Grundbotschaft steht auch im Klimaplan des Klimastreiks: dass es eine öffentliche Aufgabe ist, die ökologische Transformation rasch und sozial gerecht voranzutreiben.

Wermuth: Neu ist, dass wir einen Vorschlag zur Debatte stellen, der Klimabewegung, Gewerkschaften und Parteien an einen Tisch bringen kann. Er verbindet die Dringlichkeit des Klimaschutzes mit Industrie- und Wirtschaftspolitik.

Also ein Green New Deal für die Schweiz.
Glättli: Genau. Das war bei uns auch der Arbeitstitel.

Wermuth: Wir haben die Vorlage bei uns Red New Deal genannt.

Damit sind wir beim Verhältnis von Rot und Grün. Sie markieren jetzt Einigkeit beim Klimathema. Aber seit die Grünen nicht mehr der Juniorpartner sind, wirkt das Verhältnis angespannt.
Wermuth: Ich bin als älteres von zwei Geschwistern geboren und bin es gewohnt, dass die Jüngeren mit der Zeit auch älter und schwieriger werden. Nein, im Ernst: Dass wir als SP bei den Wahlen 2019 verloren haben, tat weh. Doch die Linke insgesamt verfügt über eine historische Stärke. Dank des Frauenstreiks und der Klimabewegung haben wir eine Dynamik gewonnen, wie ich sie in meiner aktiven politischen Zeit noch nie erlebt habe. Umso wichtiger ist es zu verhindern, dass wir uns mit den Grünen um 0,5 Prozent Wähleranteil streiten und die Rechten ihre Hegemonie wiederherstellen können.

Herr Glättli, aus der SP hört man häufig die Kritik: Wir machen die Arbeit, die Grünen gewinnen die Wahlen.
Glättli: Das weise ich in aller Form zurück. Ich kann das, auf die Vergangenheit bezogen, ein wenig nachvollziehen, als wir in Bern ein Zwölfergrüppchen waren. Heute haben wir viele kompetente Leute, die sich in alle Dossiers reinknien. Ich sehe es aber wie Cédric: Der Gegner sitzt rechts, und die Zukunft ist links-grün.

Trotzdem: Wo liegen die grössten Differenzen zwischen Ihren Parteien?
Glättli: Die Sozialdemokratie hat eine stolze Geschichte, die ein paar Jahrzehnte älter ist als unsere. Wir sind aus der Wichtigkeit einer neuen Frage gewachsen, der ökologischen. Die Grünen haben ein anderes Verhältnis zum materiellen Wohlstand. Wir sind die Ersten, die die Wegwerfgesellschaft kritisiert haben, die mit Werbung künstliche Bedürfnisse schafft.

Wermuth: Die Last der Geschichte gibt uns auch eine Verankerung, etwa bei den grossen Massenorganisationen wie den Gewerkschaften. Die Stärke unserer Partei bleiben die materiellen, sozialen Fragen zu den Löhnen und Renten. Wir kämpfen für die Freiheit, ohne Existenzängste von der AHV leben zu können. Aber auch für die Freiheit, dass unsere Kinder auf einem intakten Planeten aufwachsen. Was ich interessant finde, auch im Vergleich mit Deutschland oder Frankreich: Zwischen SP und Grünen gibt es hier viele Überschneidungen, sodass wir ein interessantes Programm hinkriegen, ohne uns überall einig zu sein.

Glättli: Das hat auch damit zu tun, dass sich bei uns Grüne und Grünliberale ausdifferenziert haben.

Sie haben eine progressive Dynamik im Land festgestellt, für die nächsten Wahlen sieht es gemäss einer aktuellen Umfrage aber nicht gut aus: Die SP verliert 0,4 Prozent, die Grüne Partei 1,5 Prozent.
Wermuth: Die einzigen Umfragen, die mich interessieren, sind Wahlen. Und über alle kantonalen Wahlen hinweg ist Rot-Grün positiv oder mindestens stabil. Im Aargau, wo ich herkomme, ist die SVP massiv eingebrochen.

Glättli: Ich bin fast froh um diese Umfrage, weil sie ein Weckruf ist. Der Erfolg ist keine Selbstverständlichkeit, alle unsere Mitglieder müssen dafür kämpfen. Das zeigt sich auch bei den Abstimmungen: Wenn Links-Grün gemeinsam mobilisiert, zeigt die Schweiz ein neues Gesicht.

Wermuth: Denken wir an die Konzernverantwortungsinitiative oder den Vaterschaftsurlaub. Jetzt folgen das Mediengesetz und die Stempelsteuer, dann die Altersvorsorge. Es wird zu einer Polarisierung in der Auseinandersetzung kommen. Ich gehe davon aus, dass bis Ende Jahr klarer ist, wer die Interessen der Mehrheit im Land vertritt.

Schon jetzt ist absehbar, dass die Wahlen 2023 auch die Zauberformel im Bundesrat verändern könnten. Wenn es nicht für drei links-grüne Sitze reicht – werden Sie einen SP-Sitz angreifen, Herr Glättli?
Glättli: Ich persönlich sowieso nicht. Und wir Grünen als Partei haben das Ziel, die völlig unangemessene absolute Mehrheit von SVP und FDP zu brechen. Das passiert nicht, wenn wir der SP einen Sitz wegnehmen. Wir wollen den Bundesratssitz ja nicht, um uns darauf auszuruhen. Sondern um Bewegung in den Bundesrat zu bringen.

Wermuth: Diese Diskussion wird vor allem von den Bürgerlichen forciert. Sie möchten Zwietracht zwischen uns säen. Und sie wollen an die Schlüsseldepartemente heran: das Uvek als Klimadepartement und das EDI als Sozialdepartement. Damit könnten sie die Klimapolitik beerdigen und in der Gesundheitspolitik statt auf öffentliche Lösungen weiter auf Privatisierungen setzen. Beides wäre brandgefährlich.

Der Zürcher Balthasar Glättli (49) leitet seit 2020 die Grünen. Der Aargauer Cédric Wermuth (35) übernahm fast zeitgleich das Kopräsidium der SP mit Mattea Meyer, die derzeit im Mutterschaftsurlaub ist.