Buchpreisbindung: Mehr Markt für das Buch?
Nicht das Ob ist die Frage, sondern das Wie.
Nun hat die Schweizer Wettbewerbskommission (Weko) erneut entschieden: Die «erhebliche Wettbewerbsbeschränkung», die sie in der Buchpreisbindung ausmacht, sei nicht gerechtfertigt. Diese führe nicht zu einer «Erhöhung der Sortimentsbreite und -tiefe», es lasse sich durch sie keine grössere «Produktevielfalt», keine «Verbesserung des Vertriebs durch die Verkaufsstellendichte» und auch keine «bessere Beratung» nachweisen.
Das war happig. Die Angesprochenen reagierten prompt: Quer durch alle Medien bescheinigten sich BuchhändlerInnen, VerlegerInnen und Interessenverbände, dass an der Buchpreisbindung festzuhalten sei. Die Branche ist sich - von den KleinverlegerInnen bis zu den riesigen Verlagshäusern, von den Platzhirschen im Buchhandel bis zur Kleinstbuchhandlung von nebenan - für einmal einig.
Die Wettbewerbskommission findet sich mit ihrer Ansicht hingegen allein auf weiter Flur. Sie sieht im «Schutz des Wettbewerbs» die «wichtigste ordnungspolitische Aufgabe in einer Marktwirtschaft», hat sich die «Bekämpfung von Kartellen», die «Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen» und die «Verhinderung staatlicher Wettbewerbsbeschränkungen» auf die Fahnen geschrieben. Sie will nun mehr Markt für das Buch, für den Buchhandel, für die VerlegerInnen.
Missbrauch? Kartell? Mehr Markt? Die Branche scheint mit dem Markt für ihr Produkt vielleicht nicht ganz glücklich - eine goldene Nase verdient sich hier niemand -, aber doch zufrieden: Grossbuchhandlungen finanzieren sich durch die Mischung aus Ratgebern und Bildbänden, Bestsellern und Kinderbüchern; eine Fachbuchhandlung durch ihr ausgewähltes Sortiment und die kleine Buchhandlung vielleicht über das Mischangebot aus Wein und Buch sowie ihre treue Kundschaft. Den grossen Verlagen steht es frei, den Preis für ein Buch durch Sonderausgaben und Taschenbuchdrucke erheblich zu senken, die engagierten KleinverlegerInnen letztlich leben allein von der Querfinanzierung, ein Krimibestseller erlaubt etwa, einen Gedichtband zu publizieren.
So gesehen ist das Votum der Weko absurd: Wo alle interessierten HändlerInnen in der Preisabsprache einen Vorteil sehen, ist es absurd, die Preisbindung zugunsten der Liberalisierung des Buchmarkts zu kippen. Vor allem deshalb, weil diese Liberalisierung nur auf eine Bevorzugung der Unternehmen hinausliefe, die derzeit ohnehin den Markt übernehmen - die Rede ist von den Online-BuchhändlerInnen, allen voran Amazon. Diese können Bücher durch Re-Importe billiger anbieten als jede Schweizer Buchhandlung (indem sie schlicht in Euro statt in Schweizer Franken abrechnen), obendrein versuchen sie, den Verlagen ihre Bedingungen zu diktieren. Erst im Herbst protestierte deshalb der Diogenes-Verlag: Nicht länger wollte man Amazon eine höhere Marge als die sonst üblichen fünfzig Prozent einräumen, nicht länger für Suchmaschinenbevorzugung und «gewisse Nennungen» bezahlen, eine Leistung, die - so Geschäftsleiter Stefan Fritsch im WOZ-Interview vom September 2004 - «der traditionelle Buchhandel tagtäglich leistet». Ginge es also um den «Schutz des Wettbewerbs», täte die Weko gut daran, diese Prozesse zu beobachten. Sie fände sicherlich die Unterstützung der Verlagshäuser und der Buchhandlungen.
2001 veröffentlichte das Bundesamt für Kultur eine Studie, die die Ware Buch überhaupt erst wirtschaftsstatistisch erfasste und für eine Preisbindung plädierte. Vier Jahre später votiert die Weko (ohne eine zweite Vergleichsstudie) erneut für die Liberalisierung des Buchmarkts. Soll man die einheimische Buchkultur restlos den grossen Fischen auf dem Markt überlassen und die mit extrem geringer staatlicher Unterstützung auskommenden knapp 6000 Stellen im Verlags- und Buchwesen samt ihrem Umsatz von rund zwei Milliarden Schweizer Franken einem «Erdbeben» (Ricco Bilger, Zürcher Buchhändler und Verleger) oder einem «Versuch am lebenden Objekt» («Tages-Anzeiger» vom 31. 3.) aussetzen?
Das ist Quatsch, selbst für bürgerliche oder rechte Parteien: Denn gerade im Buchhandel funktioniert - im Gegensatz zu allen anderen Kultursparten - eine vorsichtig über den Buchpreis gelenkte Marktwirtschaft. Deshalb muss die Schweiz betreffs Buch so wenig eine Hochpreisinsel bleiben wie in anderen Marktsegmenten: Die Angleichung an europäische Buchpreise könnte man auch ohne Fall der Buchpreisbindung realisieren und würde dadurch auch wieder allen gleiche Chancen einräumen. Und auch die Buchpreisbindung könnte kontrolliert gelockert werden: Selbst Kleinverlage und Minibuchhandlungen würden bei bestimmten Anlässen, zum Beispiel im Rahmen von Poesiewochen, AutorInnenlesungen oder sonstigen literarischen Ereignissen, gerne Preisnachlässe gewähren. Die Frage ist also nicht das Ob, sondern das Wie. Liberalisierung und freier Marktzugang allein sind wohlfeile Stichwörter.