Schweizer Verlage: «Durch Vielfalt entsteht Gutes»
Buchhandelsexperte Dani Landolf glaubt an ein Revival des Buchs und erklärt, wie Verlage ganz ohne Filz gefördert werden können.
WOZ: Dani Landolf, an der Buchmesse in Frankfurt präsentieren sich jedes Jahr die Verlage für viel Geld an Ständen, es gibt Apéros und Veranstaltungen. Kritische Stimmen ärgern sich über dieses Schaulaufen einer Branche, der es im Grunde gar nicht gut gehe. Wie steht es denn um die Buchbranche in der Schweiz?
Dani Landolf: Das kommt immer auf die Perspektive an. Aktuell geht es ihr besser als auch schon. Die grosse Krise war 2015 nach dem Franken-Euro-Schock. Da machten jene Verlage, die nach Deutschland exportieren – also vor allem die grösseren – von einem Tag auf den anderen 20 bis 25 Prozent weniger Umsatz. Wenn man aber einen grösseren Zeitraum anschaut, muss man sagen: Ja, in den letzten zehn Jahren sind die Auflagen der Schweizer Verlage zum Teil zurückgegangen, es war eine schwierige Zeit. Aber ich mag nicht zu sehr klagen.
Warum nicht?
Wenn man es differenzierter anschaut, sieht man, dass es auch Schweizer Verlage gibt, denen es wieder besser geht. Natürlich: Grundsätzlich verdienen in dieser Branche fast alle recht wenig Geld. Doch das war früher meist auch nicht anders. Und wenn man das Buch mit andern Kulturgütern wie Film oder Musik oder auch der Zeitungsbranche vergleicht, dann stehen wir nach zehn Jahren Digitalisierung, Strukturwandel, Amazon und E-Book doch recht gut da: Es gibt noch Verlage – auch richtig gute, und es werden immer wieder neue, spannende gegründet. Wir haben in der Schweiz eine vitale Szene. Die Situation scheint mir im Ganzen also nicht so schlecht, wie sie zum Teil dargestellt wird.
Eine aktuelle Studie des Deutschen Börsenvereins zeichnet allerdings kein rosiges Bild: Laut der Studie hat der deutsche Buchmarkt zwischen 2013 und 2017 6,4 Millionen Käuferinnen und Käufer verloren.
Die Studie hat für viel Resonanz gesorgt. Die Gründe für den Verlust sieht sie darin, dass die Leute sich immer mehr auf Social Media sowie auf Streamingplattformen bewegen. Der Druck, ständig online sein zu müssen, führt wohl auch dazu, dass viele Leute nicht mehr die Zeit haben, Bücher zu lesen. Andererseits glaube ich, dass das Buch als eine Art Gegenbewegung dazu wieder an Wert gewinnen wird. Weil man sich in seine eigene Welt zurückziehen kann und eben nicht am Bildschirm sitzen muss und ständig abgelenkt wird.
Wie viele Verlage gibt es in der Deutschschweiz?
Im Schweizer Buchhändler- und Verlegerverband haben wir gut 200 Verlage, total sind es wohl etwa 250. Und anders als bei den Buchhandlungen, von denen in den letzten zehn Jahren fast hundert Betriebe eingegangen sind, hatten wir im gleichen Zeitraum bei den Verlagen keine entsprechende Entwicklung.
Gibt es zu viele Verlage?
Nein. Es gibt ja auch die Klage, dass es zu viele Bücher gebe … Ich teile diese Auffassung nicht. Ausserdem: Wer will denn sagen, welche Verlage zu viel sind? Solange die Verlage ein Publikum finden oder eine Nische abdecken und ihr Überleben sichern können, sollen sie ihre Arbeit machen. So wie auch Bücher schreiben soll, wer will. Es braucht Vielfalt, damit qualitativ Gutes entsteht.
Seit 2016 fördert der Bund Verlage. Sie selber waren bei der Ausarbeitung des Fördermodells dabei. Wie funktioniert es?
Wir haben gemeinsam mit anderen aus der Branche ein Modell erarbeitet, auf das ich stolz bin. In Österreich werden unabhängige Verlage bereits seit Jahrzehnten gefördert. Dort gibt es, etwas zugespitzt formuliert, ein Gremium aus den immer gleichen Leuten, darunter auch Verleger, die jedes Jahr an die ungefähr gleichen zwanzig österreichischen Verlage Geld verteilen. Wir wollten von diesem paternalistischen System wegkommen und haben uns deshalb an der Schweizer Filmförderung orientiert.
Die erfolgsabhängige Filmförderung Succès Cinéma belohnt die Filmproduktionen rückwirkend für Erfolg an den Kinokassen und Teilnahmen an Festivals.
An der Basis steht der Nachweis der Professionalität: Nur ein Verlag mit professionellen Strukturen, also beispielsweise Lektorat und Vertrieb, bekommt diese Förderung. Die Höhe orientiert sich dann am Umsatz eines Verlags: Je höher der Umsatz, desto höher die Förderung, denn die Gelder sollten in einem Verhältnis zu der Grösse der Verlage stehen. Es ist eine strukturelle Hilfe über fünf Jahre mit jährlichen Beträgen zwischen 7000 und maximal 80 000 Franken. Es wird also die unternehmerische Leistung des Verlags gefördert und nicht einfach ein vermeintlich gutes Produkt oder ein klingender Brand. Diese Förderung ist effizient, nachvollziehbar und planbar.
Ist das denn noch Kulturförderung? Das klingt eher nach Wirtschaftsförderung.
Zweifellos – und ich finde das in Ergänzung zur Förderung qualitativ hochstehender Autorinnen, neuer interessanter Stimmen, einzelner editorischer Leistungen oder zu Prämien und Preisen absolut notwendig. Moderne Kulturförderung muss auch Wirtschaftsförderung sein, die sich an professionellen Strukturen der Kulturproduktion orientiert. Der besten Autorin nützen Werkstipendien und Druckbeiträge nichts, wenn ihr so finanziertes Buch wegen fehlenden professionellen Vertriebs nicht in den Handel kommt.
Wurde der Schweizer Buchpreis vor allem unter diesem Aspekt konzipiert?
Anders als der Buchpreis des Bundesamts für Kultur setzt unser Preis stark auf die Öffentlichkeit: Das Ziel ist es, guten Büchern zu mehr Publizität zu verhelfen. Dies nützt nicht nur der Autorin oder dem Autor, sondern auch dem Buchhandel und den Verlagen.
Gibt es neben dem Schock von 2015, dem Schwund der Leserinnen und Leser sowie dem Rückgang der Auflagen noch weitere Probleme, mit denen die Verlage zu kämpfen haben?
Die Sichtbarkeit im Buchhandel. Eine Zeit lang herrschte ein Konformitätsdruck – es wurde nur noch ausgestellt, was man vermeintlich gut verkaufen konnte. Die kleinen Verlage klagten, dass die Buchhandlungen mutlos seien und nur einzelne Exemplare bestellten oder dass ihre Bücher gar nicht in die grossen Buchhandelsketten kämen. Es dünkt mich jedoch, dass sich das wieder ändert. Aber ein Problem der ganzen Branche ist es, dass Bücher eigentlich zu billig sind. Interessanterweise führte in Deutschland die Preisbindung dazu, dass die Bücher billiger wurden.
Warum?
Ein Problem neben der «Geiz ist geil»-Mentalität ist, dass die einheitlichen Preise in ganz Deutschland funktionieren müssen. Also orientiert man sich an einkommensschwachen Regionen. Auch deshalb sind Bücher in den letzten zwanzig Jahren tendenziell günstiger geworden.
Und in der Schweiz, wo 2007 die Buchpreisbindung fiel?
Der freie Markt führt in der Schweiz einerseits zu Preiskämpfen im Netz bei Bestsellertiteln, anderseits aber auch dazu, dass Bücher in den Buchhandlungen tendenziell wieder zu einem Preis angeboten werden, von dem Autoren, Übersetzerinnen, Buchhändler und die Verlage einigermassen leben können. Bücher sind gemessen an der Arbeit, die darin steckt, zu billig. Wir müssen schauen, dass das Buch wieder den Wert bekommt, den es verdient.
Dani Landolf (50) ist seit 2007 Geschäftsführer des Schweizer Buchhändler- und Verlegerverbandes. Dieser setzt sich für gute kultur- und wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen für den Schweizer Buchhandel ein.