Buchpreisbindung: Es geht auch um die kulturelle Vielfalt

Nr. 6 –

Rund siebzig Buchhandlungen mussten allein in der Deutschschweiz schliessen, seit 2007 die festen Ladenpreise für Bücher aufgehoben wurden. Am 11. März befindet die Stimmbevölkerung nun über die Wiedereinführung der Buchpreisbindung. Die WOZ besuchte drei Buchhandlungen in Appenzell, Bern und Solothurn.

Ganze Regionen und Städte ohne eine einzige Buchhandlung: Das Beispiel Britannien zeigt, was uns nach einem Nein zur Buchpreisbindung am 11. März innert weniger Jahre blühen könnte.

In Britannien ist der Buchmarkt seit 1995 vollständig dereguliert. Allein in den letzten sechs Jahren ist fast die Hälfte von 4000 Buchhandlungen verschwunden. Rund 600 grosse Gemeinden und Städte stehen heute ohne Buchhandlung da. Alleinige Profiteure der freien Bücherpreise sind Discounter, die mit Unmengen billig eingekaufter Bestseller und immensen Rabatten die Kundschaft in ihre Läden lenken.

In den meisten europäischen Ländern gilt heute ein gesetzliches Fixpreissystem. In der Schweiz wurden die Bücherpreise über hundert Jahre von der Branche selbst festgelegt. Nachdem die Wettbewerbskommission diese Absprache 1999 für unzulässig erklärte, hob der Bundesrat im Jahr 2007 diese Preisbindung auf.

Im Mai 2004 reichte der Genfer CVP-Nationalrat Jean-Philippe Maitre eine parlamentarische Initiative ein, die verlangte, möglichst rasch die gesetzlichen Grundlagen für eine Buchpreisbindung in der ganzen Schweiz zu schaffen. Maitre reagierte damit auf die Folgen durch die Aufhebung der Preisbindung 1993 in der Romandie, wo zwischen 2001 und 2004 fast fünfzig Buchhandlungen schliessen mussten. Im Februar 2011 verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das landesweit feste Buchpreise vorschreibt. Für alle Verkaufsstellen wären demnach die von den Verlagen definierten Preise verbindlich. Dagegen haben die Jungparteien von SVP und FDP sowie die Migros-Tochter Ex Libris das Referendum ergriffen (vgl. «Dagegen: SVP, FDP, Ex Libris» auf weiter unten).

In der Deutschschweiz verschwinden seit der Aufhebung der Preisbindung im Jahr 2007 zehn bis fünfzehn Buchhandlungen pro Jahr, zuletzt Strub in Chur, der Travel Book Shop in Zürich, der Buechlade in Cham und die Buchhandlung Goldenes Kalb in Aarau. Vierzig Prozent des Schweizer Buchhandels werden heute noch von unabhängigen Buchhandlungen abgedeckt; bereits sechzig Prozent sind in der Hand der Ketten Orell Füssli, Thalia und Ex Libris.

Kulturelle Tankstelle: Bücherladen, Appenzell

Januar 2012, mitten in Appenzell. Hier, in einem alten Appenzellerhaus, führt Carol Forster die einzige Buchhandlung im Kanton Innerrhoden: den «Bücherladen Appenzell», der dieses Jahr sein zwanzigjähriges Bestehen feiert. Der «Bücherladen», 2010 von der Schweizer Buchbranche zur «Buchhandlung des Jahres» gekürt, ist ein Beispiel dafür, was eine unabhängige Buchhandlung abseits der Zentren leisten kann. Hier holt sich der Landwirt den «Bauernkalender», die Gymnasiastin den neuen Roman von Jakob Arjouni, der Gerichtsschreiber seine Fachliteratur. Da sind aber auch die Ausflüglerin, die sich ein Buch über den Künstler Roman Signer ersteht, der Ferienhausbesitzer aus Zürich, der sich mit Krimis eindeckt, die Touristin, die einen Bildband zum Alpstein kauft.

Und dann entdeckt man im «Bücherladen» auch Gedichtbände oder philosophische Schriften, die man andernorts nur selten findet. Eine Auswahl der Reihe «Die andere Bibliothek» ist ebenso prominent platziert wie der neue Krimi von Donna Leon. «Wirtschaftlich gesehen laufen Lyrik- und Kunstbücher nicht sehr gut – aber genau solche Bücher geben dem Laden sein Gesicht», sagt Forster.

In den siebziger Jahren, als Forster in Appenzell das Gymnasium besuchte, gab es keine einzige Buchhandlung im Kanton, und so musste die vielseitig Interessierte regelmässig mit der Bahn nach St. Gallen fahren. Dort absolvierte sie Anfang der achtziger Jahre eine Lehre in der Buchhandlung Rösslitor. Danach arbeitete sie für einige Jahre, unterbrochen durch Reisen, in verschiedenen Abteilungen der Buchhandlung, die inzwischen von Orell Füssli übernommen worden ist. In den späteren Achtzigern, nach einem Abstecher in die legendäre Buchhandlung Al Puntel in Ascona, arbeitete sie im Kollektiv der St. Galler Buchhandlung Comedia.

Dass Forster 1992 der Stadt, in der sie Teil einer erwachenden alternativen Bewegung war, den Rücken kehrte, hatte vor allem einen Grund: Sie hatte 1991 einen Sohn geboren und wollte dem Kind zuliebe wieder aufs Land. «Im Schwangerschaftsurlaub hatte ich Zeit zum Nachdenken. Und immer wieder wurde ich darin bestärkt, in Appenzell eine Buchhandlung zu eröffnen. Pater Ephrem Bucher, der damalige Rektor des ‹Kollegi›, dem ich über den Weg lief, gab mir auf der Hundwiler Höhe per Handschlag das Versprechen, alle Bücher fürs Gymnasium über meinen Laden zu bestellen. Die Appenzeller Kulturvermittlerin Agathe Nisple stand von Anfang an unterstützend zur Seite. Und Roman Signer meinte: ‹Ein Bücherladen in Appenzell – wunderbar!›»

Den ersten Laden richtete sie im Untergeschoss des Restaurants Rössli ein. Dank Darlehen von FreundInnen konnte sie ein erstes Sortiment zusammenstellen. «Stillen, Kunden betreuen, Windeln wechseln, Vertreter empfangen … Zuerst ging es vor allem darum herauszufinden, wie ich die Aufgaben als alleinerziehende Mutter und selbstständige Unternehmerin unter einen Hut bringen konnte.»

Schnell zeigte sich, dass in Appenzell und Umgebung ein grosses Bedürfnis nach einer Buchhandlung besteht, sodass Forster bald Aushilfen beschäftigte. Nach drei Jahren stieg Leonie Schwendimann in den Betrieb ein. Seit 1996 befindet sich der Laden im alten Haus an der Poststrasse, in dem schon die Künstlerin und Frauenrechtlerin Theresa Rohner arbeitete. Als emanzipatorischer Betrieb im katholisch-konservativen Kanton führt der «Bücherladen» die von fortschrittlichen Frauen geprägte Geschichte fort.

Seit 2003, nach Schwendimanns Ausstieg, arbeiten drei Frauen im Laden: Forster und Caroline Habazin in je einer Achtzig-Prozent-Stelle und bis 2011 Edith Sklortz als regelmässige Aushilfe. 2012, nachdem der Umsatz erstmals zurückgegangen war, wurde eine weitere Fachfrau, Melina Koch, engagiert. Der «antizyklische» Entscheid ist typisch für Forster, für die «sich bislang noch jedes Risiko gelohnt hat». Immer wieder lässt sie sich neue Ideen einfallen: «Einschliessen & geniessen», das Angebot, sich für einen Abend im Bücherladen einschliessen zu lassen, um ungestört schmökern zu können, führte schon 2009 zu einem fünfstelligen Mehrumsatz. 2010 wurden die «Bücherfreundinnen und Bücherfreunde» ins Leben gerufen, die Innovationen wie die Erstellung einer Website finanziell unterstützen.

2007, nachdem die Preisbindung aufgehoben wurde, begann das Zittern beim letzten «Harry Potter»-Band: «Band sieben kostete bei uns weiterhin 44.50 Franken; Weltbild bot ihn neu für 28.50 an. Ich habe mich darauf vorbereitet, indem ich noch vorsichtiger einkaufte. Letztlich haben wir dann aber doch gleich viele – rund fünfzig – Potter-Bücher verkauft wie in den Jahren zuvor.»

Dafür, wie grosse Ketten seit 2007 mit den Preisen hantieren, hat Forster ein Beispiel: «Orell Füssli hebt den Preis für einen bestimmten Titel zunächst an, um ihn dann in einem zweiten Schritt durchzustreichen und den neuen Preis als Zwanzigprozentrabatt zu verkaufen.»

Forster ist sich bewusst: «Wir sind in einer privilegierten Lage, da wir auf dem Platz Appenzell keine Konkurrenz haben. Und noch etwas ist vorteilhaft: Appenzeller sind spezialitätenorientiert; sie unterstützen das lokale Schaffen.» Für die Preisbindung engagiert sich Forster, «weil sonst die Bücher von noch zu entdeckenden Autoren zunehmend in der Flut der Bestseller verschwinden und dereinst alle Läden mehr oder weniger gleich aussehen. Dann bräuchte es bald auch kein qualifiziertes Personal mehr.»

Drehscheibe: Münstergass-Buchhandlung, Bern

Auch Ulrich Riklin engagiert sich für die Preisbindung – obschon die von ihm gegründete Münstergass-Buchhandlung in Bern eine Sach- und Fachbuchhandlung ist, die viele fremdsprachige Titel beschafft, die nicht der Preisbindung unterliegen würden.

«Bis 2007 führte der fixe Buchpreis in der Schweiz über hundert Jahre lang zu einer grossen Buchvielfalt, moderaten Buchpreisen und einem feinmaschigen Buchvertriebsnetz.» Mit der Wiedereinführung, so Riklin, würden die undurchschaubaren Preismanipulationen entfallen – der Buchhandel könnte sich «wieder auf sein Kerngeschäft konzentrieren: ein ausgesuchtes Sortiment präsentieren, kompetent beraten und dem Kulturgut Buch seinen Wert einräumen.» Die Behauptung der GegnerInnen, ohne festen Buchpreis würden die meisten Bücher billiger, sei schlicht falsch: «Statistiken des Bundesamts für Kultur zeigen, dass seit dem Jahr 2007 nur wenige Titel günstiger wurden, die überwiegende Zahl jedoch massiv teurer.» Dass die Preise seit Sommer 2011 um bis zu 25 Prozent gesunken sind, ist währungsbedingt: Der Grund liegt in der Euroschwäche.

Auch Riklin hat ein aktuelles Beispiel, wie kleinere Verlage unter der Preispolitik der grossen Ketten leiden: «Pierre Souvestres und Marcel Allains Roman ‹Fantomas› aus der Edition Epoca ist bei uns für 29 Franken zu haben, kostet in Thalia-Filialen aber 37.90 Franken. Das heisst: Die kleine und feine Edition Epoca aus Bern hilft, die tiefpreisigen Thalia-Bestseller mitzufinanzieren.»

Die Münstergass-Buchhandlung, die heute dreizehn MitarbeiterInnen und zwei Lehrlinge beschäftigt und einen Jahresumsatz von gegen zwei Millionen Franken erwirtschaftet, feiert dieses Jahr ihr vierzigjähriges Bestehen: «Wir sind 1972 aufgebrochen mit der Idee, ohne Chef und Fremdbestimmung das zu tun, was wir als wichtig erachten: Wissen zu verbreiten», notierte Riklin 2002 anlässlich des Dreissigjahrjubiläums.

Von Zürich nach Bern zog es den damals zwanzigjährigen Jungbuchhändler, weil es in der Bundesstadt in den frühen siebziger Jahren eine interessante Verlags- und Kulturszene gab. Das geistige Klima war aber auch geprägt von «Nonkonformisten» und vielen 68er-bewegten StudentInnen – ein ideales Umfeld für einen Laden, der sich von Anfang an als Wissensdrehscheibe verstand.

«Buchhandlung für Soziologie» hiess der Laden an der Münstergasse 41 zunächst (1985 folgte der Umzug an die Münstergasse 35). In den Eröffnungsinseraten bewarb Riklin «Raub- und sozialisierte Drucke» wie etwa Max Horkheimers und Theodor W. Adornos «Dialektik der Aufklärung»: «Die alteingesessenen Buchhändler erwogen eine juristische Klage.» Wegen Riklins jugendlichen Alters wurde der Buchhandlung die Berechtigung zur Lehrlingsausbildung verwehrt. Erst 1973, nach einem Rekurs, liess die Lehraufsichtskommission eine Buchhandlungslehrfrau zu.

Zu den soziologischen kamen mehr und mehr auch kulturwissenschaftliche Bücher; auch die belletristische Abteilung wurde ausgebaut und wird bis heute nach Sprachgebieten präsentiert. Bücher und Titel aus der DDR stiessen auf grosses Interesse, sie waren enorm günstig und in der Schweiz sonst nur selten zu finden. In der Münstergasse fand man aber auch unzählige Zeitungen und Zeitschriften zu sozialen Bewegungen in aller Welt. Dank Irene Candinas, Riklins Partnerin, wurde auch die feministische Literatur immer wichtiger. 1978 eröffnete Candinas im ersten Stock die Frauenbuchhandlung. 2011 fusionierte diese mit der Buchhandlung Weyermann.

Bis in die achtziger Jahre gab es in der Stadt Bern sechs grosse Buchhandlungen, von denen einige auch bedeutende Verlagshäuser waren (Hans Huber, Francke, Scherz, Herbert Lang). Von diesen existiert nur noch die Buchhandlung Stauffacher, die heute zur Thalia-Gruppe gehört. Thalia bestreitet heute zwischen achtzig und neunzig Prozent des Buchhandelsumsatzes in der Stadt Bern. Der Rest kommt von neun unabhängigen Buchhandlungen, die in der IG B-Lesen zusammengeschlossen sind: «Bis 1970 machten die sechs grossen Betriebe so viel Umsatz wie heute Thalia allein, etwa neunzig Prozent. Den Rest teilen sich wie schon vor vierzig Jahren die kleinen Buchhandlungen. Auch der geschätzte Gesamtumsatz in der Stadt Bern – rund sechzig Millionen Franken – ist mehr oder weniger gleich geblieben.»

Bis vor wenigen Jahren war die Münstergass-Buchhandlung ein egalitäres Unternehmen. An der Lohngleichheit wurde auch festgehalten, als 1983 die Kollektivgesellschaft durch eine AG ersetzt wurde. Seit 2007, als einige MitarbeiterInnen um die vierzig den Betrieb verliessen, um sich neu zu orientieren und auch besser honorierte Stellen anzunehmen, wurde eine minimale Lohnstaffelung eingeführt.

«Wir und unsere Kunden sind gemeinsam gross geworden. Noch heute bestellen viele Kunden der ersten Stunde ihre Bücher über uns. Davon profitieren wir auch, weil viele von ihnen heute Schlüsselpositionen einnehmen. Siebzig Prozent unseres Umsatzes kommen von Bibliotheken und Dokumentationsstellen, Instituten der Universität, Museen und Schulen.»

Der Umsatz erreichte 2005 den höchsten Stand und ist seither zurückgegangen. Der grösste Kunde, die Deza (Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit), bezog seit 1993 ausschliesslich über die Münstergass-Buchhandlung das Informations- und Dokumentationsmaterial für ihre Projekte auf der ganzen Welt. Mit der Umstrukturierung und dem Zugang zum Internet wurde das im Jahr 2008 hinfällig. «Glücklicherweise», so Riklin, «waren wir schon damals so weit diversifiziert, dass uns dieser Ausfall nicht ernsthaft gefährden konnte. Wer aufmerksam bleibt und beweglich, kann immer wieder auch neue Kunden gewinnen. Der gute Ruf ist das Wesentliche.»

2011 konnte die Münstergass-Buchhandlung einen Vertrag mit einer Stiftung abschliessen: «Wir dürfen eine gewichtige Auswahl an deutschsprachiger Literatur des 20. Jahrhunderts auswählen und liefern – ein schöner Auftrag», sagt Ulrich Riklin, der 2010 seine Aktienmehrheit an die neuen Inhaberinnen Liselotte Burki, Therese Heiniger und Veronika Scheuermacher verkauft hat.

Familienbetrieb: Buchhandlung Lüthy, Solothurn

«Wenn der Wettbewerb stark über den Preis läuft, wird es schwierig, eine Vielfalt anzubieten»: Auch Simone Lüthy, die als Verwaltungsratspräsidentin zusammen mit ihrem Mann in vierter Generation die Buchhandlung Lüthy in der Solothurner Altstadt führt, setzt sich für die Buchpreisbindung ein.

Die Buchhandlung ist Teil der Lüthy-Balmer-Stocker-Gruppe mit Filialen in Biel, Grenchen, Solothurn, Wallisellen, Zürich, Aarau, Zug, Luzern und Stans. Die Solothurner Buchhandlung befindet sich im Stammhaus: 1838 eröffneten hier die Brüder Karl August und Friedrich Sauerländer eine Buchhandlung. Die Geschichte der Buchhandlung Lüthy begann 1898, als der einstige Lehrling Adolf Lüthy den Betrieb übernahm.

1995 kaufte der Solothurner Betrieb die Traditionsbuchhandlungen Stocker in Luzern, schloss sich dann mit Balmer in Zug zusammen und baute seine Stellung auf der Achse Biel-Grenchen-Solothurn aus. In den vergangenen Jahren hat sich die Gruppe, die auch den Onlineshop buchhaus.ch führt, zudem in grossen Einkaufszentren wie Glatt, Sihlcity oder Zugerland eingemietet.

Der Gesamtumsatz aller Buchhandlungen der Gruppe beträgt rund sechzig Millionen Franken. Zwanzig Lehrlinge bildet sie im Sortimentsbuchhandel aus. Verglichen mit Orell Füssli oder Thalia aber ist die Lüthy-Balmer-Stocker-Gruppe klein: «Für uns ist wichtig, dass wir als Schweizer KMU bestehen können. Vor allem geht es darum, dass auch in Randregionen und kleineren Städten weiterhin stationäre Läden mit einem breiten Sortiment bestehen.»

Diese kulturelle Vielfalt wäre bei einer Aufhebung der Preisbindung früher oder später gefährdet. Selbst in der Kulturstadt Solothurn, dem Austragungsort der Solothurner Literaturtage, scheint es keinen Platz mehr für eine zweite Buchhandlung zu geben: Vor einem Jahr musste die «Altstadt-Buchhandlung» schliessen.

Den Grund dafür, dass die Folgen der Aufhebung von vielen unterschätzt werden, sieht Lüthy vor allem darin, dass es sich um einen langfristigen Prozess handelt: «In der Deutschschweiz begann das 2007 damit, dass Discounter Bestseller zu Tiefstpreisen anboten und Teile des Buchhandels nachzogen. Die Konsequenz: Die Preise der Bestseller sind sehr tief, und die Preise der meisten anderen Bücher steigen an. Viele Buchhandlungen können sich grosse Rabatte auf Bestseller nicht leisten und verlieren wichtigen Umsatz. Ihr Bestehen ist längerfristig gefährdet.»

Es seien nun mal die vielen Buchhandlungen, die dafür sorgten, dass eine breite Palette an Titeln und noch unbekannten AutorInnen ihren Weg zum Publikum finden: «Deshalb sind die vielen kleinen Buchhandlungen besonders auch für Schweizer Verlage und Autoren wichtig. Die Preisbindung ist ein simples Instrument dafür, dass es in der Schweiz weiterhin viele Autoren und Verlage gibt und das hiesige Kulturschaffen nicht nur über staatliche Förderungsgelder subventioniert werden muss.»

Das heisst: Auch gute Bestseller entstehen aus der kulturellen Breite; ihre AutorInnen werden in den allermeisten Fällen über den kleinen Buchhandel aufgebaut. Das gilt für den Zürcher Diogenes-Verlag, den grössten Literaturverlag im Land, der mit AutorInnen wie Martin Suter regelmässig auch Bestseller landet, ebenso wie für kleine Verlage, die sich mit viel Spürsinn und Sachverstand für noch zu entdeckende AutorInnen ins Zeug legen, aus deren Kreisen dereinst die eine oder der andere BestsellerautorIn hervorgehen könnte.

«Bücherladen», Poststrasse 1, Appenzell. www.buecherladen-appenzell.ch

Münstergass-Buchhandlung, Münstergasse 35, Bern. 
www.muenstergass.ch

Buchhandlung Lüthy, Gurzelngasse 13–17, Solothurn. 
www.buchhaus.ch

Dagegen: SVP, FDP, Ex Libris

Wem eine vielfältige Buchkultur am Herzen liegt, der wird gut daran tun, am 11. März ein Ja in die Urne zu legen. Von der Aufhebung der Preisbindung profitieren einzig Discounter und branchenfremde Detailhändler. Ex Libris, die das Referendum der Jungparteien von SVP und FDP unterstützt, versucht seit der Aufhebung der Preisbindung in der Deutschschweiz im Jahr 2007, mit einem Dreissigprozentrabatt auf Bestseller KundInnen in ihre Läden zu locken. Die Migros-Tochter hat sich das gemäss eigenen Angaben rund 30 Millionen Franken kosten lassen.

Der ideologisch motivierte Angriff der rechtsbürgerlichen Jungparteien richtet sich gegen eine ganze KMU-Branche mit qualifizierten Arbeitsplätzen in der ganzen Schweiz, die sich geschlossen (einschliesslich der Konzerne Thalia und Weltbild) für die Preisbindung einsetzt – also gegen die überwältigende Mehrheit der rund 450 Verlage (1500 Arbeitsplätze) und 540 Buchhandlungen (2400 Arbeitsplätze).

«Anders als in unseren Nachbarländern, in denen die Preisbindung von allen führenden Parteien mitgetragen wird», so Dani Landolf, Geschäftsführer des Schweizer Buchhändler- und Verlegerverbands, sei die Buchpreisbindung in der Schweiz zur ideologischen Frage verkommen: «Ohne Preisbindung befinden wir uns in einem zusätzlichen Standortnachteil. Über achtzig Prozent der Bücher, die wir in der Deutschschweiz verkaufen, kommen von Verlagen aus Deutschland und Österreich.»

Grenzüberschreitender Onlinehandel : Johann Schneider-Ammanns Verwirrspiel

Wenige Wochen vor der Abstimmung hat Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann den GegnerInnen der Buchpreisbindung genau das beschert, worauf sie sehnlichst gewartet haben: allgemeine Verwirrung. Der FDP-Bundesrat, der den Beschluss des Parlaments gegen seinen eigenen Willen vertreten muss, hat am 24. Januar behauptet, die Buchpreisbindung gelte nicht für private Käufer, die bei ausländischen Onlinehändlern bestellten. Martin Schläpfer, Leiter der Direktion Wirtschaftspolitik bei der Migros und Cheflobbyist des Grossunternehmens, gab wenige Tage später im «Tages-Anzeiger» unumwunden zu, dass die GegnerInnen des Gesetzes, darunter die Migros-Tochter Ex Libris, gezielt darauf hingearbeitet hätten, das Gesetz möglichst kompliziert werden zu lassen: «Das ist gelungen.»

Ein Gutachten des Wettbewerbsrechtlers Jürg Borer, das der Schweizer Buchhändler- und Verlegerverband in Auftrag gegeben hat, kommt zu einem anderen Schluss als Schneider-Ammann. Borer bezieht sich auf die Schlussfassung des Gesetzes. Diese regelt die Preise von Büchern in den Schweizer Landessprachen, die: «a) in der Schweiz verlegt werden; b) gewerbsmässig in die Schweiz eingeführt werden; oder c) in der Schweiz gehandelt werden».

Bei Punkt c, so Borer in seiner schriftlichen Begründung, sei die Sachlage unbestritten: «Der Akt des Kaufes findet auch bei einem Onlinegeschäft in der Schweiz statt, weshalb auch der Kauf eines Privaten aus der Schweiz der schweizerischen Gesetzgebung über die Preisbindung unterstellt wäre.»

Laut Dani Landolf, Geschäftsführer des Schweizer Buchhändler- und Verlegerverbands, ist die Aussage von Schneider-Ammann einseitig auf den Begriff «gewerbsmässig» fokussiert. Vor allem aber widerspreche dessen Auslegung «klar dem Willen des Parlaments, das in intensiven Auseinandersetzungen den grenzüberschreitenden Handel von Büchern in die Schweiz von Onlinehändlern wie Amazon explizit in den Geltungsbereich einbezogen hat».

In die gleiche Richtung argumentierte unlängst Strafrechtsprofessor Andreas Lienhard auf Radio DRS: «Selbst wenn Unschärfen der Interpretation bestünden, ist der klar manifestierte Wille des Parlaments letztlich massgebend.» Dieser Wille des Parlaments ist mit der Streichung eines Satzes, mit dem der grenzüberschreitende Onlinehandel explizit von der Preisbindung ausgenommen worden wäre, hinreichend dokumentiert.

Sollten die Stimmberechtigten der Vorlage trotz des lobbyistischen Verwirrspiels zustimmen, müsste die Streitfrage dereinst wohl auf gerichtlichem Weg geklärt werden. Der Konzern Orell Füssli, der sich zur Abstimmungsvorlage offiziell neutral verhält, hat bereits für den Fall vorgesorgt, dass diese nicht für den grenzüberschreitenden Onlinehandel gelten sollte: Er hat in Deutschland einen Onlineshop eingerichtet. Adrian Riklin