Guillermo Rosales: In der Hölle

Nr. 18 –

Der kubanische Autor (1946-1993) schrieb auf verlorenem Posten.

Man muss eine Weile überlegen, bis man Guillermo Rosales in der kubanischen Literatur verorten kann, er passt in keines der drei grossen Lager - der SchriftstellerInnen auf der Insel, jener im Castro-feindlichen Miami und jener, die an neutrale Orte wie Barcelona, Mexiko oder Paris gegangen sind.

Sein Ort ist apokalyptisch, fast jenseitig, und er hauste eher, als dass er wohnte: Als psychisch Kranker 1979 aus Kuba geflohen, wurde Rosales von den Verwandten in Miami nicht akzeptiert. Er vereinsamte in Heimen und Pensionen, litt an Wahnvorstellungen und nahm sich 1993, im Alter von 47 Jahren, das Leben. Sein Ort ist der der Unpassenden, der Verlierer, den er am ehesten noch mit seinem Freund Reinaldo Arenas teilt. Der jedoch hatte mit seinen experimentellen, politisch anklagenden Texten wenigstens einen gewissen Erfolg. Rosales hat die meisten seiner eigenen Texte vernichtet, und «Boarding Home», 1987 erschienen, blieb der Erfolg versagt. Doch das Buch gehört gleich neben Arenas’ Kunststücken in die Regale und Literaturgeschichten.

Im «Boarding Home» landen die Gestrandeten, Behinderte und Senile, doppelt hilflos, weil sie sich nicht selbst helfen können und es keinen gibt, der ihnen helfen oder sie auch nur besuchen würde. Für William Figueras, wie der autobiografisch gefärbte Ich-Erzähler heisst, wird es nur ein solches Heim geben, aber er weiss gleich im ersten Satz, «dass es mein Grab sein würde». Von seiner Tante eingeliefert, soll er verstehen, dass sie nicht mehr für ihn tun kann. Dabei hätte er wie alle anderen auch Hilfe nötig: Der Chef des Heims bereichert sich, indem er den Insassen alle Sozialleistungen vorenthält und sie mit ärmlichster Kost und in verdreckter Verwahrlosung von sich abhängig hält, sie betrügt und misshandelt. Perfiderweise steht die Tür jederzeit offen, aber sie gehen nicht. Denn draussen wartet die Strasse, und «die Strasse ist hart», härter noch als das kahle Zimmer, der voll gesabberte Tischnachbar und die Schläge, Tritte und Beschimpfungen des Personals.

Die völlige Ausweglosigkeit des ersten Satzes bestimmt den Text, und doch gibt es hin und wieder ein Aufmerken. Figueras ist zwar krank, aber luzide. Er macht das Spiel erst durchsichtig, bevor er ihm - wie alle anderen Bewohner des «Boarding Home» auch - erliegt. Anfangs stört es ihn, dass der alte

Reyes geschlagen wird, der hinpisst, wo er geht und steht. Später schlägt er selbst mit zu. Nur als Francis eingeliefert wird, eine gleichaltrige Frau, als sie sich zu lieben beginnen und schliesslich gemeinsam das Heim verlassen wollen, meint man das sichere «Grab» vielleicht doch vergessen zu dürfen. Aber nein: Sie gehen wieder zurück, sie halten es draussen nicht aus. Die Hölle ist geschlossen.

Seine Wirkung erzielt der Roman vor allem durch seine schnörkellose Direktheit: Wir erfahren, was um Figueras herum geschieht und was er selbst sieht, fühlt, tut, und es erweckt den Anschein, als stecke dahinter kein Romanprojekt, nicht einmal eine Absicht. Ganz unabhängig davon, ob es um seine eigenen - manchmal krankhaften - Handlungen geht, um die Grausamkeiten des Chefs oder die Macken der Insassen, wirken die Sätze nackt wie eine gekalkte Wand und erst dadurch zwingend aussichtslos.

Vielleicht musste der Kubaboom der neunziger Jahre mit all den netten Rhythmen und der Havanna-Nostalgie erst abflauen, damit ein so ungefälliger Text wie dieser Gehör findet. Umso schöner, dass Guillermo Rosales nun - zumal in so passgenauer Übersetzung - in der Topografie des deutschsprachigen Verlagswesens einen angemessenen Ort gefunden hat. Nur: Er hätte ihn schon zu Lebzeiten brauchen können.

Guillermo Rosales: Boarding Home. Bibliothek Suhrkamp. Frankfurt am Main 2004. 109 Seiten. Fr. 19.90