Durch den Monat mit Antonio Loprieno (Teil 2): Wie liebten die Ägypter?

Nr. 19 –

Sie geben in diesem Semester eine Vorlesung zum Thema «Liebe im alten Ägypten». Wie war diese denn?
Antonio Loprieno: Es gab ägyptische Liebeslieder, die in verschiedener Hinsicht vergleichbar sind mit der Dichtung an den mittelalterlichen Höfen oder mit der Romantik des 18. und 19. Jahrhunderts. Interessant dabei ist, dass diese Schriften aus einem sehr engen Zeitraum stammen – nämlich aus dem 13. und 12. Jahrhundert vor Christus; aus der Ramessidenzeit.

War das eine Blütezeit?
Genau. Aber die Ägypter haben sich wohl zu allen Zeiten geliebt. Für die Ägyptologen stellt sich die Frage, warum es nur aus diesem Zeitraum schriftliche Zeugnisse dafür gibt.

Zu welchen Schlüssen kommt der Ägyptologe?
Vor der Ramessidenzeit gibt es nur eine beschränkte Gattung von Texten, die überhaupt geschrieben werden durften. Nun findet eine grosse Erweiterung statt. Es gibt plötzlich nicht nur Liebeslieder, sondern auch mythologische Erzählungen. Vermutlich ist diese Entwicklung auf die Internationalisierung der ägyptischen Kultur zurückzuführen.

Und die alten Ägypter haben ähnlich über die Liebe geredet wie die Minnesänger?
Angesichts der Tatsache, dass dazwischen zweitausend Jahre liegen, haben sie dies in einer erstaunlich ähnlichen Weise gemacht. Es gibt allerdings zwei Unterschiede im Vergleich zu späteren Perioden. Zum einen gibt es eine sehr feste formale Struktur. Die Texte sind als Dialoge geschrieben, in der sich ein Liebhaber und eine Geliebte austauschen. Der zweite Punkt ist die sehr starke Verbindung mit dem religiösen Fest.

Muss man sich die Liebenden als Individuen vorstellen, oder geht es mehr um eine abstrakte Form?
In den Texten des alten Ägypten gibt es kaum individuelle Persönlichkeiten, die etwa durch einen Namen zum Ausdruck kommen. Insofern ist die Liebesdichtung des alten Ägypten eine Dichtung, wo Rollen zur Sprache kommen. Man darf aber davon ausgehen, dass diesen Rollen durchaus individuelle Gefühle zugrunde liegen.

Ein berühmtes Paar war der Pharao Echnaton und seine Königin Nofretete. Ist deren Beziehung auch nur eine nachträgliche Konstruktion, oder hat es dieses Paar wirklich gegeben?
Die uns bekannte Liebesgeschichte von Pharao Echnaton und seiner Königin Nofretete ist Ausdruck der Legende vom Sonnengott, der dieses königliche Paar ausgewählt hat, um sich selbst und die Urfamilie zu manifestieren.

Ein direkter Nachfolger von Echnaton war der Pharao Tutenchamun. Ein Teil seiner Grabbeilagen machte im vergangenen Jahr in Basel Station. Waren Sie an dieser Ausstellung beteiligt?
Die Meriten dafür verdient natürlich das Antikenmuseum und nicht das Ägyptologische Seminar. Wir haben Vorträge und Führungen veranstaltet und uns am Katalog beteiligt.

Die Tutenchamun-Ausstellung war ein Publikumserfolg. Bleibt etwas übrig für Sie und für die Ägyptologie?
Ich habe gelernt, dass das Interesse am alten Ägypten in der Öffentlichkeit und das akademische Studium zwei verschiedene Paar Schuhe sind. Viele Kollegen sind davon ausgegangen, dass die Ausstellung dazu führt, dass mehr Leute Ägyptologie studieren wollen. Die Realität ist eine andere. Dieses Jahr gab es viel weniger Immatrikulationen als in den letzen Jahren.

Die Hürde, die sich zwischen dem allgemeinen Interesse für das alte Ägypten und der Ägyptologie auftut, hängt wohl mit der Sprache zusammen. Die Sprache lässt sich nur über die Hieroglyphenschrift erlernen?
Es ist ein sehr komplexes schriftliches System, ein System mit einem enormen ikonografischen Potenzial. Es bedarf einiger Jahre intensiver Arbeit, um Ägyptisch zu lernen.

Könnte man auch Altägyptisch sprechen?
Das könnte man durchaus tun, wobei es hier eine gewisse Einschränkung gibt. Diese durch die Hieroglyphen ausgedrückte Lautschrift bezeichnet nur die Konsonanten. Grundsätzlich wissen wir deshalb nicht, wie die altägyptischen Vokale klangen.

Haben Sie denn je Ägyptisch gesprochen?
Das ist nicht so einfach. Aber stellen wir uns vor, ich stünde vor Ramses dem Zweiten, der 1250 vor Christus gelebt hat, und versuchte, mein wissenschaftlich rekonstruiertes Ägyptisch zu reden. Er würde sich wohl denken, dieser Mensch hat meine Sprache gelernt, aber es ist absolut schwer, ihn zu verstehen.

Würde er es nicht als Gotteslästerung empfinden, dass Sie es überhaupt wagen, ihn anzusprechen und Sie dafür hinrichten lassen?
Das sicher auch.

Antonio Loprieno, 49, ist Professor für Ägyptologie und Vorsteher des Ägyptologischen Seminars der Universität Basel.