AFGHANISTAN: Der Schatten der achtziger Jahre
Bei den Wahlen hat es sich gezeigt: Die Linke ist tief gespalten.
«Eine Stimme für Nurulhak Ulumi ist eine Stimme für Gesetzlichkeit, nationale Einheit und Souveränität», warb der Kandidat auf seinen Plakaten. Dass er zur Nationalen Vereinigten Partei (NUP) gehört, der derzeit wohl stärksten Linkspartei Afghanistans, steht nicht auf den Postern. Parteien, zudem eine, die ihre Wurzeln in der prosowjetischen und von 1978 bis 1992 herrschenden Demokratischen Volkspartei Afghanistans (DVPA) hat, sind nicht sehr populär im Land. Bei der afghanischen Parlamentswahl am 18. September, deren Stimmenauszählung noch bis Anfang Oktober dauern wird, zählten Persönlichkeiten mehr als Programme oder Parteizugehörigkeit.
Selbst Ulumis erbittertste Gegner in der früheren südafghanischen Taliban-Hochburg Kandahar erwarten, dass der 64-jährige ehemalige General den Einzug in das 249 Sitze starke Unterhaus schaffen wird. Er kann sich sowohl auf eine starke Anhängerschaft in seinem Baraksai-Stamm, einem der grössten in der Kandaharer Gegend, als auch auf die frühere DVPA-Anhängerschaft stützen. Sein Hauptkonkurrent unter den Baraksai wirft Ulumi vor, als Supergouverneur Südafghanistans Ende der neunziger Jahre für militärische Aktionen gegen die Bevölkerung verantwortlich gewesen zu sein. Bisherige Berichte von Menschenrechtsorganisationen bieten dafür jedoch keinen Beleg, so dass Ulumi diese Vorwürfe zurückweisen kann.
68 ParlamentskandidatInnen hat Ulumis Partei landesweit ins Rennen geschickt, darunter 20 Frauen. Programmatisch hat die Partei ihre kommunistische Ausrichtung aufgegeben und bewegt sich auf moderat linkem Kurs. Sie betont soziale Gerechtigkeit, die Gleichheit der Geschlechter und die Förderung aller Wirtschaftssektoren, also nicht nur des privaten. Gleichzeitig bekennt sie sich aber auch zum «freien Markt» und nimmt nicht direkt Stellung gegen die von der Regierung betriebenen weitgehenden Privatisierungen im ausgedehnten Staatssektor.
Ulumi hofft, dass aus seiner Partei sieben KandidatInnen den Sprung ins Unterhaus schaffen. Dort will er jene Abgeordneten um sich scharen, die er als «demokratische Opposition» bezeichnet. Doch das wird nicht leicht sein. Trotz programmatischer Nähe sind die Linke und das linksdemokratische Spektrum in Afghanistan stark zersplittert. Dabei spielt die DVPA-Vergangenheit eine zentrale Rolle. Eine Reihe der neuen linksdemokratischen Parteien - zu denen frühere maoistische Gruppen, liberale Stammesführer und auch viele frühere DVPA-Basismitglieder zählen - lehnen die Zusammenarbeit mit früheren DVPA-Führern ab. Denn sie machen sie politisch für die massiven Menschenrechtsverletzungen während der sowjetischen Besatzungszeit verantwortlich, in der eine bis zwei Millionen Menschen starben und fast sechs Millionen zu Flüchtlingen wurden. Sie argumentieren, dass Ulumi und andere frühere Politbüromitglieder für breite Bevölkerungskreise unwählbar bleiben. Ihre Kandidatur ermögliche es den Fundamentalisten, die demokratische Opposition pauschal als «Kommunisten» abzuqualifizieren.
Die National-Demokratische Front (NDF) - ein Zusammenschluss neuer Parteien - nimmt nur Parteien auf, die nicht von früheren Politbüro- oder Zentralkomiteemitgliedern der DVPA geführt werden. Fünf dieser inzwischen dreizehn Parteien werden aber von früheren DVPA-Funktionären der mittleren Ebene geleitet. Das führt ebenfalls zu Konflikten. Sarif Naseri, ein ehemaliger Maoist, der seit 1979 den sowjetischen Einmarsch mit der Waffe in der Hand bekämpft hatte und heute die Nationale Stammessolidaritätspartei führt, empört sich beispielsweise über den NDF-Kollegen Asef Baktasch von der Nationalen Fortschrittspartei, der in einer Fernsehdiskussion ohne zu relativieren sagte: «Wir sind stolz auf unsere Vergangenheit.» Trotz monatelanger Bemühungen gelang es der NDF nicht, ihre Listen abzustimmen. So kandidierten in Kabul nicht weniger als sechs NDF-Parteivorsitzende faktisch gegeneinander. Immerhin gab es in den Provinzen einzelne Absprachen.
Aber auch die aus der DVPA stammende Linke ist tief gespalten, und daran ist Ulumi nicht ganz schuldlos. Vor zwei Jahren hatten 22 linke Gruppen von inner- und ausserhalb der früheren DVPA nach Vorarbeiten im Exil eine Kommission gebildet, die auf die Gründung einer neuen, einheitlichen Linkspartei hinarbeiten sollte. Doch Ulumi startete einen Alleingang. Drei Viertel der beteiligten Gruppen zogen sich danach zurück - und konstituierten sich zu eigenen Parteien. Die drei wichtigsten - geführt von ehemaligen DVPA-Ministern - unterstützten sich in der Wahl gegenseitig. Im Zwist zwischen dieser Dreiergruppe und Ulumi widerspiegeln sich die beiden Fraktionen Chalk (Volk) und Partscham (Banner), die die DVPA schon in den achtziger Jahren innerlich zerrissen hatten.
Trotzdem müssen Linke und LinksdemokratInnen im Parlament miteinander auskommen. «Wir werden nur eine kleine Gruppe stellen», meint Sebghatullah Sandschar, Chef der sehr aktiven Republikanischen Partei. «Gegen die Fundamentalisten, die wohl in der Mehrheit sein werden, ist Solidarität ein Muss.»