Einheitskrankenkasse: Die Kassenbande

Nr. 24 –

Unser Gesundheitssystem mit seiner Vielfalt an Krankenkassen führt zu immer höheren Kosten. Doch die vernünftige Einheitskasse hat im Ständerat keine Chance, weil Lobbyisten jede Reform verhindern, schreibt Ex-SP-Präsident Peter Bodenmann.

Die Krankenkassen verbrennen jedes Jahr für den obligatorischen Teil der Versicherung 850 Millionen Franken Verwaltungskosten. Pro Versicherten somit 113 Franken im Jahr. Dieser Betrag ist in den letzten Jahren leicht angestiegen. Dies obwohl die Informatik Fortschritte macht und gut geführte regionale Kassen mit halb so hohen Verwaltungskosten Überschüsse machen.

Willy Oggier ist Gesundheitsökonom. Er hat für die Krankenkassen das Buch «Scheinlösung Einheitskasse» – erschienen im NZZ-Verlag – geschrieben. Beim genaueren Lesen ist es eine wahre Fundgrube für die Befürworter einer Einheitskasse wie den ehemaligen SP-Generalsekretär Jean-François Steiert, die Zürcher SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr und Otto Piller, den ehemaligen Direktor des Bundesamtes für Sozialversicherung. Nur haben diese es bis jetzt noch nicht gelesen.

Arbeiten Krankenkassen kompetent und effizient?

Oggier zeigt auf, dass die Verwaltungskosten der Grundversicherung innert zehn Jahren von 8,2 auf 5,6 Prozent der gesamten Kosten gesunken sind. Wahr ist: Die Kosten sind in Franken nicht gesunken, sondern gestiegen. Sie machen nur weniger Prozent aus, weil die übrigen Kosten weit kräftiger stiegen. Jeder Hotelier begreift unschwer: Wenn er die Preise der Zimmer massiv erhöht, muss deshalb die Buchhaltung nicht teurer werden.

Das Vorwort zum Buch von Willy Oggier hat ausgerechnet der Basler Regierungsrat Dr. Carlo Conti verfasst. Der böse Zufall will es, dass mit Ausnahme des Kantons Genf kein anderer Kanton ein schlechteres Preis-Leistungs-Verhältnis hat als Basel-Stadt.

Viele bürgerliche National- und Ständeräte verdienen als Verwaltungsräte und Berater der Krankenkassenbürokratien locker viel Geld. Der Hort der engen Verflechtung von bürgerlicher Politik und Krankenkassenbürokratien ist der Ständerat, der diese Woche gegen die Einheitskasse stimmt.

CVP-Ständerat Eugen David ist Präsident des Verwaltungsrates der Helsana AG. CVP-Ständerat Philipp Stähelin ist gut bezahltes Mitglied der «Groupe de réflexion santé» der Groupe Mutuel. Und SVP-Ständerat Christoffel Brändli ist Präsident von Santésuisse, der Lobby aller Krankenkassen. Alle drei Herren sitzen – Ausstandsregeln gelten für andere – in der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates. Sie verhindern seit Jahr und Tag konsequent soziale und zukunftsgerichtete Lösungen im Gesundheitswesen.

Wer ein Buch liest, schaut sich nach dem Vorwort mit Vorteil das Literaturverzeichnis samt Anmerkungen an. Wer als Autor einen Auftrag hat, zitiert – wenn immer dies wissenschaftlich noch halbwegs vertretbar ist – die Aufsätze seiner Auftraggeber. Es gibt keine Aufsätze von David, Brändli und Stähelin, die für Oggier oder sonst wen zitierbar wären. Der real existierende Krankenkassenfilz ist sich seiner selbst so sicher, dass sich diese Herren nicht einmal von Dritten anständige Aufsätze schreiben lassen.

Wer die Protokolle der zuständigen Ständeratskommission durchgeht, staunt umgekehrt nicht schlecht, mit welcher Unverfrorenheit diese drei Krankenkassenbürokraten seit Jahr und Tag eine wirksame staatliche Gesundheitspolitik mitverhindern und die Macht der Krankenkassenbürokratien mehren.

Die Debatte um die Einheitskasse im Ständerat wäre hochspannend, wenn die SP im Gesundheitssektor konzeptionell klar positioniert wäre. Was nicht ist, kann noch werden.

Gibt die Schweiz zu viel für ihr Gesundheitswesen aus?

Die Schweiz gibt nach den USA am meisten für das Gesundheitswesen aus. Nicht weil wir zu viel, sondern weil wir wie die USA zu wenig Staat haben.(1) Die Schweizer Gesundheitskosten sind im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt (BIP) auch zu hoch, weil wir in den letzten zehn Jahren nur Magerwachstum hatten. In Österreich sind die Ausgaben – wie Oggier weiter zeigt – zwischen 1993 und 2000 im Verhältnis zum BIP gesunken.(2) Nicht weil die österreichischen Gesundheitskosten real nicht gestiegen wären, nein, nur weil Österreich – auch dank EU-Beitritt – ein weit kräftigeres Wachstum als die Schweiz aufwies.

Der internationale Überblick von Oggier zeigt, dass mehr Staat im Gesundheitswesen in der Regel nicht nur mehr soziale Gerechtigkeit, sondern mehr Effizienz bedeutet. Es gibt bei Oggier keinen Hinweis, dass die Kassenvielfalt zu richtigen Weichenstellungen geführt hätte: Die selbstzufriedenen «Kässeler» sind seit zehn Jahren Bestandteil des Problems und nicht der Lösungen. Haben wir dank der hohen Kosten wenigstens eine gute Qualität?

Die Schweiz ist wegen des Versagens der Herren David, Stähelin und Brändli statistisch eine Wüste. Die Kassen tauschen die Informationen nicht aus, weil sie Angst vor der gezielten Jagd der Konkurrenz auf die eigenen guten Risiken haben. Wir wissen auch im Zeitalter der vollen Digitalisierung aller Daten nicht, wie gut oder wie schlecht in welchen Spitälern und Arztpraxen gearbeitet wird. Wer die Fakten nicht kennt, kann einen Prozess nicht steuern.

Oggier referiert immerhin die wenigen Gutachten, die aufzeigen, dass in einzelnen Kantonen die Kosten ganz unterschiedlich hoch sind, ohne dass bisher – etwa in den Ostschweizer Kantonen – mangelnde Versorgung ausgemacht werden konnte.

Aus linker Sicht müsste gelten: Nicht weniger Kosten für das Gesundheitswesen, aber mehr Leistungen dank verbesserten Leistungskatalogs(3) für die Versicherten und dank effizienter Verwendung der Mittel.

Warum sind die Gesundheitskosten in Genf fast doppelt so hoch wie in St. Gallen?

Wir haben in der Schweiz kein schweizerisches Gesundheitswesen, sondern kantonal gewachsene Strukturen. Und deshalb 26 unterschiedliche kantonale Gesundheitswesen. Luzern hat ein einziges Kantonsspital, während es im Tessin und im Neuenburgischen an Kliniken wimmelt. Die Kosten für die Spitalversorgung sind deshalb in Luzern tiefer, und die Qualität ist – wenn man sie endlich messen würde – deutlich besser als im Tessin oder in Neuenburg. Genau gleich sieht es bei den Ärzten aus. 15 frei praktizierende Ärzte pro 10 000 Einwohner sind genug. In Genf sind es doppelt so viele. Und deshalb sind die Kosten doppelt so hoch.(4)

Willy Oggier interpretiert die Initiative – gestützt auf eine unsinnige Aussage von SP-Nationalrat Stephane Rossini – im Sinne seiner Auftraggeber: Die Ostschweizer würden nach deren Annahme die Westschweizer subventionieren. Für SP-Mann Otto Piller ist klar, dass jeder Kanton seine Kosten mit seinen Prämien decken muss.

Die Debatte ist absurd. David, Stähelin und Brändli stammen aus der Ostschweiz. Sie kontrollieren die Gesetzgebung in Bern. Nach der Annahme der Initiative muss das Parlament ein Ausführungsgesetz beschliessen. Nie und nimmer werden David, Stähelin und Brändli gegen den Willen der erfolgreichen InitiantInnen beschliessen, dass die Ostschweizerinnen die Westschweizer subventionieren. Sonst wären sie nicht nur ihre Pfründen los, sondern auch ihre Ständeratssitze.

Wer muss mit wem in den Wettbewerb treten?

Der Wettbewerb unter den Krankenkassen hat während der letzten zehn Jahre gesundheitspolitisch rein gar nichts gebracht. Eine Einheitskasse kann es gar nicht schlechter machen. Im Gegenteil: Die Einheitskasse schafft nicht nur die Voraussetzungen für eine sozialere Finanzierung des Gesundheitswesens, sondern bietet den entscheidenden Hebel: Die Kosten für die Werbung fallen weg. Ebenso wie die unsinnig hohen Kosten für den Risikoausgleich. Die Jagd auf die guten Risiken wird abgelöst durch eine Kasse, die alle Informationen hat.

Die Einheitskasse kann endlich die unterschiedlichen kantonalen Gesundheitswesen qualitativ und kostenseitig vergleichen und dank dieser neu geschaffenen Transparenz einen Wettbewerb um effizientere Strukturen in Gang setzen. Und dies geht – ob man es will oder nicht – nur mit intelligenten Globalbudgets auch für den ambulanten Bereich.

Eine Einheitskasse wird den Druck auf den Nachfolger von Bundesrat Pascal Couchepin erhöhen, damit das zuständige Departement endlich drei Aufgaben anpacken muss. Erstens: Reduktion der medizinischen Fakultäten auf zwei weltweit führende Institute. Zweitens: Schaffung von 40 öffentlichen Spitälern mit je 500 Akutbetten(5), die für die Versorgung der Schweiz ausreichen. Drittens: Zulassung von Parallelimporten von Medikamenten auf der Basis der regionalen Patenterschöpfung, die der Schweiz in diesem Bereich die gleichen Spielregeln sichert wie den Mitgliedstaaten der EU. Dies verbunden mit einer Erhöhung der Forschungsmittel für den in der Schweiz forschenden und produzierenden Pharmasektor.

Peter Bodenmann ist Hotelier in Brig und war zwischen 1990 und 1997 Parteipräsident der SP Schweiz.

(1) Oggier S. 39 „... dass die so vielfach vor allem von den Leistungserbringer-Seite suggerierte Kostenexplosion nicht ein Naturgesetz darstellt. Dänemark, Italien und Österreich ist es gelungen den Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP fast konstant zu halten, Finnland konnte ihn sogar reduzieren.“

(2) Oggier S. 66 „Das entspricht der Differenz zwischen dem Wachstum der österreichischen Volkswirtschaft (27 Prozent) und jenem der Krankenkassenbeiträge (23 Prozent)“.

(3) Oggier S. 77 „Bei den Gesundheitsleistungen hat Deutschland mit einem Versorgungsindex von 119 das höchste Versorgungsniveau, das heisst den umfassendsten Leistungskatalog.“ In der Schweiz sind mit 108 Punkten deutlich weniger Leistungen versichert. Dank realisierten Effizienzgewinnen müsste eine Einheitskasse den Leistungskatalog ausbauen und so die Zahl der zu teuren privaten Zusatzversicherungen zurück drängen.

(4) Oggier S. 103 „Der Vergleich der beiden Tessiner Gesundheitsökonomen Domenighetti und Crivelli zeigt, dass bei einer Dichte von et 15 Ärztinnen und Ärzte je 10'000 Einwohner, wie sie in der Ostschweiz anzutreffen ist, die gewählten Leistungsindikatoren fast identisch sind wie im schweizerischen Durchschnitt und wie in Kantonen, die eine doppelt so hohe Ärztedichte aufweisen:“ Fazit: Aber einer gewissen Dichte produzieren Ärzte keinen medizinischen Zusatznutzen mehr, sondern nur mehr Kosten. Die Vertragsfreiheit wird daran nichts ändern. Dagegen helfen nur intelligente Globalbudgets vor denen leider auch die meisten Linken Angst haben.

(5) Oggier geht dieser Frage in seiner Streitschrift aus dem Weg. Statt dessen rühmt er das monistische Finanzierungsmodell, welches die Kantone entmachten und die nachweislich unfähigen Krankenkassenbarone stärken würde. Sie könnten dann die vielen Privatkliniken weiter finanzieren.