Und wo bleibt die Kultur?: Gegen die Groteske

Nr. 33 –

Diese Frage hat sich inzwischen von selbst beantwortet – überraschend schnell und verbindlich.

Noch vor Ende der Sommerferien, als niemand mehr damit gerechnet hatte, kam zusätzliche Bewegung in den Abstimmungskampf. 700 Kulturschaffende – inzwischen sind bereits 100 weitere dazugestossen – unterzeichneten ein Manifest gegen das verschärfte Asylgesetz. Es sind drei kurze Sätze, schnörkellos formuliert von Franz Hohler: «Die Schweiz hat wesentlich zur Schaffung des neuen Menschenrechtsrats der Uno beigetragen. Gleichzeitig will sie die Menschenrechte an ihren Grenzen abschaffen. Diese Groteske kann sich unser Land nicht leisten.»

Diese knappen Sätze überzeugten und wirkten so verbindlich, dass sie querbeet unterschrieben wurden. Auf der Namenliste sind, neben den einzelnen Sprachregionen selbstverständlich, alle Kunstsparten und auch sämtliche Altersgruppen vertreten, alle Genres in der ganzen Bandbreite: Paul Parin und Anna Luif, Matthias Gnädinger und Pipilotti Rist, Sina und Dimitri, Peter Zumthor, Gaston Cherpillod, Bruno Ganz, Eveline Hasler, Jean-Luc Bideau, Roman Signer, Viktor Giacobbo, Not Vital, Irène Schweizer, Walter Andreas Müller, Hanna Johansen, Gardi Hutter, Yvette Z’Graggen und Fischli/Weiss.

Genug der Prominenz. Die Namenliste wird in diversen Zeitungsinseraten publiziert und dort ausführlich zu studieren sein. Die Kampagne indessen beschränkt sich nicht auf Namedropping, sie ist Schwerarbeit im wörtlichen Sinn. Mehrere Wochen lang werden «Versteinerte», eine Skulpturengruppe von Carl Bucher, in einer Art Tour de Suisse durchs Land geschleppt und in zehn Städten auf viel begangenen Plätzen aufgestellt. Dazu ist jeweils der Dokumentarfilm «Ausgeschafft» von Irene Marty zu sehen. Und wie bei den Kulturschaffenden kam auch innerhalb der SP einiges ins Rollen. Aus zwanzig kleineren Städten meldeten sich Ortsgruppen, die zusätzliche Veranstaltungen organisieren wollen, Kurzprogramme mit Musik und Texten (wie Ruth Schweikert, Guy Krneta und Franz Hohler sie aus gegebenem Anlass geschrieben haben).

Das Manifest soll Diskussionen auslösen. Dabei geht es primär um (beziehungsweise gegen) das verschärfte Asylgesetz. Das rasche Engagement der Kulturschaffenden indessen dürfte auch in anderem Zusammenhang zu denken geben. Seit eine kleine Zeichnung mit einem pinkelnden Bundesrat so viel Aufregung auslöste – Parlamentsdebatten über ein neues Kulturgesetz und zur Strafe eine Million weniger Geld für die Pro Helvetia –, sind die Kulturschaffenden zusammengerückt, so nah wie schon lange nicht mehr. Es braucht keine verschärften Gesetze, weder gegen die AusländerInnen noch gegen uns selber.

Moment bitte!

Mein Schwiegervater war kein Asylbewerber, als er, zusammen mit seinen Brüdern und seinen Eltern, 1938 in die Schweiz fliehen wollte. Er war österreichischer Jude und hatte keine Chance, überhaupt angehört zu werden.

Sie haben ihn an der Grenze ganz einfach zurückgeschickt. Auch hätte er damals wahrscheinlich noch nicht den Anforderungen der Genfer Konvention entsprochen; Sie erinnern sich: Als echte Flüchtlinge gelten Menschen, die aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität oder politischen Überzeugungen an Leib und Leben bedroht sind. Schliesslich fürchteten 1939 nur die Juden selbst, dass sie in Lebensgefahr waren. Und auch viele Juden konnten und wollten es nicht glauben. Mein Schwiegervater hatte Glück. Frankreich hat ihn und seine Angehörigen immerhin einreisen lassen.

Dass er überlebt hat, hat er dennoch der Schweiz zu verdanken. Im Dezember 1942 hat ihm unser Land die Einreise gestattet, obwohl die Grenzen seit September für Juden geschlossen waren. Er war also auf Menschen angewiesen, die sich nicht an das Gesetz gehalten haben. Auf Menschen, die Mut, Verstand und Einfühlungsgabe hatten.

Ungefähr dreissig Prozent aller Asylbewerber haben keine Papiere. Aus unterschiedlichen Gründen. Weil sie sich davon einen Vorteil erhoffen, weil sie in ihrer Heimat nicht zu den Behörden gehen, wenn sie verfolgt werden.

Fortan sollen nur noch Menschen, die innerhalb von 48 Stunden gültige Papiere vorlegen können, überhaupt ins Asylverfahren kommen. Dreissig Prozent ohne Papiere, das sind bei den aktuellen Zahlen etwa 4500 Menschen.

Selbst wenn nur zehn Prozent von ihnen aus überlebenstechnischen Gründen keine Papiere besitzen, sind das 450 Menschen. Vielleicht können Sie mit diesen 450 Menschen leben, die womöglich ihr Leben verlieren, weil unser Land sie nicht wenigstens anhört. 450 Menschen, das sind nicht viel. Wir sind sowieso überbevölkert. Wir können auch nicht das gesamte Elend dieser Welt auf unsere Schultern laden. Sie haben Recht.

Ruth Schweikert

Prüfungsfrage

Theoretische Prüfung eines zum deutschen Grenzpolizeibeamten Ausgebildeten in Berlin, Übungsbeispiel Aufnahmepraxis.

Prüfer: Auf der Asylempfangsstelle Hamburg meldet sich ein Antragsteller, der Englisch spricht und vorgibt, aus Myanmar zu kommen. Er sei in seinem Herkunftsland politisch verfolgt und bitte um Asyl. Was fragen Sie ihn?

Prüfling: Ich verlange seine Dokumente.

Prüfer: Richtig. Er legt Ihnen ein Dokument vor, von dem er sagt, es sei sein Führerschein, ferner seinen Entlassungsschein aus dem Gefängnis Kyein Krau Ka, in dem er laut eigener Aussage sieben Jahre als Zwangsarbeiter inhaftiert war. Was fragen Sie ihn weiter?

Prüfling: Ich frage ihn nach einem gültigen Personalausweis.

Prüfer: Richtig. Der Antragsteller gibt an, keinen zu besitzen, da ihm ein solcher niemals ausgestellt worden sei und er die Flucht heimlich antreten musste. Was fragen Sie weiter?

Prüfling: Ich frage ihn, aus welchem Land er jetzt komme.

Prüfer: Richtig. Er gibt an, aus der Schweiz zu kommen. Wie gehen Sie vor?

Prüfling: Da es sich bei der Schweiz um einen sicheren Drittstaat handelt, lehne ich die Behandlung seines Antrags ab und ordne seine sofortige Rückführung in die Schweiz an.

Prüfer: Falsch. Sie haben sein Gesuch zu behandeln.

Prüfling: (ist baff)

Prüfer: Die Schweiz ist kein sicherer Drittstaat für politisch Verfolgte.

Prüfling: Die Schweiz?? (versteht die Welt nicht mehr)

Ich auch nicht.

Franz Hohler

Blaser

I ha mi ehrlech gseit gwunderet, won i gseh ha, dass o dr Rouf Lyssi dä Ufruef vo de Kulturschaffende ungerschtützt. Isch sech dä Lyssi eigentlech bewusst, was für ne wunderbaare Schtoff ihm da bachab geit, we das Ussländergsetz abglehnt wird? – «Schweizer Macker Teil 2» vrzeut d Gschicht vom Standesbeamte Blaser, wo sech vorgno het, keni Schyynehe z schliesse. Sy Ehrgyz isch gross, syni Perfektion vorbiudlech, syni Methoden unkonventionell, aber durchuus im Rahme vom Gsetz. We mr dr Blaser gseh unger frömde Bett ume ligen u Pariser yysammle: «Werum vrhüete di Zwöi, we sis doch ärnscht meine mitenang?» We mr dr Blaser gseh, Nachbaren u Bekannti befrage nach intime Details: «Schtrytte si o mängisch, di Zwöi, u i weler Schprach?» We mr dr Blaser gseh es Formular entwärfe, wo di entscheidendi Fraag drinn luttet: «Chöit dr bewyse, dass es keni vrglyychbare Schwyzzerinnen u Schwyzzer git, wo dr nech chönntet vorschteue, mit nen en Eh yyzgah?» We mr dr Blaser gseh i Schwulen- u Lesbelokau umehange, im Wüsse, dass dert di grööschti Gfahregruppe luuret. – D Tragödie vom Blaser wäär de, dass’r eines Tages uf Fäudforschig ire Rotliechtbar emnen ehrewärte Kolleg würd begägne, wo ne würd bitte, di wunderschöni blutti Frou dert uf dr Bühni voore z hürate. Wüu är, dä Kolleg, bereits vrhüratet wäär, we o unglücklech mit ere Schwyzzere. Ussgrächnet dr Blaser, wo nid chönnt nei sägen u scho gar nid gägenüber emnen ehrewärte Kolleg. Win’r e Brief würd schryben a Bundesrat, öb me nid i däm schpezieue Fau chönnt en Usnahm mache? Oder dr Missbruuch schtoppe dür Misswahle, wo me würd dürefüehre, di Ussländer übere Loufschtääg schicke, dass me würklech nume die würd ynelah, wo hübsch wäären u o vor Mentalität zu üs würde passe. Beteilige chönnt sech di ganzi Bevöukerig u für d Press wäärs es Evènement. D Tragödie vom Blaser wäär de, dass dä Aatrag abglehnt würd u är di Frou nid chönnt hüraten u dä Kolleg müesst i ds Eländ schtürze ... Was het sech dä Lyssi überleit, won’r da ungerschribe het, liechtfertig e grosse Schtoff uszschlah, wo ds Züüg hätt, internationali Beachtig z finde? So dass me nume cha hoffe, dass wenigschtens ds Schtimmvouk di Grössi het, dr Lyssi zu sym Glück z zwinge.

Guy Krneta

Die AutorInnen

Die Schriftstellerin Ruth Schweikert, 1964 in Lörrach geboren, ist in der Schweiz aufgewachsen und lebt in Zürich. 1994 erschien ihr Erzählband «Erdnüsse. Totschlagen». Seither publizierte sie unter anderem die Romane «Augen zu» und «Ohio» im Ammann-Verlag.

Franz Hohler, Schriftsteller und Kabarettist, lebt in Zürich. Sein jüngstes Buch, der Gedichtband «Vom richtigen Gebrauch der Zeit», kam im Luchterhand-Literaturverlag heraus.

Guy Krneta, geboren 1964 in Bern, lebt in Basel. Er ist mit zahlreichen Mundartstücken bekannt geworden. Im Aufbau-Verlag erschien sein Prosaband «Zmitzt im Giätt uss / Mitten im Nirgendwo».