Abstimmung Energiestrategie 2050: Sozial ist diese Wende nicht
Am 21. Mai stimmt die Bevölkerung über das revidierte Energiegesetz ab. Linke, Bürgerliche und Umweltorganisationen sind dafür. Nur die SVP hat das Referendum ergriffen. Ist damit klar, was man stimmen muss?
Das Abstimmungsbüchlein verspricht, mit dem revidierten Energiegesetz werde der Energieverbrauch gesenkt, die Abhängigkeit von fossilen Energien aus dem Ausland reduziert, der Anteil einheimischer erneuerbarer Energien erhöht, und es würden Arbeitsplätze geschaffen. Kurz: «Davon profitieren Wirtschaft und Bevölkerung.» Klingt prächtig. Doch wer zahlt wofür? Wer profitiert? Und bringt die Vorlage die Energiewende?
Wer zahlt?
Es geht um zwei Geldtöpfe, die gefüllt werden müssen. Beide existieren schon seit längerer Zeit: der CO2-Abgabe-Topf und der sogenannte Netzzuschlagtopf.
In den ersten Topf fliessen die Gelder aus der CO2-Abgabe. Sie wird auf Heizöl und Erdgas erhoben. Jährlich kommen so 900 Millionen Franken zusammen. Mit der Abgabe soll der Verbrauch von fossiler Energie gesenkt werden. Bislang floss ein Drittel der CO2-Abgabe ins sogenannte Gebäudeprogramm; damit wird die energetische Sanierung von Häusern subventioniert. Die restlichen 600 Millionen fliessen (via Krankenkasse und AHV) an die Bevölkerung zurück. Mit dem neuen Gesetz steigt zwar nicht die Abgabe, doch sollen die Beiträge für das Gebäudeprogramm erhöht werden. So fliessen 150 Millionen weniger an die Bevölkerung zurück – dafür mehr zu den HauseigentümerInnen.
Der zweite Topf, der Netzzuschlagtopf, ist dafür da, erneuerbare Energien zu fördern. Wer umweltfreundlichen Strom bereitstellt, kann aus diesem Topf Subventionen erhalten.
Alle, die übers Stromnetz Strom beziehen, zahlen pro Kilowattstunde eine Abgabe – deshalb nennt sich das «Netzzuschlag». Heute werden bereits auf jede bezogene Kilowattstunde 1,5 Rappen draufgeschlagen – so kommen im Netzzuschlagtopf jährlich 900 Millionen Franken zusammen. Neu wird im Energiegesetz der Betrag auf 2,3 Rappen pro Kilowattstunde erhöht. Künftig fliessen deshalb 1,38 Milliarden Franken in den Topf. Weil grundsätzlich alle NetznutzerInnen die Abgabe bezahlen, wirkt sie wie eine Erhöhung der unsozialen Mehrwertsteuer auf Strom.
Wer profitiert?
Mit der CO2-Abgabe und dem Netzzuschlag kommen jährlich fast 2,5 Milliarden Franken zusammen. Aus dem ersten Topf bekommen die HauseigentümerInnen für Gebäudesanierungen neu 450 Millionen Franken – was einer Subventionserhöhung von fünfzig Prozent entspricht.
Das alte Energiegesetz hat es schon erlaubt, dass die HauseigentümerInnen die Sanierungskosten von den Steuern absetzen dürfen, allerdings nur im Jahr der Sanierung. Mit dem neuen Energiegesetz können sie dies während dreier Jahre tun. Ausserdem dürfen sie neu auch die Abbruchkosten von den Steuern absetzen, wenn danach ein energiefreundlicheres Haus gebaut wird. Vom CO2-Topf profitieren also künftig primär die HauseigentümerInnen und das Baugewerbe, das die Sanierungen realisiert. Und es profitiert die Umwelt, weil isolierte Häuser mit weniger Öl und Gas beheizt werden müssen.
Die MieterInnen (fast sechzig Prozent der Bevölkerung) profitieren kaum, da sie die Sanierungen nicht beeinflussen können. Theoretisch hätten sie etwas davon, weil die Heizkosten nach der Sanierung tiefer sind. In der Realität nutzen HauseigentümerInnen die Sanierungen jedoch oft, um die Mieten massiv zu erhöhen und höhere Renditen einzustreichen (siehe WOZ Nr. 16/2015 ).
Die 1,38 Milliarden Franken im Netzzuschlagtopf werden für die Förderung von erneuerbaren Energien (Solar-, Wind-, Biogasanlagen und Wasserkraftwerke) eingesetzt. Kleinere Anlagen erhalten einen einmaligen Zuschuss, der zwischen dreissig und sechzig Prozent der Investitionskosten betragen kann. Grössere Anlagen können die Kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) beantragen: Wenn es zum Beispiel achtzehn Rappen kostet, eine Kilowattstunde sauberen Strom bereitzustellen, man dafür auf dem Markt aber nur vier Rappen erhält, bekommen die AnlagenbesitzerInnen die Differenz aus dem Netzzuschlagtopf bezahlt – also vierzehn Rappen pro Kilowattstunde. Für die AnlagenbesitzerInnen ist das ein solides, zuverlässiges Geschäft, wenn sie einmal im Fördersystem drin sind, da die Zuschüsse über mindestens fünfzehn Jahre fliessen.
Allerdings sollen nur noch in den nächsten fünf Jahren Neuanlagen ins Fördersystem aufgenommen werden. Fotovoltaikanlagen erhalten auch nur limitiert Fördermittel – es würden wesentlich mehr Anlagen gebaut, wenn mehr Fördermittel zur Verfügung stünden. Aber auch hier gilt: Von diesem Topf kann nur profitieren, wer Haus- respektive GrundeigentümerIn ist. Kommt hinzu, dass Strom vom eigenen Solarpanel selber konsumiert werden darf – auf diesen Strom zahlen die GrundeigentümerInnen keinerlei Netzabgaben. Die Abgaben sind aber wichtig für das Versorgungssystem, weil damit unter anderem die Stromnetze unterhalten werden; sie machen etwa sechzig Prozent des Strompreises aus, den die KonsumentInnen heute bezahlen. MieterInnen zahlen beispielsweise zwanzig Rappen pro Kilowattstunde, der selbstgemachte Strom kostet nur dreizehn bis achtzehn Rappen. Da lohnt es sich für HauseigentümerInnen oder Unternehmen, eine Solaranlage zu installieren.
Im Sinne einer dezentralen, umweltfreundlichen Stromversorgung profitiert zweifellos auch die Umwelt von den neuen Anlagen. Zudem hilft die Förderung dem Gewerbe, da die vielen Solar-, Wind- und Biogasanlagen und Wasserkraftwerke installiert werden müssen. Mit dem ausgebauten Fördersystem schafft das Energiegesetz auf jeden Fall – in einer männerdominierten Branche – neue Arbeitsplätze.
Kommt damit die Energiewende?
Zuerst muss man «Energiewende» definieren: Es dürfte kein AKW-Strom mehr verbraucht werden und keine fossilen Energien. Im Moment sind 66,5 Prozent der verbrauchten Energien in der Schweiz fossil (Benzin, Gas, Öl, Kohle) und 9 Prozent nuklear (AKW). Die erneuerbaren Energien decken etwa 23 Prozent des Verbrauchs ab. Die Schweiz müsste also langfristig drei Viertel des Energiekonsums durch nachhaltige Energien ersetzen oder rigoros weniger verbrauchen.
Das Energiegesetz enthält einige Zielvorgaben, die sinnvoll und herausfordernd sind: So soll der Energiekonsum pro EinwohnerIn bis 2035 um 43 Prozent sinken. Die Vorlage zielt damit in die richtige Richtung. Positiv ist auch, dass sie den Neubau von AKWs verbietet. Allerdings rechnet es sich im liberalisierten europäischen Strommarkt zurzeit ohnehin nicht, ein AKW zu bauen. Der Wettbewerb hat in den letzten Jahren die Strompreise kaputt gemacht. Selbst bestehende Wasserkraftwerke schreiben Verluste. Kraftwerke rentieren nur, wenn sie billigen Dreckstrom produzieren oder Subventionen erhalten.
Die Stromversorgung wurde fundamental falsch liberalisiert. Nun ein falsch strukturiertes System in ein nachhaltiges umzubauen, kann nicht funktionieren – auch nicht mit dem neuen Energiegesetz. Im Idealfall schöpfen lokale Genossenschaften oder öffentliche Energieversorger die Fördergelder ab. Im schlechtesten Fall machen Firmen, die nur auf hohe Renditen aus sind, Jagd auf die Subventionen. Die Vorlage ist so gestaltet, dass alle im Parlament vertretenen Interessengruppen etwas bekommen haben. Unterm Strich ist es eine Art ökologisches Investitionsprogramm. Dafür kann man durchaus sein.
Die Vorlage legt aber das Kernproblem der heutigen Energiepolitik offen: Es wird unter dem Label Energiewende kaum sichtbar Geld umverteilt, und die Stromproduktion wie die Stromversorgung werden schleichend privatisiert. Damit geht eine verdeckte Entsolidarisierung einher. Es bräuchte eine andere Strategie, die auf Lenkungsabgaben basiert und jene, die wenig Geld haben, nicht benachteiligt. Die ursprüngliche CO2-Abgabe zeigt, wie das gehen könnte. Doch das Energiegesetz verteilt selbst da in die falsche Richtung um.
Ob man Ja oder Nein stimmt, hängt von der eigenen Gewichtung ab. Will man ein ökologisches Investitionsprogramm unterstützen? Oder gegen ein Umverteilungsprojekt stimmen?
Moor oder Stausee?
Eigentlich ist der Fall klar: Moore sind in der Schweiz seit der Annahme der Rothenthurm-Initiative 1987 durch die Verfassung streng geschützt. Trotzdem wird seit Jahren darüber gestritten, ob die Kraftwerke Oberhasli am Grimselpass eine Staumauer erhöhen und so ein Stück Moor überfluten dürfen. Der Bundesrat hatte die Grenze der Moorlandschaft Grimsel kurzerhand 27 Meter über dem heutigen Seespiegel festgelegt. Das sei rechtens, befand nun das Bundesgericht.
Für zukünftige Auseinandersetzungen um Energieanlagen und Landschaftsschutz (vgl. «Wenn nationale Bedeutungen zusammenprallen» ) lässt das nichts Gutes erwarten. Der Fall geht zurück ans Berner Verwaltungsgericht.