Bosnien und Herzegowina: Schleichende Sezession

Nr. 39 –

Nach elf Jahren der Fremdbestimmung sollen die nächsten Wahlen das Land wieder einen. Doch die multiethnische Gemeinschaft gibt es nicht mehr.

Es steht schlecht um Bosnien-Herzegowina. Die wirtschaftlichen und sozialen Reformen haben versagt, die Institutionen sind blockiert. Die serbischen FührerInnen fordern eine Abspaltung der Serbischen Republik - eine der beiden «Einheiten», die zusammen mit der bosniakisch-kroatischen Föderation den Staat Bosnien-Herzegowina bilden. Im Vorfeld der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am 1. Oktober sind die politischen Positionen dieselben wie bei den ersten Wahlen nach dem Krieg im September 1996.

Das Uno-Hochkommissariat für Flüchtlinge hat vor kurzem bekannt gegeben, dass bis heute über eine Million Vertriebene zurückkehren konnten. Die Uno schätzt, dass bis 2,2 Millionen Menschen während des Krieges von 1992 bis 1995 geflüchtet sind. Vor dem Krieg zählte das Land 4,5 Millionen EinwohnerInnen.

Doch in den meisten Fällen handelt es sich nicht um «echte» RückkehrerInnen. Im Text des Friedensabkommens von Dayton, das im Dezember 1995 unterzeichnet wurde und den Krieg beendete, steht: «Alle Vertriebenen haben das Recht auf eine freie Rückkehr und auf eine Rückerstattung ihres Eigentums, dass ihnen während und nach dem Konflikt seit 1991 genommen wurde, oder auf eine Kompensation für ihr Eigentum, wenn dieses nicht wiederhergestellt werden kann.» Allerdings haben besonders in Gebieten, wo die ethnischen Gemeinschaften nicht homogen zusammengesetzt sind, Hunderttausende bereits kurz nach ihrer Rückkehr ihre Länder und Häuser verkauft.

Seither hat sich innerhalb der bosniakisch-kroatischen Föderation der «Austausch» zwischen KroatInnen und bosniakischen MuslimInnen geradezu institutionalisiert. In der kleinen Stadt Donji Vakuf - von KroatInnen Uskoplje genannt - sind heute zwei Stadtteile mit mehr oder weniger einheitlicher ethnischer Zusammensetzung entstanden, obwohl die Gemeinschaft früher stark durchmischt war. Geschätzte 20 000 Menschen leben heute in Donji Vakuf / Uskoplje, rund 5000 weniger als vor dem Krieg. Achtzig Prozent der Liegenschaften wurden an ihre ursprünglichen BesitzerInnen zurückgegeben. Die wiederum haben keine Zeit verloren, ihren Besitz zu verkaufen und in ein Quartier zu ziehen, in dem ihre ethnische Gemeinschaft dominiert.

Der Alltag der Stadt ist von der ethnischen Zugehörigkeit geprägt. Zwar benutzten die Kinder beider Gemeinschaften das gleiche Schulhaus, aber sie werden getrennt unterrichtet und haben kaum Berührungspunkte untereinander. Es gibt ein kroatisches und ein muslimisches öffentliches Spital, und der Stadtrat wird von nationalistischen Parteien dominiert - der Kroatischen Demokratischen Union (HDZ) und der muslimischen Partei der demokratischen Aktion (SDA). Fatima Mehanovic, Abgeordnete der Sozialdemokratischen Partei Kroatiens (SDP), die versucht, eine multiethnische Alternative aufzubauen, sagt, dass ihre Partei nur über wenig Einfluss verfüge und jeweils von den Koalitionen zwischen den nationalistischen Parteien überstimmt wird. «Die Spaltung kommt den Parteien sehr gelegen», sagt Mehanovic. «Sie pflegen ein Klima der Angst, so dass sich die Menschen innerhalb ihrer Gemeinschaft immer mehr abschotten».

Die Situation in Donji Vakuf / Uskoplje ist kein Einzelfall. Auch in den zentral gelegenen Städten Tuzla und Zenica sind inzwischen achtzig Prozent der zurückgegebenen Wohnungen verkauft worden. Und in der Serbischen Republik haben viele der zurückgekehrten BosniakInnen ihre Häuser und Wohnungen sofort verkauft. Genauso wie die SerbInnen in Sarajewo. Als Folge leben heute nur noch rund 20000 SerbInnen in der Hauptstadt, im Vergleich zu den 150 000 vor dem Krieg.

Das kroatische Helsinki-Komitee für Menschenrechte in Bosnien-Herzegowina schätzt, dass es sich bei dem Austausch des Besitzes unter den RückkehrerInnen um die «letzte Phase der ethnischen Säuberungen» handelt.

Neben den ethnischen Diskriminierungen ist es aber auch die prekäre Wirtschaftslage, welche die Menschen vertreibt. Bei einer Arbeitslosigkeit von über fünfzig Prozent ist es für Angehörige einer Minorität noch schwerer, eine Stelle zu finden. Ein Bericht von Amnesty International zeigt, dass viele UnternehmerInnen nur Personen der gleichen ethnischen Angehörigkeit anstellen. Ähnlich ist es in der öffentlichen Verwaltung: NichtserbInnen haben kaum eine Chance, wenn sie sich bei den öffentlichen Diensten der Serbischen Republik bewerben.

Das einstmals multiethnische Bosnien-Herzegowina mit seiner kulturellen Vielfalt reduziert sich heute auf ein Nebeneinander von monoethnischen Gebieten, die von nationalistischen OligarchInnen kontrolliert werden. Nach den Wahlen im Jahr 2000 schien sich mit einem Sieg der SDP in der bosniakisch-kroatischen Föderation und dem der Partei der Unabhängigen Serbischen SozialdemokratInnen (SNSD) in der Serbischen Republik für kurze Zeit eine politische Alternative zu formieren. Zwei Jahre später waren die nationalistischen Parteien aber bereits wieder an der Macht und wollen nun bei den Wahlen am 1. Oktober ihre Vorherrschaft bestätigen.

Zum Anlass des zehnten Jahrestages der Unterzeichnung des Abkommens hatte die Regierung der USA letztes Jahr die verantwortlichen PolitikerInnen zusammengerufen. Sie sollten sich über eine Verfassungsreform einigen, um den Weg zu einer Wiedervereinigung des Landes zu ebnen. Herausgekommen ist dabei nichts, obwohl auch die Europäische Union Reformen fordert - so zum Beispiel die Vereinheitlichung der Polizei und der Streitkräfte.

Auch die bosniakischen Parteien der MuslimInnen, unter ihnen besonders die SDA, wollen den Prozess der Wiedervereinigung des Landes vorantreiben. Die Partei für Bosnien-Herzegowina von Haris Silajdzic, dem ehemaligen Premierminister von 1993 bis 1996, fordert gar die Auflösung der «Einheiten». Dagegen stellen sich jedoch die serbischen Parteien und warnen davor, die Vorrechte der Serbischen Republik anzutasten. Seit diesem Frühling steht der Sozialdemokrat Milorad Dodik der neuen Regierung der Serbischen Republik vor. Allerdings verfügt seine Partei nicht über eine Mehrheit, denn die nationalistischen serbischen Parteien dominieren auch in diesem Parlament. Lange ein «moderater» Politiker, sucht Dodik heute sein politisches Wohl im nationalistischen Umfeld. Vor kurzem verkündete er, dass die Serbische Republik gemäss dem Vorbild von Montenegro das «Recht» habe, ein Referendum zur Abstimmung über die Unabhängigkeit zu organisieren. Eine eventuelle Unabhängigkeitserklärung des Kosovo betrachtet Dodik als Präzedenzfall für die eigene Abspaltung. Die kroatische HDZ wiederum rückt nicht von der Forderung ab, dass eine dritte «Einheit» anerkannt werden sollte. Das kroatische Volk sei durch das Dayton-Abkommen diskriminiert worden. Tatsache ist, dass in Bosnien-Herzegowina ein «Gleichgewicht des Schreckens» der drei nationalistischen Lager herrscht und das Land lähmt.

Die bürgerlichen Parteien, die bei den Wahlen jeweils rund ein Drittel aller Stimmen erhalten, scheinen nicht in der Lage, eine glaubwürdige Alternative anzubieten und müssen sich einmal mehr mit der Position des Aussenseiters begnügen. Und da die städtischen und gebildeten Bevölkerungsschichten - traditionelle Wählerschaft der bürgerlichen Parteien - immer mehr aus dem Land abwandern, könnten sie noch weiter zurückfallen.

Doch um sich von der internationalen Bevormundung befreien zu können, die in Bosnien-Herzegowina seit 1995 herrscht, müssten sich die politischen Parteien erst von ihren demagogischen Positionen lösen. Das Mandat des Hohen Repräsentanten, der für die Uno die Umsetzung des Dayton-Abkommens überwacht, läuft Ende 2007 aus. Eine Nachfolgeregelung ist bisher nicht geplant.