Darts: Das schöne Klong
Tschüge’s Double Twenty Darter gegen den Dart Club Zürich Oberland: Ein Besuch beim Pfeilwurf in einer Beiz in Zürich Schwamendingen.
Das ist der Abend von Nathalie Kallen. Gerade eben hat sie mit drei Würfen 55 Punkte erzielt, nicht einen mehr und nicht einen weniger, und mit dem letzten Pfeil traf sie das notwendige Double (vgl. «Die Regeln» ganz unten). Die grosse, etwas schlaksige junge Frau mit ein paar roten Strähnen in ihrem blonden Haar stand weit vornübergebeugt hinter der Latte auf dem Boden, die die Distanz zum Dartboard an der Wand markiert, verharrte in höchster Konzentration, liess ihren rechten Wurfarm locker auspendeln und rieb unbewusst den Dart am Stoff ihrer Hose, als ob sie ihn noch ein wenig schärfen wollte. Dann hob sie ihren Arm, zielte kurz, und ohne weiter zu zögern liess sie den Dart in einem eleganten Bogen losfliegen: Er landete sauber im 19er-Feld. Dann das Ganze noch einmal: 16. Jetzt blieben von den 55 Punkten noch 20 übrig. Mit dem erlösenden Doppelzehner am Schluss hatte Nathalie das Spiel für sich und damit für ihren Verein, den Dart Club Zürich Oberland, entschieden. Sie dreht sich vom Dartboard weg, schüttelt ihrem Kontrahenten die Hand und fällt ihm lachend um den Hals. Vor ungefähr einer halben Stunde war es ihr noch besser gelaufen, und sie hatte sogar ein sauberes 73er-Finish hingelegt.
Schwamendingen. Das Tram hat sich so gut wie geleert bis zur Endstation Hirzenbach. Ringsum mehrstöckige Wohnmaschinen. Ausser einem Hündeler ist niemand zu sehen auf dem Weg zu Tschüge’s Double Twenty Bar. Hits aus dem Kabelradio Top 2 laufen, an der Bar lehnen die üblichen Langweiler, von den Wänden grüsst Tschüges riesige Pinsammlung. In einer etwas schummrigen Ecke hocken oder stehen ein paar aufgestellte Typen. Sie gehören zum Gastverein Dart Club Zürich Oberland und zum Heimteam Tschüge’s Double Twenty Darter, die in der Dartliga Region Zürich, Serie B, spielen und heute aufeinandertreffen. Sie werfen hier und da mit ihren Darts auf die beiden hell beleuchteten Dartboards, unterhalten sich miteinander, essen einen Teller von Tschüges berühmten Älplermakkaronen und holen sich an der Theke ein «Wändli», einen kleinen Whiskey mit Cola: Einspielen heisst das. Tschüge, Mannschaftscaptain und Beizer, ist «sternverrückt». Von seiner Mannschaft sind ausser ihm nur zwei Spieler gekommen. «Nicht einmal entschuldigt haben die sich!» Sein Team muss deshalb für zwei Spiele Forfait geben und beginnt den Match mit zwei Punkten Rückstand.
Darts stammt aus England und wurde dort vor allem von den Unterschichten gespielt. Ab etwa 1930 begannen sich auch die englischen Oberschichten für Darts zu interessieren. Aber dieser Sport wurde von Anfang an seinen Ruf als Kneipenvergnügen bierseliger Dickwänste nicht los. So schrieb der Engländer Rupert Croft-Cooke 1936 im ersten je über Darts publizierten Buch vom «goldenen Glühen» des Biers im Hirn, ohne das dieses Spiel eigentlich so gut wie sinnlos sei. Heute mögen es die professionellen SpielerInnen verständlicherweise nicht, wenn ihr Sport mit Alkoholkonsum in Verbindung gebracht wird. Ähnlich geht es auch den etwa 300 Schweizer DarterInnen, die an Turnieren teilnehmen oder die in den Klubs der Nationalligen A und B spielen. Aber in den unteren Ligen, wo Darts eher als Hobby und Freizeitvergnügen betrieben wird, sieht das oft etwas anders aus.
Während der Match läuft, entsteht unter den SpielerInnen, die im Moment nicht beteiligt sind, eine Diskussion um die Zukunft des Darts in der Schweiz. SpielerInnen- und Vereinszahlen stagnieren. «Darts lebt von Menschen, die gern in Beizen sind, die die Stimmung hier mit Schnurren, Schulterklopfen und Frozzeln mögen. Aber die Jungen hängen lieber auf Massenpartys her-um.» Tschüge ist pessimistisch. Was bringen die neuen E-Darts, bei denen das Dartboard mit einem elektronischen Rechner kombiniert ist, der die Ergebnisse der Würfe automatisch ausrechnet? «Dabei gehts doch bloss ums Geld. Da kostet ein Spiel einen Franken, während es beim alten Darts gratis ist.» Das meinen fast alle. Tschüge wird grundsätzlicher: «Zu Darts gehört der wunderschöne dumpfe Ton des Pfeils - Klong -, wenn er in die Scheibe eindringt, und das befreiende Gefühl in der Hand, wenn du deine Pfeile aus dem Board herausziehst und die Punkte zusammenzählst.»
Im Spiel selber wird es spannend. Trotz des Handicaps von zwei Punkten gehen Tschüge’s Double Twenty Darter nach drei Games mit 3:2 in Führung, und hätte Nathalie Kallen vom Dart Club Zürich Oberland heute nicht so hervorragend gespielt, wären Tschüges Mannen zum Schluss vielleicht doch nicht mit 5:3 geschlagen worden.
Die Regeln
Die SpielerInnen werfen die bis zu 50 Gramm schweren Pfeile, die Darts, aus einer Entfernung von 2,37 Metern auf die Scheibe, das Dartboard. Das Board ist in zwanzig schmale Dreiecke unterteilt mit den Werten 1 bis 20. Trifft ein Dart in den acht Millimeter schmalen äusseren Ring, zählt der Wurf den doppelten Wert (Double) des entsprechenden Feldes; der innere Ring zählt dreifach (Treble). Der Mittelpunkt, das Bull, zählt 25, das rote Zentrum 50 Punkte. Die mit drei Darts erreichten Punkte in einer Wurfserie werden zusammengezählt. Meistens beginnen die Spiele mit 501 Minuspunkten. Wer zuerst 0 Punkte erreicht, hat gewonnen. Die Crux ist nun, dass ein «leg» nur mit genau diesen 0 Punkten beendet werden kann, keinen weniger, aber auch keinen mehr. Zudem muss mit dem letzten Wurf ein doppelt zählender Wert aus dem äusseren Ring erreicht werden. Wer also einen Rest von 18 Punkten hat, muss einen Doppelneuner erzielen. In einem Match werden in der Regel drei Doppel- und fünf Einzelspiele von mindestens vier SpielerInnen pro Klub ausgetragen.