Hans Haacke: Kunst als Institutionskritik

Nr. 51 –

In Berlin und Hamburg wird der in New York lebende politische Konzeptkünstler mit einer Doppelretrospektive geehrt.

Verbrannt, erstochen, erschlagen, ertränkt oder überfahren: die Namensliste auf der gläsernen Vorderfront der Berliner Akademie der Künste am Pariser Platz erregt die Neugier der TouristInnen aus aller Welt. Nicht weit vom Mahnmal für die ermordeten Juden und Jüdinnen Europas entfernt und in Sichtweite des Berliner Reichstags bezeugen 46 Namen von Todesopfern der letzten Jahre eine schreckliche Kontinuität rassistischer Gewalttaten im wiedervereinigten Deutschland. Hans Haackes Installation «Kein Schöner Land / Weil sie nicht deutsch aussahen» ist ein eindrucksvoller Bestandteil der geografisch zweigeteilten Retrospektive, die dem 1936 in Köln geborenen und seit 1965 in New York lebenden Künstler derzeit in der Berliner Akademie der Künste und in den Deichtorhallen Hamburg gewidmet ist.

In Kassel hatte Haacke sein erstes Staatsexamen als Kunsterzieher gemacht, seitdem lehrt er als Professor an Kunsthochschulen in Deutschland und in den USA. Seine Werke sind weltweit in den wichtigsten öffentlichen Sammlungen präsent. Als internationaler Erfolgskünstler ist Haacke eingebunden in ein Geflecht von institutionellen Abhängigkeiten und damit verbundenen politischen Spielräumen, die er kritisch unter die Lupe zu nehmen und für kulturpolitische Eingriffe zu nutzen versteht. Haacke praktiziert Kunst als Institutionen- und Ideologiekritik.

Am besten gelingt ihm das zumeist dann, wenn er die von vielen seiner KollegInnen verdrängten Abhängigkeiten im Kulturleben auf eine Weise untersucht, die es erlaubt, dass seine Rechercheresultate selbst als Kunstwerke angesehen werden können. Dabei spekuliert er stets auf die Chance, dass Kunstinstitute im liberalen Kapitalismus in der Regel nicht als monolithischer Block agieren, sodass der Zugang zu seinen Werken kaum ganz behindert werden und Zensurmassnahmen als willkommene Aussenverstärkung der gewünschten politischen Öffentlichkeitseffekte eingeplant werden können. Ob auch «Kein Schöner Land» die beabsichtige Wirkung zeitigen und einen öffentlichen Diskurs mit progressiven Wirkungen provozieren wird, bleibt jedoch noch abzuwarten. Folgt man der materialistischen Politästhetik ihres Urhebers, dann vermögen Kunstwerke sich nicht aus eigener Kraft als etwas Besonderes aus der Menge der von Menschen geschaffenen Objekte herauszuheben. Wenn man etwas von den Kräften verstehen will, «die gewisse Produkte in den Rang von Kunstwerken erheben, empfiehlt es sich, sich unter anderem die ökonomische und politische Basis der Institutionen, Personen und Gruppen anzusehen, die an der Kontrolle kultureller Macht teilhaben.»

Einige gelungene Beispiele politischer Aufklärung durch diese Art quasi-soziologischer Konzeptkunst können nun in Berlin studiert werden. Eine schon im Eingangsbereich der Ausstellung platzierte Bildergalerie wirft die Frage auf, wer mit welchen Geldmitteln Edouard Manets «Spargelstillleben» (1890) erworben hat. Inhalt der Bilderfolge ist eine Dokumentation der KäuferInnen- und ErbInnenbiografien bis hin zum ehemaligen Chef der Deutschen Bank Josef Abs und der hinter ihm stehenden Kapitalmacht privater Unternehmen und Stiftungen. Abs, der bereits 1944 in über fünfzig Aufsichtsräten grosser Unternehmen sass, hatte das Gemälde am 18. April 1968 in seiner Funktion als Vorsitzender des Wallraf-Richartz-Kuratoriums dem gleichnamigen Museum im Andenken an Konrad Adenauer als Dauerleihgabe überreicht.

Mit seiner bearbeiteten Dokumentenreihe «Die prognostische Erkenntnistheorie des Gewährbietens am Beispiel des Ausbildungsverbots der Christin Fischer-Defoy» (1976) kämpfte Haacke auf plakative, zugleich jedoch intellektuelle und ästhetisch sensible Weise gegen Radikalenerlass und Berufsverbote in der BRD. Er zeigte in vergrössertem Format die amtlichen Bescheide, mit denen der jungen Frau ein Zugang zum Referendariat (das heisst zum Lehrerberuf) verwehrt wurde. Zu diesem Dokument legte Haacke Porträtfotos der freundlich in die Kamera schauenden jungen Frau, was den kalten Verwaltungsakt der seinerzeitigen Linken- und vor allem KommunistInnenhatz konterkariert. Diese Beispiele belegen, dass der provozierte Skandal bei Haacke niemals nur ein Vehikel zu Befriedigung eigener Geltungssucht oder zur Steigerung seines Marktwertes ist. Haacke will seinen Anteil an der kulturellen Macht als politische Waffe gegen die Herrschenden richten. Im Gespräch mit dem 2002 verstorbenen französischen Soziologen Pierre Bourdieu bezeichnete er «die öffentliche Meinung als eine Art Schlachtfeld (...) von dem wir nicht desertieren dürfen. Man muss vom Gegner lernen.»


Hans Haacke: «wirklich. Werke 1959-2006» in: Akademie der Künste, Berlin, bis 14. Januar; in: HAMBURG Deichtorhallen, bis 5. Februar.