Durch den Monat mit Ricardo Lumengo (Teil 3): Sind Sie bürgerlich?

Nr. 50 –

WOZ: Ihre erste Nationalratssession ist in vollem Gange. Was für Eindrücke haben Sie gewonnen?
Ricardo Lumengo: Mein erster Eindruck ist überwiegend positiv. Ich knüpfe fleissig Kontakte mit RatskollegInnen von links bis rechts und lege damit eine Basis für eine konstruktive Arbeit in den nächsten vier Jahren. Das Treiben im Bundeshaus ist aber auch ziemlich hektisch, und der hohe Lärmpegel ist mir aufgefallen. Rund um den Ratssaal sind sehr viele Leute präsent, die kein offizielles Mandat haben. Das ist der Konzentration auf die eigentlichen Ratsgeschäfte nicht unbedingt dienlich.

Sie werden ab Januar in der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrates (SIK) mitarbeiten. Diese Kommission stand nicht auf Ihrer Wunschliste.
Die Fraktionsleitung musste viele Wünsche von allen Seiten entgegennehmen. Davon konnte sie unmöglich alle erfüllen. Ich freue mich dennoch über diese interessante Aufgabe, für die ich mich als Jurist ja auch eigne.

Ist das ein neues Themengebiet für Sie?
Nein. Bei der SP der Stadt Biel war ich in der Sicherheitsgruppe engagiert. Das war ein parteiinternes Gremium, das Vorschläge zuhanden unserer ParlamentarierInnen ausgearbeitet hat. Später im Stadtparlament habe ich auch Vorstösse im Bereich der Sicherheit im öffentlichen Raum eingereicht. Konkret habe ich etwa von der Stadtregierung Massnahmen gegen zunehmende fremdenfeindliche Übergriffe verlangt, da ich selber Opfer eines solchen Übergriffs geworden war.

Sie wurden Opfer einer fremdenfeindlichen Attacke?
Während meines Wahlkampfes für die Grossratswahlen im April 2006 wurde ich vor dem Bieler Bahnhof attackiert. Aus einer Gruppe von jungen Rechtsextremen kamen zwei Personen auf mich zu. Der eine verpasste mir mit einem Holzstock einen Schlag auf den Kopf. Glücklicherweise wurde ich nicht ernsthaft verletzt. Die Täter konnten bis heute nicht gefasst werden, obwohl es Zeugenaussagen von Passanten gegeben hat.

In Ihrem Profil auf der Website smartvote.ch konnte man nachlesen, dass Sie Militäreinsätze im Innern befürworten. Das ist eine bürgerliche Position.
Ich halte solche Einsätze für sinnvoll, wenn nicht genügend Polizeikräfte verfügbar sind. Es geht mir dabei nicht um die Grundsatzfrage Armee ja oder nein. Fakt ist, dass es zurzeit in der Schweiz eine Armee gibt. Statt anlässlich von Grossanlässen Hilfe bei ausländischen Polizeikorps zu holen, sollte die Armee eingesetzt werden. Sie muss sich aber auf Hilfsleistungen beschränken. Aktive Einsätze von Soldaten gegen die Bevölkerung lehne ich ab.

In Luzern wurden kürzlich Zivilschützer eingesetzt, um verhaftete Demonstrantinnen und Demonstranten zu fotografieren. Zivilschützer waren auch zugegen bei Leibesvisitationen und führten Häftlinge von Zelle zu Zelle. Die Verantwortlichen sagen, es habe sich nur um eine Hilfsleistung gehandelt.
Mit einem solchen Einsatz bin ich nicht einverstanden. Das geht über eine Hilfsleistung hinaus.

Sie sagen «eher Ja» zur Ausweitung der Kompetenzen des Staatsschutzes im Bereich der präventiven Überwachung. In Angola wurden Sie selber durch staatliche Behörden überwacht. Insofern erstaunt Ihre Haltung.
Ich bin ein Verfechter der Grundrechte und der Privatsphäre. Allerdings weiss ich auch, dass diese Grundrechte nicht absolut gelten können. Je nach sicherheitspolitischer Lage muss der Staat im öffentlichen Interesse auch Grundrechte beschränken können. Dabei ist es sehr schwierig, abstrakt sagen zu können, bis wohin der Staat gehen darf. Da die Zukunft nicht vorhersehbar ist, brauchen die Behörden hier einen gewissen rechtlichen Spielraum.

Ricardo Lumengo (45) ist SP-Nationalrat und Jurist aus Biel. Er kam 1982 als Flüchtling aus Angola in die Schweiz.