Durch den Monat mit SP-Nationalrat Ricardo Lumengo (Teil 2): Sind Sie ein Held?

Nr. 49 –

WOZ: Ihre Wahl in den Nationalrat ist auch in den internationalen Medien und besonders in Afrika auf grosses Interesse gestossen.
Ricardo Lumengo: Tatsächlich verbreitete sich diese Neuigkeit rasch. 
Das renommierte Nachrichtenmagazin «Jeune Afrique» berichtete darüber und wird nächstens ein Porträt veröffentlichen. Es haben sich südafrikanische Zeitungen gemeldet, und kürzlich sprach ich mit der BBC. In Afrika ist man offenbar stolz darauf, dass ich als Afrikaner Politik in der Schweiz mache. Eigentlich habe ich eine nationalistische Reaktion erwartet. So à la «Er würde sich besser am demokratischen Aufbau in Afrika beteiligen».

Zurzeit macht ein Video des 
Bundesamts für Migration Schlagzeilen, das Menschen aus Afrika davon abbringen will, in die Schweiz einzuwandern. Was halten Sie davon?
So ein Videoclip ergibt nur Sinn, wenn er sachlich korrekt ist und der Realität entspricht. Unter Umständen könnten so falsche Erwartungen gedämpft werden. Im angesprochenen Spot des BFM wird aber übertrieben und die Würde der in der Schweiz lebenden Ausländer verletzt. Es wird ihnen unterstellt, sie würden ihre Familien zuhause anlügen. Man darf nicht vergessen, dass es Menschen gibt, die gute Gründe haben zu fliehen. Sie benötigen Schutz vor ethnischer oder persönlicher Verfolgung oder müssen vor Unruhen fliehen. Dieser Videoclip sagt ihnen: «Euch wollen wir grundsätzlich nicht bei uns.» Es ist dieselbe Haltung, die bereits zu den unsinnigen Verschärfungen der Asyl- und Ausländerpolitik geführt hat.

Hätte so ein Video einen Einfluss auf Sie gehabt, wenn Sie es vor Ihrer Flucht in die Schweiz gesehen hätten?
Vielleicht schon. Ich hatte ein sehr positives Bild von der Schweiz, assoziierte dieses Land mit Menschenrechten, Neutralität und Engagement gegen Krieg. Dieses Image war einer der Gründe, wieso ich die Schweiz als 
Destination auswählte.

Wie war Ihre damalige Situation in Angola?
Ich war Chemiestudent und Mitglied der Jugendpartei der kommunistischen MPLA. Sie war damals an der Macht und ist es heute noch. Zu der Zeit wurden sehr viele Leute Mitglied der Partei. Das war unerlässlich, wenn man Karriere machen wollte. Wir Jungen organisierten Veranstaltungen, zum Beispiel im Vorfeld des Nationalfeiertags, wo wir im Chor gegen die Rebellen gerichtete Lieder sangen. Später wurde ich kritischer gegenüber der eigenen Partei und begann diese Kritik auch zu äussern, obwohl das damals sehr gefährlich war. Inhaltlich ging es mir um die Wiederherstellung der Demokratie und um ein Ende des Bürgerkriegs.

Wurden Sie eingeschüchtert?
Ich erfuhr auf Umwegen, dass mein Name auf einer Liste von Leuten stand, welche die Regierung beobachten liess. In der Schweiz habe ich mich dann während zehn Jahren für Angola exilpolitisch engagiert. Das war hier viel weniger gefährlich als in Angola selber. Mein Vorbild war die ältere Generation der Exilangolaner und -angolanerinnen, die in den sechziger und siebziger Jahren im Ausland gegen den portugiesischen Kolonialismus angetreten waren, was zur Unabhängigkeit Angolas geführt hat.

Wie agierten Sie von der fernen Schweiz aus?
In Europa konnten sich die Exilangolaner vernetzen. Wir waren publizistisch aktiv und organisierten auch Demonstrationen, etwa vor dem Uno-Sitz in Genf. Wir strebten einen pazifistischen Wandel in Angola an. Die Macht sollte nicht mehr allein der regierenden Partei gehören, aber auch nicht den bewaffneten Rebellen. 1992 gab es einen Waffenstillstand, und freie Wahlen wurden vorbereitet. Nun war plötzlich die Meinungs- und Versammlungsfreiheit gewährleistet. Nach einigen Monaten scheiterte dieser Prozess jedoch, der Bürgerkrieg flammte wieder auf. Heute ist der Bürgerkrieg zum Glück beendet. Angola ist jetzt formell eine Demokratie. Informelle Verfolgung existiert aber noch immer. Die Zeiten des Totalitarismus haben sichtbare Spuren hinterlassen. Dennoch ist die Situation im Allgemeinen viel besser geworden.

Ricardo Lumengo (45) ist SP-Nationalrat und arbeitet als Jurist für eine Gewerkschaft und einen Integrationsverein in Biel.