Lonza: Todesstrafe im Wallis

Nr. 11 –

Die grösste Oberwalliser Firma will ihre Belegschaft länger arbeiten lassen - trotz steigenden Betriebsgewinns. Derweilen bekämpfen sich die Gewerkschaften öffentlich.

Das Werk ist ein Ungetüm. Eingekesselt von hohen Bergen dampft und stampft es vor sich hin, zigtausend Röhren und Leitungen führen den werkeigenen Strassen entlang, bevor sie kolossale Bauten und Verbrennungstürme umschlingen. Die Anlage ist so gross, dass die ArbeiterInnen mit Fahrrädern unterwegs sind. Hergestellt werden hier chemische Basisprodukte und biotechnologische Präparate. An das Wallis der Tourismusprospekte erinnern nur die hinter Röhren und Stahlträgern knapp erkennbaren Chalets an den Hängen des Rhonetals.

Gewinn gesteigert

Wir sind in Visp, dem durch den neuen Lötschbergtunnel bestens erschlossenen Oberwalliser Industriestädtchen. Ein kämpferisches Städtchen, denn hier wird zurzeit ein Arbeitskonflikt ausgetragen: Lonza, die Firma, die das Ungetüm betreibt, hat kürzlich den Kollektivarbeitsvertrag (KAV) mit 1500 Beschäftigten gekündigt und verlangt von seinen ArbeiterInnen zusätzliche neun Tage Arbeit jährlich zwecks Weiterbildung. Als Entschädigung sieht die Lonza eine bescheidene Erhöhung des jährlichen Bonus vor.

Gleichzeitig will die Firma aber auch den Bonus von einer neuen Bedingung abhängig machen: Konkret soll keinem der 2800 Beschäftigten ein Bonus ausbezahlt werden, falls es im Werk zu einem tödlichen Unfall kommt. Die Gewerkschaft Unia hat diese Forderung in einem Inserat als «Todesstrafe» bezeichnet und hält sie für illegal.

Die Lonza ihrerseits hat im letzten Jahr ihren Gewinn auf über 300 Millionen Franken steigern können (vgl. Kasten). Wie vertragen sich steigende Gewinne mit einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen? Horst Johner, Personalverantwortlicher der Lonza Visp, wollte die Interviewfragen vorgängig zugeschickt bekommen. Deshalb liegt vor Johner auf dem Tisch nun ein vorbereitetes Antwortenskript. «Die Lonza hat den KAV gekündigt, um den Standort Visp zu stärken», beginnt Johner seine Ausführungen. Der Standort sei zwar rentabel, aber der Trend der Ergebnisse sei seit vier Jahren rückläufig. «Es handelt sich also nicht um eine problematische Lage, aber wir brauchen eine Trendwende», sagt er mit ernster Miene. Die Lonza habe in Visp die Strategie geändert und investiere viel Geld in Biotechnologien. «Nun müssen auch die Mitarbeitenden ihren Beitrag leisten. Die neuen Technologien bedingen viel Aus- und Weiterbildung», sagt Johner. Als hätte er etwas Wichtiges vergessen, fügt er rasch an, dass dies auch der Arbeitsmarktfähigkeit der Mitarbeitenden zugute komme. Die Frage nach der «Todesstrafe» stand nicht auf der Interviewfragenliste. Johner mag sich denn auch nicht inhaltlich dazu äussern, er sagt lediglich, die Forderung sei Teil der in den nächsten Tagen anstehenden Verhandlungen mit den Gewerkschaften. Angesprochen auf den Unmut seiner Verhandlungspartner sind nur vorsichtige Töne zu hören: «Es ist uns wichtig, dass wir mit beiden Gewerkschaften konstruktive Lösungen finden können.»

Gemeinsamer Arbeitskampf

Visp wird von einem hohen Wall in zwei Hälften geteilt. Der Wall führt das Eisenbahntrassee zum neu erstellten überdimensionierten Bahnhof und von dort zum Lötschbergtunnel. Auf der einen Seite des Walls liegt das Lonza-Werk, auf der anderen Seite das nicht gerade von genialer Architektur strotzende Visper Stadtzentrum. Hier haben die beiden Gewerkschaften ihren Sitz. Einerseits die christliche Syna, deren Vorgängerorganisationen seit Jahrzehnten die Angestellten der Lonza vertreten, andererseits die «rote Unia» («Walliser Bote») die später auftrat, aber heute mehr Lonza-ArbeiterInnen als die Syna vertritt.

Nachdem die Lonza auf Weihnachten hin den geltenden KAV gekündigt hatte, setzten sich die beiden Gewerkschaften zusammen und riefen ihre Basis zu einer gemeinsamen Versammlung Anfang Februar auf. Fredy Amherd, seit zwanzig Jahren Lonza-Arbeiter und Präsident der Unia-Betriebsgruppe, erinnert sich: «Die Leute haben sich aufgeregt, dementsprechend sind auch die Voten ausgefallen. Die 400 Versammlungsteilnehmer von Unia und Syna haben eine klare Resolution verabschiedet.» Diese gemeinsame Resolution trägt den Titel «Nein zur Arbeitszeiterhöhung!». Unterzeichnet hat sie auch Johann Tscherrig, der Regionalsekretär und Koordinator der Syna Oberwallis.

Geheim verhandelt?

Doch seit zwei Wochen ist nichts mehr von einer Kooperation der beiden Gewerkschaften zu spüren. Im Gegenteil: Die bisher gemeinsam herausgegebene Werkszeitung «Montags-Click» wird nun plötzlich nur noch von der Unia gestaltet. In der Sonderausgabe vom 29. Februar ist das Logo der Syna rot durchgestrichen, und ihr werden ein «Rückenschuss», «offene Kapitulation» und «Wortbruch» vorgeworfen. Neben einem Bild von Johann Tscherrig heisst es, er habe an der Versammlung «grosse Worte geschwungen» und sei dann in «Geheimverhandlungen mit der Lonza» abgetaucht. Was ist geschehen?

Die Syna-Leitung hat ein detailliertes «Arbeitspapier» erstellt, das sie ihren Mitgliedern zur Vernehmlassung zugestellt hat. Darin schlägt sie vor, den zusätzlichen Arbeitsaufwand für Ausbildungszwecke auf fünf Tage zu beschränken und die «Todesstrafe» zu streichen, wenn die Lonza im Gegenzug die KAV-Kündigung zurückzieht. Das angeblich interne Arbeitspapier blieb nicht intern, sondern landete beim «Walliser Boten» und erzürnte die Unia. «Wenn ein Arbeitspapier breit herumgemailt wird, dann ist das kein Arbeitspapier mehr, sondern ein Vorschlag», sagt Fredy Amherd. Man könne doch nicht schon vor den Verhandlungen die weisse Fahne hissen, so der Schichtarbeiter. Die Unia ist zudem überzeugt, dass das Papier ein Resultat geheimer Verhandlungen der Syna mit der Lonza sei.

Einen Steinwurf vom Unia-Sitz entfernt befindet sich das Visper Syna-Sekretariat. Statt rot dominiert hier blau die Innenausstattung. Während bei der Unia ein Poster der Punkband «Los Fastidios» die Wand ziert, begnügt man sich hier auf Ostern hin mit putzigen Plastikküken als Dekoration. Und an der Wand hängt ein Syna-Maskottchen, das aussieht wie ein altes Kopfkissen mit aufgemalten Augen.

Konstruktiv statt Klassenkampf

Johann Tscherrig sitzt in seinem Büro an einem edlen Glastisch und wirkt gar nicht wie ein klassischer Gewerkschafter. Am liebsten spricht er über «konstruktive Lösungswege». Kaum ein Satz ohne die gebetartig wiederholte Formulierung. Dabei gestikuliert Tscherrig, und wüsste man es nicht besser, wähnte man sich einem rhetorisch begabten Pfarrer gegenüber.

Der Vorwurf, er habe Geheimverhandlungen geführt, sei lächerlich, sagt Tscherrig. «Wir haben lediglich eine interne Umfrage bei unseren Mitgliedern durchgeführt. Es ist ein demokratisches Recht und unsere Pflicht als Gewerkschaft, dass wir unsere Basis Stellung nehmen lassen», so Tscherrig. Das Arbeitspapier habe die Syna auch der Unia zur Kenntnisnahme zugeschickt und erwartet, dass diese den Vorschlag auch mit ihren Leuten bespreche. Dass er wegen dieser Befragung «öffentlich zerrissen wird», kann Tscherrig nicht verstehen. Auf die Frage nach dem Unterscheid zwischen der Unia und der Syna wird er dann angriffslustiger: «Wir suchen eher nach konstruktiven Lösungswegen und betreiben keinen Klassenkampf.» Achtzig Prozent der Rückmeldungen auf das Syna-Arbeitspapier seien in der Stossrichtung positiv gewesen. Die über hundert Rückmeldungen hätten aber auch ergeben, dass die Basis nur weniger als fünf zusätzliche Ausbildungstage akzeptieren wolle und dass sie eine höhere Entschädigung fordere.

Dass die kämpferischere Haltung der Unia derzeit populärer ist, zeigt sich vor den Toren des Lonza-Werkes. Beim Schichtwechsel reden auch die Angestellten, die keiner Gewerkschaft angehören. Ein Lehrling erzählt von heftigen Diskussionen im Werk. Für ihn sei klar, dass die Syna seinen Kollegen von der Schichtarbeit in den Rücken gefallen sei. Ein Arbeiter, der seit neun Jahren bei der Lonza ist, macht ebenfalls die Syna für den Schlamassel verantwortlich. Vor dem Tor mag sich niemand öffentlich hinter die Syna stellen. Tscherrig bestätigt denn auch, dass einige Mitglieder aus der Syna ausgetreten seien, aber keine Massen. Konkrete Zahlen will er keine nennen. Derweilen teilt die Unia mit, dass sie fast täglich Neumitglieder begrüsse.

Am Erscheinungstag dieser WOZ beginnen die offiziellen Verhandlungen mit der Lonza. Dass sich die Firma ins Fäustchen lacht, wenn die Gewerkschaften nicht geeint auftreten, liegt auf der Hand. Syna und Unia betonen deswegen auch, dass sie diese Verhandlungen wieder gemeinsam führen wollen. Die Zeit drängt.

Die Lonza und das Geld

In Visp stellt die Lonza biotechnologische Spezialitäten und traditionelle Basischemikalien her. Es ist der grösste Standort der Gruppe, die weltweit 26 Produktionsanlagen betreibt und insgesamt 7700 Mitarbeitende beschäftigt. Derzeit laufen die Geschäfte der Lonza-Group gut. Letztes Jahr machte die Firma mit Hauptsitz in Basel etwa 300 Millionen Franken Reingewinn. Das sind spektakuläre 51 Prozent Zuwachs gegenüber dem Vorjahr. Dieser Erfolg entlockte dem Wirtschaftsblatt «Financial Times Deutschland» die Schlagzeile, die Lonza stehle ihren Basler Nachbarn (den Pharmamultis Novartis und Roche) die Show. Doch Lonza-CEO Stefan Borgas hat noch nicht genug. Er will den Betriebsgewinn weiterhin jährlich um zwischen fünfzehn und zwanzig Prozent steigern.

Dadurch steigen natürlich auch Borgas Bezüge rasant an. Laut der unabhängigen Walliser Zeitung «Rote Annelise», hat die Konzernführung 2006 knapp vierzehn Millionen Franken bezogen - etwa doppelt so viel wie im Jahr zuvor. Die Zahlen vom letzten Jahr wurden noch nicht veröffentlicht. Gehörte die Lonza früher dem Blocher-Clan und Martin Ebner, so wird sie heute vor allem von grossen amerikanischen Investmentfonds kontrolliert.