Die Hirslanden-Story (Teil 1): Alles ausser Herzen

Nr. 19 –

Welche Interessen stehen hinter der Abstimmungsvorlage zum Gesundheitswesen? Zum Beispiel jene der Hirslanden-Gruppe. Hier die wahre Geschichte der Privatisierer unserer Steuergelder und Krankenkassenprämien.

Wie aus dem Nichts war Robert Bider im Foyer aufgetaucht. Selbst der Marketingverantwortliche Urs Brogli scheint überrascht. Er bittet ins Sitzungszimmer im 7. Stock des Head Office der Hirslanden-Gruppe, ein Geschäftshaus draussen am Zürichhorn. Man hat Aussicht auf den See, aber nur vom Büro des CEO aus. Robert Bider oder Mister Hirslanden, wie Brogli ihn nennt. «Ohne ihn gäbe es das alles nicht. Sie könnten keinen besseren Gesprächspartner haben.»

Seit 23 Jahren leitet Bider die Zürcher Klinik Hirslanden. Vorher studierte er an der ETH, dann war er Assistent des Verwaltungsdirektors am Universitätsspital. Bider baute die Klinik aus zur Hirslanden-Gruppe, zum grössten Privatspitalkonzern der Schweiz: dreizehn Kliniken quer verteilt durchs Land, von der Klinik am Rosenberg in Heiden AR bis zur Clinique Cecil in Lausanne. Umsatz gemäss Jahresbericht 2006: 907 Millionen Franken.

Die Aufstellung

«Mein erstes Ziel war es, die Klinik auf die Stufe eines Universitätsspitals zu bringen», sagt Bider. Zu Beginn seien abends oder am Wochenende keine Ärzte dagewesen. Selbst in der Anästhesie nicht. Und es habe keine ausreichende Technik gegeben. «Damit war keine schwere Medizin möglich, keine schwere Chirurgie.»

Robert Bider, der Mann mit den silbergrauen Haaren und den blassen Augen, lächelt und sagt: «Von meinen Kontakten im Universitätsspital kannte ich die Ärzte, die in der Privatwirtschaft einen Platz zum Arbeiten suchten.»

Zusammen mit Kardiologen und Herzchirurgen gründet er das Herzzentrum Hirslanden. «Mit einer Intensivstation, 24 Stunden, 365 Tage im Betrieb.» Das sei die Grundlage gewesen, um andere Disziplinen anzuziehen. Sie werden heute in sogenannten Kompetenzzentren zusammengefasst. Die ÄrztInnen bleiben wirtschaftlich selbstständig. Sie verrechnen ihre Arbeit, und die Hirslanden verrechnet ihre Leistungen, beispielsweise eine Gebühr für den Operationssaal inklusive Material. Für den Dauerbetrieb sorgen Ärzte, die in den Hirslanden-Kliniken ihre eigenen Praxen betreiben. Auch sie: wirtschaftlich selbstständig. «Das lässt sich schnell multiplizieren», sagt Bider. Die Hirslanden rühmt sich, hundert Kompetenzzentren zu betreiben und 1300 FachärztInnen zu beschäftigen. «Das war meine erste Vision», sagt Bider.

Die zweite grosse Zielsetzung war die Regionalisierung. Die ganze Schweiz soll von der Hirslanden gesundheitlich versorgt werden können. «Und zwar primär unsere Stammkundschaft, die PatientInnen mit Zusatzversicherung», sagt Bider. Um sogleich zu betonen, dass über die ganze Schweiz ein Drittel ihrer PatientInnen bloss grundversichert sei.

Aber nicht nur aus dem Inland kommen die Kunden: Auf ihrer Website wirbt die Hirslanden für «medical tourism»: «If you choose to travel to Switzerland for medical treatment, our country has plenty of other opportunities to offer you as well», heisst es unter einem Foto mit Alpaufzug. (Sinngemäss übersetzt: Lassen sie sich in der Schweiz behandeln, es ist hier auch sonst einiges los.) Die Hirslanden betreibt Agenturen in Moskau und in Abu Dhabi und hat Verträge mit Luxushotels, vom Palace Luzern bis zum Eden au Lac Zürich. Aus Russland und dem arabischen Raum kommen die meisten PatientInnen - und aus Deutschland. «Doch die TouristInnen machen nur zwei bis drei Prozent aus», sagen Bider und Brogli unisono.

Eine Hochglanz-Analyse

Bei der Zusammensetzung der Klientel setzen denn auch die KritikerInnen der Hirslanden an. Letzten Sommer beispielsweise fand in der «Schweizerischen Ärztezeitung» eine Debatte statt. Sie war engagiert, mit Rede und Widerrede, über mehrere Ausgaben. Doch sie ging nicht über die Fachpresse hinaus, darum hier eine kurze Zusammenfassung.

Martin F. Fey, Chefarzt für Medizinische Onkologie am Berner Inselspital, meldete sich zuerst zu Wort. Fey schrieb, er habe den Hochglanz-Jahresbericht von der Hirslanden, der alljährlich der Ärztezeitung beiliege, für einmal genau studiert. Darin werde das Loblied eines wettbewerbsorientierten Systems im Gesundheitswesen gesungen und der Staatsdoktrin eine klare Abfuhr erteilt. Doch die Ideen und Konzepte der Hirslanden-Gruppe würden nur dann wirtschaftlich greifen, «wenn die Privatspitalgruppe in ihrem Hinterland ein staatlich subventioniertes Gesundheitswesen weiss, dass ihr die unrentablen Fälle abnimmt».

Die Hirslanden betreibe eine Hightech-Chirurgie für eine hochgradig selektionierte Klientel, so Fey. «Wenn die Leistungsstatistik der Hirslanden repräsentativ wäre für die gesundheitlichen Probleme der Schweizer Bevölkerung, so litten wir offenbar in erster Linie an operationswürdigen orthopädischen Erkrankungen, gefolgt von Problemen aus der Inneren Medizin, der Kardiologie und Gynäkologie. Wo sind Geriatrie, Rehabilitation, Rheumatologie, das heisst die häufigen Probleme der hausärztlichen Praxis zu finden?» Im Übrigen bilde die Hirslanden keine Ärzte aus, sondern werbe sie nur in öffentlichen Spitälern ab.

In einer der nächsten Ausgaben der Ärztezeitung antwortete die Hirslanden-Gruppe und bezichtigte Fey reiner Polemik. «Die Vorstellung, dass Hirslanden wenige hoch rentable Eingriffe durchführe, entbehrt jeder Grundlage. Alle Patienten werden unabhängig von ihrem Versicherungsstatus ambulant und stationär behandelt.» Der hohe Anteil an privat versicherten PatientInnen erkläre sich dadurch, dass in bestimmten Kantonen die Hirslanden vom Gesetz her keine grundversicherten PatientInnen behandeln dürfe, so etwa in Zürich.

Doch Fey liess sich nicht beirren und schrieb erneut: dass die Hirslanden gewisse Untersuchungen nicht aufgrund wissenschaftlicher Evidenz, sondern aus «Marktgründen» anbiete. So etwa einen «Basis-Check-up» für Personen über vierzig. Dabei würden oft irrelevante Befunde aufgedeckt, die dann weiter abgeklärt werden könnten: kassenpflichtig, kostentreibend.

Im Gespräch bleiben Bider und Brogli bei ihrer Darstellung: «Wir bieten alles an, ausser Herztransplantationen. Und wir sind kostengünstiger als die öffentlichen Spitäler, denn wir kriegen keine Subventionen.»

Der Zigarettenkönig

Dass dabei auch ein grosser Gewinn abfällt, zeigt ein Blick auf die Besitzverhältnisse. Ursprünglich gehörte die Hirslanden der Schweizerischen Bankgesellschaft SBG, später deren Nachfolger UBS. 2002 verkaufte die Bank die Gruppe an die britische Beteiligungsgesellschaft BC Partners. Diese bezahlte 930 Millionen Franken. Im August letzten Jahres verkaufte BC Partners die Hirslanden weiter an die südafrikanische Medi-Clinic Corporation. Für 2,8 Milliarden Franken. Abzüglich der getätigten Investitionen, etwa den Zukauf der Luzerner Klinik St. Anna, berechneten WirtschaftsjournalistInnen damals einen stolzen Gewinn von 1,4 Milliarden Franken für BC Partners.

Die Privatspitäler der Medi-Clinic sind aus der Rembrandt-Gruppe von Anton Rupert entstanden. Der Chemiker aus der burischen Bourgeoisie avancierte während der Apartheid zum Tycoon. Nachdem er zuerst selbst Zigaretten produziert hatte, gelang es ihm in den fünfziger Jahren, die Marken Lucky Strike, Peter Stuyvesant und andere mehr zu kaufen. Rupert exportierte in 27 Länder und soll auf dem Höhepunkt seines Erfolgs jede zehnte Zigarette der Welt produziert haben. In den achtziger Jahren konzentrierte er sich auf den Kauf von Luxusmarken wie Montblanc, Piaget oder Karl Lagerfeld. 1983 wurde die Medi-Clinic Corporation gegründet, mit Edwin de la Hertzog als Vorsitzendem.

Als die Apartheid zu Ende ging, konzentrierte Rupert seine Vermögenswerte in der Luxus- und Tabakwarengruppe Richemont zuerst in Zug und später in Genf. Verwaltungsratspräsident wurde Ruperts Freund und damaliger SBG-Präsident Niklaus Senn. Ruperts Sohn Johann kaufte mit Dunhill und Cartier weitere Luxusmarken dazu. 1999 wurde die Tabaksparte mit American Tobacco fusioniert, 2000 wurde die Investmentgesellschaft Remgro Limited gegründet. Diese hält heute an der Medi-Clinic Corporation 47,6 Prozent.

Robert Bider erinnert sich, dass er Mitte der achtziger Jahre erstmals mit Edwin de la Hertzog Kontakt hatte - dieser sei über Niklaus Senn zustande gekommen. Er habe Hertzog eine Führung durch die Hirslanden-Klinik gegeben. Den Verkauf mehr als zwanzig Jahre später habe er dann «sehr unterstützt», sagt Bider. Die Medi-Clinic sei die einzige Spitalgruppe weltweit, welche sich die Hirslanden habe leisten können. Sie sei sehr «marktmässig» orientiert und in Johannesburg an der Börse kotiert.

Monismus und Vertragsfreiheit

Ist die Börse auch ein Ziel für die Hirslanden? Bider wiegelt ab. Zuerst müsse die Integration in die Medi-Clinic gelingen. Denn das gemeinsame Ziel sei klar: zur ersten international tätigen Spitalgruppe zu werden. «Das gibt es nämlich nicht. Selbst die amerikanischen Gruppen unterhalten in Europa bestenfalls Niederlassungen.» Bider sagt: «Wir müssen klären, worin der Nutzen einer internationalen Gruppe liegen könnte.» Und: «Dann müssen wir ihn multiplizieren.» Die Medi-Clinic ist immerhin schon Hauptaktionärin der grössten Privatklinikgruppe in Dubai.

International tätig werden - das heisst auch, den heimischen Markt zu knacken. Dazu gibt es zwei Zauberwörter: Kassenmonismus und Vertragsfreiheit. Kassenmonismus bedeutet Finanzierung aus einer Hand: Bisher zahlen die Kantone mit den Steuereinnahmen und die Krankenkassen mit den Versicherungsprämien je zur Hälfte die Gesundheitskosten. Nach dem Monismus sollen die Steuern in Milliardenhöhe direkt zu den Krankenkassen fliessen. Und diese allein - oder allenfalls ein staatlicher Regulator - über ihre Verwendung entscheiden.

Die Vertragsfreiheit ist ein irreführender Begriff. Er meint die Freiheit der Krankenkassen, mit ÄrztInnen einen Tarifvertrag abzuschliessen. Heute besteht ein gesetzlicher Zwang, dies zu tun. Für die PatientInnen bedeutet die Vertragsfreiheit umgekehrt das Ende der freien Arztwahl. Bei einer Einführung könnten sie sich nur noch von ÄrztInnen behandeln lassen, die auf der Liste ihrer Krankenkasse stehen.

Bider sagt im Gespräch: «Das Geld des Steuerzahlers gehört weder dem Kanton noch der Krankenkasse. Sondern dem Patienten. Das Geld folgt dem Patienten - money follows patient. Das muss der Grundsatz sein.» Brogli sagt: «Diesen Grundsatz haben wir selbst entwickelt. Wir denken schon seit acht, zehn Jahren über den Monismus nach.» Bider sagt: «Und zur Vertragsfreiheit - ich weiss nicht, weshalb die Ärztinnen nicht vom Staat unabhängiger werden und sich der Konkurrenz stellen wollen.»

Im Verwaltungsrat der Hirslanden-Gruppe sitzen nicht nur Robert Bider und Edwin de la Hertzog. Sondern auch Prof. Dr. rer. pol. Robert E. Leu und Prof. Dr. med. Felix Gutzwiller.

Robert E. Leu, Volkswirtschaftslehrer an der Universität Bern und Mitglied nicht nur im Verwaltungsrat der Hirslanden, sondern auch in jenem der Krankenkasse Visana, hat das Regulatormodell zur Einführung des Monismus mitentwickelt.

Felix Gutzwiller, Professor am Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Zürich und Mitglied nicht nur im Verwaltungsrat der Hirslanden, sondern auch in jenem der Krankenkasse Sanitas, trat am 18. September 2007 im Nationalrat ans Rednerpult, um das Schweizer Gesundheitswesen zu revolutionieren. Gutzwiller, der Vorkämpfer für ein Rauchverbot, dessen Verwaltungsratshonorar letztlich aus dem Zigarettenhandel der Investmentgesellschaft Remgro stammt.

Acht, zehn Jahre hatten sie alle über den Monismus und die Vertragsfreiheit nachgedacht. Plötzlich ergab sich eine unerwartete Gelegenheit.



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Im Untergeschoss der Zukunft

Gutzwiller hat das Vergnügen. Die entscheidende Debatte. Noch mehr Visionen. Duftmarketing und Gebärsuiten.