Asyl und Gesundheit: Notfalls vors Bundesgericht
Das Bundesamt für Gesundheit ist beunruhigt, dass abgewiesene Asylsuchende nur noch in Notfällen Hilfe erhalten.
Wer in der Schweiz wohnt - ob legal oder illegal -, muss krankenversichert sein. Wer krankenversichert ist, hat Anspruch auf die im Krankenversicherungsgesetz KVG vorgesehenen Leistungen. So weit die Theorie. Anders sieht es in der Praxis aus: Mehrere Kantone, darunter Bern, Solothurn, Graubünden und Zürich, schliessen seit Beginn dieses Jahres abgewiesene Asylsuchende von der Krankenkasse aus. Im Rahmen der Nothilfe erhalten die betroffenen Personen nur noch medizinische Hilfe in «Notfällen» (siehe WOZ Nr. 10/08).
Mitte März wandte sich die Solothurner Asylaktivistin Françoise Kopf brieflich an Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf und forderte diese auf, sofort Massnahmen zu ergreifen, «um die Legalität wiederherzustellen» und den Betroffenen die normale Gesundheitsversorgung zukommen zu lassen. Am Mittwoch hat Kopf nun in einer Medienmitteilung die Antwort von Widmer-Schlumpf publiziert: Die Bundesrätin verteidigt darin die Praxis der eingeschränkten medizinischen Versorgung, geht aber nicht auf die rechtliche Argumentation von Kopf ein. «Ich sehe keinen Grund zu intervenieren», schreibt die Justizministerin und verweist auf das «zuständige» Bundesamt für Gesundheit (BAG). Tatsächlich schickte Ende April auch Thomas Zeltner, Direktor des BAG, im Auftrag von Bundespräsident Pascal Couchepin einen Brief an Françoise Kopf. Darin gab er ihr vollumfänglich recht: «Ich sehe keine Begründung, die eine Ausserkraftsetzung des KVG in diesem Punkt rechtfertigen könnte.» Er sei angesichts der Praxis der Kantone «beunruhigt und überrascht», und sein Amt werde darüber wachen, dass die Kantone und die Krankenkassen das Gesetz künftig korrekt anwenden würden.
Nur: Das BAG kann die Kantone zu nichts zwingen, es kann lediglich Empfehlungen abgeben. Bei der Konferenz der kantonalen Sozialdirektoren (SODK) hat man den Brief des BAG noch nicht erhalten: «Wir warten gespannt auf rechtliche Präzisierungen», sagt SODK-Generalsekretärin Margrith Hanselmann.
Der auf Asylrecht spezialisierte Anwalt Peter Nideröst meint dazu: «Sollten die Kantone nicht zur Vernunft kommen, müssen wir lokal in den einzelnen Kantonen politischen Druck aufbauen.» Wenn das nichts nütze, werde man klagen und notfalls bis vor Bundesgericht ziehen. «Die Chancen auf Erfolg vor Gericht sind sehr hoch», so Niderösts Einschätzung.