Franz Hohler: Mit Mütze und Cello

Nr. 38 –


Ob er die existenzielle Veränderung beschreibt, die einen alternden Jemand mitten auf dem Trottoir überfällt, nachdem ihm die Mütze vom Kopf gefallen ist, ob er die Verwunderung schildert, die jemanden erfasst, wenn ihn ein banales Handygespräch, das er im Zugabteil gezwungenermassen mithört, plötzlich zum Mitempfänger der «uralten Botschaft» werden lässt, «dass uns ein Kind geboren wurde», oder ob er im Bahnhof von weitem hinter Glas das vielsagende «Mona-Lisa-Lächeln» einer Schalterbeamtin entdeckt: Franz Hohler braucht wenige, wie beiläufig dahingeschriebene Sätze, und schon befinden wir uns in einer anderen Welt mitten in der unseren.

Franz Hohler hat eine phänomenale Begabung. Er kann zuhören. Hohler ist aber nicht nur ein phänomenaler Zuhörer. Er ist ein höchst präziser, realitätsfreundlicher Fantast. Die genaue Fantasie zieht sich auch durch «Das Ende eines ganz normalen Tages», einer Sammlung von kurzen Geschichten, die allesamt aus der Mitte des ganz normalen Alltags kommen - und ohne grosses Aufheben und ganz unabgehoben in grosse Erzählungen münden.

Hohlers Geschichten haben einen freundschaftlichen Ton. Aus unaufdringlichen Melodien hört man leise Melancholie heraus, stillen Humor, Dankbarkeit und Gemeinschaftssinn. Wieder einmal wird einem bewusst, was ihn ausmacht und ihn von vielen berühmten AutorInnen in diesem Land unterscheidet: Hohlers Teilnahme an der Umgebung ist nie eine primär künstlerisch interessierte und deshalb auch nicht voyeuristisch. Zwischen den Zeilen ist ein ganz normales Interesse spürbar, eine unspektakuläre, unangestrengte Solidarität mit Menschen, Tieren und manchmal auch Pflanzen. Als LeserIn wird man sanft aus der einsamen Beobachterrolle geschupst: in ein Gemeinschaftsgefühl hinein. Besonders berührend kommt dies in der Geschichte zum Ausdruck, in der der Autor und einstige Musikkabarettist beschreibt, wie er dank seines musischen Grossvaters, eines Fabrikarbeiters, zum Instrument gefunden hat, das ihn sein ganzes Leben begleiten sollte: das Cello.

Franz Hohler: Das Ende eines ganz normalen Tages. Luchterhand. München 2008. 109 Seiten. Fr. 31.90