In Zukunft: Die Freien und die StarkolumnistInnen

Nr. 42 –

Die neue Gewerkschaft braucht eine Mediensektion, um wieder Medienpolitik betreiben zu können.

Die geplante Fusion von drei Gewerkschaften zu einer Grossgewerkschaft des Service public ist auch für die JournalistInnen eine Chance. Um sie zu nützen, braucht es klare und realistische Vorstellungen.

Als ich 1991 letztmals auf der Redaktion einer grossen Tageszeitung arbeitete, zahlten wir für einen ganzseitigen Rechercheartikel 1500 Franken. Siebzehn Jahre später bezahlt die gleiche Tageszeitung für einen ganzseitigen Artikel 1000 bis 1200 Franken, und andere Tageszeitungen berappen noch weniger. Generell sind die Honorare im Zeitungsgewerbe nicht nur real, sondern sogar nominal gesunken.

Das ist ein Skandal. Und kaum jemand kümmert sich drum.

Seit Jahren keinen GAV mehr

Nun mögen fest angestellte RedaktorInnen und StarkolumnistInnen mehr verdienen als früher. Aber die Schere ist, wie überall, stärker aufgegangen zwischen denen da oben und uns da unten. Die Freien sind besonders betroffen. Die Prekarisierung hat sie längst erreicht. Verschlechterte Arbeitsbedingungen, verschlechtertes Arbeitsklima: genügend Gründe, warum kollektive Organisierung im Medienbereich nötiger ist denn je.

In den letzten zehn Jahren ist das in der Comedia nur ungenügend möglich gewesen. Die Comedia wurde 1999 als Branchengewerkschaft gegründet. JournalistInnen und DruckerInnen schlossen sich zusammen, weil sie mit denselben Chefs zu tun hatten. Das ergab theoretisch Sinn, hat aber praktisch nicht funktioniert.

In der Comedia bestand von vornherein ein Ungleichgewicht. Im technischen Bereich war sie nach wie vor gut organisiert, dazu kamen ein paar JournalistInnen und BuchhändlerInnen. Das Resultat sieht dementsprechend aus: Seit mehreren Jahren gibt es für die JournalistInnen keinen GAV mehr; auf der anderen Seite hat die Comedia die medienpolitische Stimme verloren, welche die frühere JournalistInnenunion SJU einst besass.

Der jetzige Fusionsprozess von Comedia mit dem VPOD und der Gewerkschaft Kommunikation Geko ist der richtige Ansatz - oder der am wenigsten falsche. Die künftige Gewerkschaft wird zuweilen als eine des Service public propagiert. Karl Biffiger, Ex-SJU-Präsident, hat dafür den schönen Namen Publico vorgeschlagen. Allerdings hat die Fusion für JournalistInnen nur Sinn, wenn sie erstens mit offensiven Überlegungen darüber verknüpft wird, wie wieder mehr JournalistInnen erreicht werden. Wenn wir nicht stärker werden, gehen wir in der neuen, grösseren Gewerkschaft noch mehr unter als in der Comedia. Zweitens müssen wir als eigene Sektion möglichst grosse Autonomie bekommen. Der VPOD mit seinen vielfältigen Branchen sollte dafür Gewähr bieten. Auch die früheren Erfahrungen einer weitgehend autonomen SJU im VPOD sollten dafür Gewähr bieten.

Bezüglich Mitgliederrekrutierung geht es darum, die Wachstumsfelder abzugrasen - die neuen Generationen von JournalistInnen bei Gratiszeitungen, bei Regionalsplits, Sonntagszeitungen und beim Internet (immer mit besonderem Blick auf die Freien). Dazu kommen neue Berufe, etwa im Web-Publishing. Eine Mediensektion könnte mit zwei spezifischen Anliegen auch spezifische Leistungen erbringen: Medienpolitik und Ausbildung. Die Medienpolitik wird von allen Seiten vernachlässigt, nicht zuletzt von den Zeitungen selbst, die zumeist ihre Medienseiten eingestellt haben - Selbstreflexion wäre ja notwendigerweise eine kritische.

Für die gewerkschaftliche Arbeit sind dabei zwei Ebenen auseinanderzuhalten. Über die kannibalischen Taktiken von Verlagen zum Beispiel via Gratiszeitungen muss medienpolitisch gestritten werden. Zugleich darf das nicht zur Ausgrenzung führen. Einem prospektiven Kollegen von der Gratiszeitung sollte man nicht erklären, dass Gratiszeitungen sowieso keinen richtigen Journalismus betreiben, sondern mit ihm diskutieren, welche Qualitätskriterien dieser neuen Form des Journalismus angemessen wären. Einer prospektiven Kollegin vom Internetportal sollte man nicht erklären, dass sie nur zum weissen Rauschen beiträgt, sondern mit ihr diskutieren, wie gewerkschaftliche und publizistische Massstäbe auch bei der Internetzeitung durchgesetzt werden können.

Die Gratwanderung

Der VPOD sieht sich ja auf derselben Gratwanderung: Er muss sich zum Beispiel für einen öffentlichen Gesundheitsdienst einsetzen und zugleich die Beschäftigten in den zunehmend privatisierten Institutionen mit genuiner Interessenvertretung überzeugen.

Schnittpunkt beider Bemühungen bleibt die Frage nach der Arbeit, die wir wollen, ihren Bedingungen und Produkten. Welche Presse brauchen wir? Das führt zwanglos zur Frage der Ausbildung, in der sich die Gewerkschaft vermehrt engagieren sollte. Medien- und Ausbildungspolitik stärken beide die Professionalität, damit aber auch die gewerkschaftliche Identität, und tragen sogar zur Mobilisierung bei.



Vom Typographenbund zur Mediengewerkschaft


1858-1869: Patrons und Gehilfen

Am 15. August 1858 wird in Olten der Schweizerische Typographenbund STB gegründet. Ihm gehören sowohl Gehilfen als auch Patrons an. Letztere gründen 1869 den Verein Schweizerischer Buchdruckereibesitzer.


1870-1899: Gründungen und Niederlagen

1876 verliert der STB einen Arbeitskonflikt in Basel wegen ausländischer Streikbrecher.

Die ersten Genossenschaftsdruckereien werden gegründet.

1884 ruft der STB die erste gewerkschaftliche Arbeitslosenkasse der Schweiz ins Leben.

Nach einem verlorenen Kampf 1889 um Arbeitszeit und Minimallohn müssen 150 entlassene Kollegen unterstützt werden.

1894 scheitert die Gründung einer landesweiten Graphischen Union.


1900-1918: Siege und Krieg

Ein zwölfwöchiger Streik bei Benziger in Einsiedeln endet im Jahr 1900 mit einem Sieg für die Gewerkschafter.

Die Maschinensetzer erkämpfen ab 1910 den Achtstundentag (bei sechs Arbeitstagen).

Der Erste Weltkrieg 1914-1918 bringt Teuerung und Entlassungen.


1918-1930: Generalstreik und interne Kämpfe

Am Generalstreik im November 1918 beteiligen sich alle grösseren STB-Sektionen.

1923 kommt ein neuer Gesamtarbeitsvertrag GAV zustande. Die Gründung eines Graphischen Industrieverbandes scheitert.

Nach einem Streit mit den Lithographen klammert der STB 1927 den Offsetdruck aus seinem Organisationsgebiet aus.


1931-1945: Krise und Zweiter Weltkrieg

Im Jahre 1932 sind 18,6 Prozent der Mitglieder arbeitslos.

1936 muss der STB für arbeitslose Kollegen 985 000 Franken aufwenden.

Nach der Generalmobilmachung 1939 werden viele Betriebe geschlossen.

Der Krieg bringt Teuerung, Rohstoffknappheit und Rationierung.

1943 fordert der STB die Einführung einer Alters- und Hinterbliebenenversicherung AHV.


1946-1967: AHV und andere Neuerungen

1947 stimmen über eine Million Stimmberechtigte für die AHV.

1958 wird ein Abkommen über die Bedienung von Teletypesettern (eine Art Fernschreiber) abgeschlossen.

Die 100-Jahr-Feier 1958 in Bern wird zum Grossereignis.

Die Sektionen Zürich und Genf gehen in Opposition zur Berner Zentrale. Das Vorortsystem wird aufgegeben, das heisst, Bern ist nicht mehr leitender Ort des Verbandes.

Die rasante technische Entwicklung macht allen zu schaffen.


1968-1980: Heisse Zeiten und eine Fusion

Mit 14 958 Mitgliedern erreicht der STB im Jahre 1969 einen neuen Höchststand.

Die Lage im grafischen Gewerbe verschlechtert sich, es kommt zu Betriebsschliessungen.

1974 fordert der STB die Vierzigstundenwoche, vollen Lohn bei Krankheit während 720 Tagen, einen dreizehnten Monatslohn und Bildungsurlaub. Die Arbeitgeber hingegen beschliessen ein Abbauprogramm.

1980 fusionieren STB und Schweizerischer Buchbinder- und Kartonageverband SBKV zur Gewerkschaft Druck und Papier GDP.



1981-1997: Turbulenzen und Streiks

Nach einem gescheiterten landesweiten Streik soll der Zentralpräsident abgewählt werden. Dabei kommt es zu einer Wahlfälschung.

1989 entlässt der «Tages-Anzeiger» den Sektionspräsidenten Roland Kreuzer.

1994 wird ein 24-stündiger Streik abgehalten. 7000 Leute gehen auf die Strasse.


1998-2008: Comedia und eine neue Gewerkschaft

1998 schliessen sich die GDP, der Schweizerische Lithographenbund SLB, die Angestellten des Schweizer Buchhandels ASB sowie die Schweizerische JournalistInnenunion SJU zur Mediengewerkschaft Comedia zusammen.

Am 18. Oktober 2008 feiert die Gewerkschaft der Graphischen Industrie ihr 150-jähriges Bestehen, die Gewerkschaft des Buchhandels wird 125 Jahre alt.


Zukunft

Der Verband des Personals öffentlicher Dienste VPOD, die Comedia sowie die Gewerkschaft Kommunikation Geko planen einen Zusammenschluss. Die neue Gewerkschaft soll 2011 ihre Arbeit aufnehmen.


Zusammenstellung: Liz Sutter

www.comedia.ch