José Manuel Prieto: Wie eine Kugel auf schiefer Bahn
Die kubanische Revolution und wie der Schriftsteller mit ihr in ziemlich bemühten und behäbigen Worten seine Taxifahrer traktiert. Eine Kritik.
Ich dachte immer, ein Berufsstand, der sich mehrheitlich zu Law and Order bekennt, seine Fahrgäste mit Idiotenmusik quält, RadfahrerInnen am liebsten verkehrt herum aufhängen möchte, FussgängerInnen als Trottel beschimpft und unter autoritären Regime Spitzeldienste für die Polizei verrichtet, sei wenig geneigt, die kubanische Revolution hochleben zu lassen. Glaubt man aber dem Schriftsteller José Manuel Prieto, dann sind TaxifahrerInnen - egal ob in Wien, Ankara, Kairo, Zürich oder New York - geradezu glühende AnhängerInnen der Brüder Castro, die dem Fahrgast, kaum hat er sich als Kubaner zu erkennen gegeben, mit leuchtenden Augen von den Vorzügen des Lebens auf der ehemaligen Zuckerinsel erzählen.
Prieto, darob verbittert, jedoch ausserstande, die Begeisterungsstürme seiner Chauffeure einzudämmen, hat sich deshalb entschieden, ein Traktat zu verfassen: «Die Kubanische Revolution und wie erkläre ich sie meinem Taxifahrer».
Zwischen Ironie und Pathos
Das Vorhaben ist legitim, die Kritik an den kubanischen Verhältnissen berechtigt, das Ergebnis dürftig. Das liegt zum einen an der behäbigen, bemüht originellen Sprache, mit der Prieto das kubanische Bürokratengerede fast noch übertrifft, in einer komischen Anhäufung von Stilblüten, in denen jede Erbitterung «beissend», jede Beleidigung «gewalttätigst», jede Andeutung «leisest», jede Forderung «schüchternst», jeder Anwurf «schrecklichst» ist. Diesem Sperrfeuer an negativen Superlativen wird, fürchte ich, kaum ein Taxifahrer entkommen.
Ausserdem vermag sich Prieto, der heute - nach Jahren in der ehemaligen Sowjetunion und dann in Mexiko - in den USA lebt (die er beharrlich «Amerika» nennt, als wärs schon ein ganzer Kontinent), nicht zwischen sachlicher Analyse und kurzweiliger Familiengeschichte, zwischen Aussen- und Innenansicht, Ernst und Amüsement zu entscheiden. Unentschieden ist er auch in der Beurteilung der Revolution, ausweichend in der Frage, wie es mit ihr weitergeht, doppelbödig im Schwanken zwischen Ironie und Pathos - ein Zeichen dafür, dass er das uneigentliche Sprechen, wie es für opportunistische Intellektuelle in Kuba typisch geworden ist, verinnerlicht hat.
Seine Thesen - soweit er sie, kaum aufgeschrieben, nicht wieder relativiert - lauten: Fidel Castro war mit seinem medienwirksamen Gehabe eigentlich kein kubanischer, sondern ein US-amerikanischer Politiker; die Revolution wäre, «weil es uns gut ging», gar nicht notwendig gewesen, ihre frühen Erfolge im Bildungs- und Gesundheitswesen hätten sich nämlich über kurz oder lang, durch US-amerikanischen Einfluss, ohnehin eingestellt; Kuba, das zukünftige, braucht Privateigentum.
Milde Einfaltspinsel
Diese Forderung kleidet Prieto in ein Tischgespräch mit italienischen Parlamentariern, die er als milde Einfaltspinsel - und sich als einen von der eigenen Begeisterung mitgerissenen Wüstenprediger - karikiert, womit er letztlich offenlässt, ob es ihm mit seinem Vorschlag wirklich ernst ist: «Man muss - und das ist das Wichtigste, nicht die Demokratie, nicht die Wahlen - das Recht auf Privateigentum wiederherstellen. Ein Punkt, ein Ansatz, der konsequent umgesetzt jedes Gutachten für ein Kuba nach Castro überflüssig machen würde, jeden Hilfs-, Beratungs- und Notfallplan. Der sich von allein entwickelt, mit der Unumgänglichkeit, mit der eine Kugel eine schiefe Ebene hinabrollt. Nichts weiter als das!»
Kann sein, Prietos Ansinnen leuchtet auch seinen Taxifahrern ein. Mehr jedenfalls als das Verlangen, endlich die Kluft zu schliessen zwischen den erklärten politischen Grundsätzen und der repressiven, patriarchalen Machtausübung eines Familienclans. Privater Fuhrpark Kuba, alles gut.
José Manuel Prieto: Die Kubanische Revolution und wie erkläre ich sie meinem Taxifahrer. Aus dem Spanischen von Susanne Lange. Suhrkamp Verlag. Frankfurt am Main 2008. 225 Seiten. 18 Franken