Asyl und Gesundheitsversorgung: Tuberkulose, staatlich gefördert

Nr. 7 –

Die Menschenrechtsgruppe Augenauf warnt: In Schweizer Asylunterkünften und Gefängnissen nehmen Tuberkuloseerkrankungen zu.


Wie gravierend sind die Mängel bei der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen? In einem Postulat verlangen die Zürcher KantonsrätInnen Markus Bischoff (AL), Marcel Burlet und Julia Gerber Rüegg (beide SP) diese Woche einen unabhängigen Untersuchungsbericht zur medizinischen Situation im Flughafengefängnis Kloten sowie zur Seuchenprävention insbesondere bei Tuberkulose-(TB-)Erkrankungen.

Der erste Todesfall infolge TB wurde im letzen April bekannt. Der somalische Flüchtling und Ausschaffungshäftling Abdi Daud starb im Unispital Zürich. Die offizielle Todesursache war ein «Multiorganversagen bei septischem Schock durch generalisierte Tuberkulose». Abdi Daud wurde auf dem Friedhof Sihlfeld begraben. Es waren weder Verwandte noch Bekannte aus der somalischen Gemeinschaft anwesend. Sie waren nicht über den Todesfall informiert worden, auch die Öffentlichkeit nicht. Augenauf erfuhr aufgrund der Nachfrage von ehemaligen Mithäftlingen von Abdi Dauds Tod. Es blieb der Eindruck, dass hier etwas unter den Teppich gekehrt werden sollte.

Unzureichend informiert

Im letzten Sommer versicherte der Regierungsrat in seiner Antwort auf eine Anfrage im Kantonsrat, die gesundheitliche Versorgung der Asylsuchenden sei sichergestellt: «Es besteht (...) kein Unterschied zwischen der medizinischen Grundversorgung im Flughafengefängnis und der medizinischen Grundversorgung von Patientinnen und Patienten in Freiheit.»

Mittlerweile weiss Augenauf jedoch von gut einem Dutzend weiterer Fälle, wo bei Flüchtlingen, aber auch bei Angestellten in den Asyleinrichtungen eine TB-Infektion oder gar -Erkrankung festgestellt wurde. Zwei Personen waren mit offener TB aus einer Empfangsstelle des Bundes in Durchgangsheime im Kanton Zürich weitergewiesen worden, darunter eine Frau, die im Oktober 2008 in einem Zürcher Spital an offener TB starb. Angestellte und Flüchtlinge in den Unterkünften wurden nur unzureichend über Präventionsmassnahmen informiert - die Öffentlichkeit wiederum gar nicht -, obwohl Gefängnisse, Empfangs- und Durchgangszentren sowie Notunterkünfte laut Suva als Orte mittlerer bis höherer TB-Gefährdung gelten.

Fatal ist auch der fehlende Informationsaustausch zwischen den verschiedenen Institutionen. So wusste die Zürcher Asylorganisation, die mehrere Unterkünfte und Zentren betreibt, nichts von der TB-Situation im Ausschaffungsgefängnis oder in anderen Unterkünften. Die Lungenliga teilte auf Anfrage von Augenauf mit, dass im Jahr 2008 die Zahl der gemeldeten TB-Erkrankungen gestiegen, die Zahl der erkrankten Flüchtlinge sogar stark gestiegen sei. Allerdings könne man noch nicht von einer Ausnahmesituation sprechen.

Die infizierten Flüchtlinge - und indirekt auch die Angestellten in den Asyleinrichtungen - sind Opfer einer Dreiklassenmedizin. Asylsuchende können, wenn sie krank sind, nicht einen Arzt ihrer Wahl aufsuchen. Ihnen steht ein doppeltes Gatekeeping-System im Weg. Wer in einer Notunterkunft lebt, kann erst einen Arzt aufsuchen, wenn die zuständige Zentrumsleitung (Gatekeeper 1), die oft nicht mehr als einen Erste-Hilfe-Kurs absolviert hat, dies für notwendig hält. Der von der Betreuungseinrichtung bestimmte Arzt (Gatekeeper 2), der auf einer Liste der AsylärztInnen steht, kann den erkrankten Flüchtling an ein Spital weiterleiten.

Diese Bestimmungen sind leichtsinnig und sowohl für die Betroffenen selbst wie auch für ihr Umfeld gefährlich. Weil TB in der Schweiz selten vorkommt, sind ihre Symptome für Laien und selbst für Ärztinnen nur schwer bis gar nicht zu erkennen. Die Folge davon sind weitere Infektionen oder schlimmstenfalls Todesfälle, die ohne die Sparmassnahmen des Bundes wohl hätten verhindert werden können.

Erschwerend kommt dazu, dass seit Anfang 2008 abgewiesene Asylsuchende und solche mit Nichteintretensentscheid aus der Krankenkasse ausgeschlossen sind. Auch diese Verschärfung der Asylgesetze ist Teil der Abschreckungsstrategie, die Flüchtlinge zum Verlassen der Schweiz oder zum Untertauchen drängen will. Die abgewiesenen Flüchtlinge leben deshalb in den Notunterkünften oft unter krankmachenden Bedingungen, in Bunkern ohne Tageslicht. Sie müssen von der Nothilfe leben (im Kanton Zürich acht Franken täglich), die bei weitem nicht ausreicht für eine ausgewogene Ernährung, die zusammen mit ausreichender Bewegung gerade den Ausbruch einer TB verhindern könnte. Das sogenannte Dynamisierungsprogramm, wonach gewisse Flüchtlinge gezwungen sind, alle sieben Tage ihre Unterkunft zu wechseln, erhöht zudem die Ansteckungsgefahr für weitere Personen.

Für unbeschränkten Arztzugang

Aus diesen Gründen fordert Augenauf die Abschaffung der Asylärzteliste und den ungehinderten Zugang der Flüchtlinge zu einer Ärztin oder einem Arzt ihres Vertrauens. Unabhängige Fachpersonen sollen in allen Einrichtungen des Asylwesens die medizinische Grundversorgung und besondere Präventionsmassnahmen sicherstellen können. Es darf nicht sein, dass die Abschreckungspolitik Vorrang hat vor der gesundheitlichen Grundversorgung erkrankter Menschen.

Die Journalistin Noëmi Landolt ist Mitglied von Augenauf Zürich.