Medientagebuch: Kummer mit Tom

Nr. 7 –


Letzte Woche brachte die WOZ einen Artikel des in Los Angeles lebenden Autors Tom Kummer über das Endspiel der American-Football-Meisterschaft, der Super Bowl. Daraufhin rief der Journalist Peter Hossli («Ein neugieriger Reporter, der immer eine gute Geschichte findet» - Hossli über Hossli) empört auf der Redaktion an und fragte, warum Tom Kummer überhaupt für die WOZ schreiben dürfe. Grund seiner Empörung: Kummer ist jener Autor, der vor fast einem Jahrzehnt aufflog, weil er zahlreiche Interviews mit Hollywood-Stars erfunden hatte. Hossli wirft Tom Kummer nun im «Sonntag» vor, journalistische Grundregeln mit Füssen getreten und - einmal mehr - Tatsachen gefälscht und verdreht zu haben.

Kummer schrieb in der letzten WOZ, weniger Fans hätten die Super Bowl verfolgt, und die Umsatzzahlen seien gesunken. Das sei falsch, schreibt Hossli. Kummer stützte sich dabei auf die Zahlen vom Montag - sein Abgabetermin. Danach ging der Text in Produktion. Im Verlauf des Dienstags (US-Zeit) wurden die Zahlen nach oben korrigiert. Hossli sagte am Telefon selbst, es möge ja sein, dass Kummer sich auf erste Zahlen berufen habe - in seinem Artikel aber war nur von «falschen» Zahlen die Rede.

Weiter wirft Hossli Kummer vor, Zitate erfunden zu haben. Kummer schrieb: «Es war das aufregendste Finale in der Geschichte der National Football League, behaupten alle im Nachhinein: Präsident Barack Obama, die ‹New York Times›, Angelina Jolie - und natürlich wir, die Super-Bowl-Partypeople.»

Tatsächlich bringt hier Kummer Personen mit dem Ereignis in Verbindung, von denen unklar ist, wo und ob sie das Ereignis wirklich verfolgten. Aber «erfunden» ist anders, und Zitate stehen in Anführungszeichen. Kummer erklärt nun: «Es ist eher ein Bild dafür, dass Hinz und Kunz die Super Bowl schauen.» Wenn Kummer schreibt, verlieren Schreibende die Nerven: Aus Ungenauigkeit wird Betrug, aus einer Metapher ein gefälschtes Zitat.

Mit einem Vorwurf hat Hossli aber Recht: Laut Kummer soll Steven Spielberg in der «Los Angeles Times» gesagt haben, die Super Bowl sei die «beste, emotionalste Footballshow aller Zeiten» gewesen. Kummer spricht von Verwechslung: Spielberg habe das im Fernsehen zu einem Reporter gesagt. Belegen lässt sich das nicht.

Offensichtlich wird Kummer seine Vergangenheit nicht mehr los. Wenn sein Name über einem Artikel steht, regieren die Emotionen. Die einen halten ihn nach wie vor für einen Betrüger, der den Journalismus in den Dreck gezogen hat und, wo immer er auftritt, nichts als Trümmer hinterlässt. Andere, gerade in der Kunstszene, verehren ihn, halten ihn für einen grossen Künstler, der den angeblich objektiven und sachlichen Journalismus entlarvt habe.

Warum, fragte ein anderer besorgter Leser und Journalist, darf Kummer in der WOZ schreiben? Weil er eine zweite Chance verdient? Auch. Aber vor allem, weil er ein guter Schreiber ist. Weil es mit Kummer und den Fakten so eine Sache ist, sollte er über die Super Bowl schreiben - ein TV-Ereignis, das vor allem Show und Inszenierung ist. Und wer kennt sich damit besser aus als Kummer? Es kam ein lesenswertes Stück heraus, über die neue Rolle eines inszenierungswütigen Amerika als Underdog - aus der Sicht Kummers. So stand es auf dem WOZ-Plakat: «Wie Tom Kummer die Super Bowl erlebte.»

Bis heute ist Kummer kein Faktenjournalist geworden. Deshalb ist er nicht Bundeshausjournalist (keine Angst: Er wird es auch nicht werden!).

Kummer ist ein Süchtiger, den es immer wieder zur Droge Journalismus zieht, obwohl er weiss, dass er lieber die Finger davon lassen sollte. «Ich gebe mir Mühe, mich an die Realität des sachlichen Faktenjournalismus zu gewöhnen.» Vor zehn Jahren fälschte er seitenlange Interviews, heute, sagt er, passierten ihm bloss noch Flüchtigkeitsfehler. Das nicht überprüfbare Spielberg-Zitat hat letztlich die WOZ zu verantworten - ein Nebensatz in einer ganzseitigen Reportage.

Die WOZ ist eine Zeitung, die für Fakten steht, Genauigkeit (vgl. Korrigenda auf Seite 14), preisgekrönte Reportagen, Interviews und Recherchen.

Tom Kummer aber lesen wir nicht wegen der Fakten, sondern wegen des Spasses an temporeicher Schreibe.