Durch den Monat mit Daniel Suter (3): Voodoo-Kapitalismus?
WOZ: Wie sind Sie eigentlich Journalist geworden?
Daniel Suter: Ich bin bereits in dritter Generation Journalist. Meine Grossmutter Paula Suter war 1923 Journalistin beim «Kämpfer», der kommunistischen Tageszeitung.
Ihre Grossmutter war Kommunistin?
Ja. Sie kam mit dem Kreis von Fritz Brupbacher von der SP zur neu gegründeten KP. Als der «Vorwärts» gegründet wurde, war sie zu Beginn auch dort dabei. Mein Vater Gody Suter wurde 1947, mit 27 Jahren, Deutschlandkorrespondent des «Tages-Anzeigers». Ich bin 1949 in Berlin geboren. Später war mein Vater Feuilletonchef der «Weltwoche». Zum Schluss arbeitete er in New York als freier Journalist, wo er 1984 starb. Ich selbst wollte aber gar nicht Journalist werden.
Sie wurden es trotzdem.
Ich hatte Jura studiert und wollte Anwalt werden. Ich sah dann bei Gericht, wie ältere Anwälte sind – deren Alter ich mittlerweile erreicht habe: unsensibel, laut, grässlich. Das wollte ich nicht. Das war 1980, zur Zeit der Zürcher Unruhen. Ich war Sekretär am Bezirksgericht. Ich schwor mir, kein einziges Urteil gegen Achtzigerdemonstranten zu begründen. Ich nahm zwar an den Demonstrationen nicht teil, fand aber, die Forderungen seien berechtigt. So wechselte ich den Beruf und wurde Redaktor einer Berufsberatungszeitschrift. Ich arbeitete fünfzig Prozent. Die restliche Zeit kümmerte ich mich um meine beiden Kinder. 1987 kam ich dann zum «Tagi».
22 Jahre später kämpfen Sie als Präsident der Personalkommission für einen fairen Sozialplan. Gibt es Fortschritte?
Es gibt Hoffnungszeichen. Fortschritt kann man das aber noch nicht nennen. In der zweiten Verhandlungsrunde musste die Arbeitgeberdelegation zugeben, dass sie schlicht das Geld vergessen hat, das es bräuchte, um sozialverträgliche Frühpensionierungen zu ermöglichen.
Das Geld vergessen?
Was wir hier erleben, ist ein Lehrstück in Voodoo-Kapitalismus. Das magische Wort heisst «Vorgabe». Die Geschäftsleitung hat sich vom Verwaltungsrat eine finanzielle Vorgabe machen lassen, wie viel Geld für den Sozialplan zur Verfügung steht. Der Verwaltungsrat hat diese Summe aber nicht selbst ausgerechnet. Die Geschäftsleitung war mit einer Summe an den Verwaltungsrat gelangt, hatte sich diese dort absegnen lassen und berief sich dann mit aller Härte auf den Entscheid des Verwaltungsrats.
Wie bitte?
Und leider hatte man sich auch noch verrechnet.
Es soll nun einen Aufstand der Ressortleiter gegeben haben.
Dem ist so. Die Chefredaktion hatte den Ressortleitern mitgeteilt, dass Frühpensionierungen «die sozialverträglichste Variante von Personalabbau» seien. Also haben die Ressortleiter vor allem ältere Menschen entlassen. Wenn man die sieben entlassenen Drucker mitzählt, sind von den 59 entlassenen Festangestellten 24 im Alter von 58 und mehr Jahren. Nachdem die Entlassungen ausgesprochen waren, haben wir aber gesehen, dass die Vorgaben der Geschäftsleitung praktisch kein Geld für das Abfedern von Frühpensionierungen enthalten. Das heisst: Wer mit sechzig gehen muss, bekommt etwa zwei Drittel der Rente. Darum hat die Personalkommission vor einer Woche einen offenen Brief an die Ressortleiter geschickt und sie gefragt: Habt ihr das gewusst? Habt ihr das gewollt?
Hat sich jemand verrechnet, oder hat die Chefredaktion die Ressortleiter eiskalt angelogen?
Beides ist möglich. Die Ressortleiter sind nun natürlich verbittert. Darum sind sie an die Chefredaktion gelangt. Diese hat sich zum ersten Mal öffentlich geäussert und gesagt, man werde alles daran setzen, «sozialverträgliche Frühpensionierungen» zu ermöglichen. Das kann ein gutes Zeichen sein. Vielleicht sind es aber auch nur Worte. Die Vorstellungen, was ein fairer Sozialplan ist, liegen noch sehr weit auseinander. Unsere Vorstellung – mehr als das Doppelte der vorgesehenen Summe - wurde von der Arbeitgeberseite als «astronomisch» bezeichnet. Doch wie soll man die ausgeschütteten Dividenden dann bezeichnen? Die sind viermal so hoch wie der Betrag, den wir fordern. Also «galaktisch»? Und wie müsste man den Unternehmensgewinn nennen? Der ist dreizehnmal höher! Da fehlen dann die Worte.
Daniel Suter
Der 59-Jährige ist Redaktor beim Zürcher «Tages-Anzeiger» und Präsident der TA-Personalkommission. Er organisierte Ende Mai [2009] die Demonstration der «Tagi»-Redaktion gegen die geplanten Massenentlassungen. Zwei Tage später erhielt er – neben 51 anderen RedaktorInnen – die Kündigung.