Der Verlagsvertreter: «Entscheidend ist das gegenseitige Vertrauen»

Nr. 40 –

Er agiert abseits der Öffentlichkeit – und doch weiss er wie kaum jemand über die Veränderungen in der Branche zu berichten: Markus Wieser tourt seit 25 Jahren für zahlreiche Verlage durch die Buchhandlungen. Die WOZ traf ihn in der Buchbar Sphères in Zürich.


Autorin – Verlag – Buchhandel – Leser: So stellt man sich die literarische Stafette gemeinhin vor. Dass es dazwischen auch noch Auslieferungen und so etwas wie Vorverkäufer gibt, dass mithin eigentlich die Buchhändlerin die erste Buchkäuferin ist, ist fast niemandem ausserhalb der Branche bewusst. «Aber das braucht den Leser auch nur wenig zu kümmern», sagt Markus Wieser. Er und seine KollegInnen mögen im Verborgenen agieren, nichtsdestotrotz spielen sie eine zentrale Rolle im Buchhandel – zumindest im klassischen.

Bücher kaufen per Knopfdruck?

Die VertreterInnen haben deshalb nicht nur ihre eigene etwas ominöse Geschichte zu erzählen, sie berichten auch vom Wandel des Buchhandels. Markus Wieser, seit 25 Jahren Verlagsvertreter, sieht sich als Berater der BuchhändlerInnen. Doch im Internet gibt es keine Buchhändler aus Fleisch und Blut mehr, kein Verkaufsgespräch unter LiteraturliebhaberInnen, es gibt nur noch komplexe Algorithmen zur Kundenanalyse und Kaufabwicklung auf Knopfdruck. Noch wichtiger aber, und hier kommt Wiesers Vermittlerrolle ins Spiel, ist ein anderer Unterschied: Es gibt im Internet kein Sortiment mehr, es gibt – schlicht und einfach – alles. Und weil es keine Vorauswahl gibt, keinen sorgfältig zusammengestellten Büchertisch, braucht es auch keinen Vertreter, der bei dessen Bestückung hilft, der die Buchhändlerin über die kommenden Neuerscheinungen auf dem Laufenden hält. Die ortskundigen FührerInnen durch den Bücherdschungel drohen überflüssig zu werden.

Markus Wieser geht zweimal im Jahr auf Tour, um den BuchhändlerInnen die Neuerscheinungen «seiner» Verlage – rund 25 sind es, von Beobachter bis Zytglogge – ans Herz zu legen. Eben erst hat er die Herbstrunde abgeschlossen. Gut dreissig VertreterInnen sind im Winter und Sommer jeweils parallel unterwegs, an manchen Tagen geben sie sich die Klinke in die Hand. Etwa 200 Buchhandlungen besucht er jeweils, er kennt die spezifischen Sortimente jedes Ladens genau. So kann er massgeschneiderte Empfehlungen abgeben, auf die der Buchhändler auch etwas gibt («das Vertrauensverhältnis ist entscheidend», sagt Wieser). Denn nicht jede Neuerscheinung passt in jedes Sortiment. Oder aus Buchhändlersicht: Nicht jedes Buch findet überall gleich rasch seine Käuferin.

Das Argument, dass sich ein Buch rasch verkaufen lassen muss, sei in den letzten Jahren immer wichtiger geworden, sagt Wieser. Kaum ein Buchhändler mag sich mehr auf Experimente einlassen und Bücher an Lager nehmen, von denen er nicht mit Sicherheit weiss, dass sie spätestens im Weihnachtsgeschäft über den Ladentisch gehen werden. Wenn Wieser den BuchhändlerInnen neue Titel abseits der Bestsellerlisten schmackhaft zu machen versucht, sei «Idealismus» kaum mehr gefragt – viel wichtiger seien stattdessen Informationen darüber, wie ein Buch beworben wird. Wird es einen Medienrummel geben, werden Inserate geschaltet, werden besondere Veranstaltungen die Aufmerksamkeit auf das Buch lenken?

Als typisches Beispiel für diese zeitgemässe Art des Büchervermarktens nennt Wieser den Echtzeit-Verlag. Für fast jede Neuerscheinung fädelt der Verlag eine Medienpartnerschaft ein, so publizieren beispielsweise viele «Magazin»-AutorInnen bei Echtzeit, was dann natürlich für entsprechenden Rummel sorgt. (Apropos: Diesen Herbst hat der Verlag ein Buch von WOZ-Autor Daniel Ryser im Programm: «Hooligans», eine grosse Reportage aus einer Randzone des Fussballs.) Es sei vermehrt dieses Darumherum, das den Entscheid des Buchhändlers leitet, ein Buch ins Sortiment aufzunehmen, und weniger persönliche Vorlieben. Der Buchhändler kann es sich schlicht nicht mehr leisten, seinen Laden mit Liebhaberstücken zu füllen.

Überhaupt, den Laden füllen: auch so eine Buchnostalgie. Kaum eine Buchhandlung hat heute noch ein gut bestücktes Lager. Das Lager sind die Regale im Laden, dahinter kommen nicht noch Bücher bis unter die Decke in den Nebenräumen oder das schwer beladene Schiebegestell im Keller. Dahinter kommen gleich die Auslieferungen, die Logistikzentren der Verlage. Dort hat die Buchhändlerin heutzutage ihr Lager, schliesslich ist inzwischen so gut wie jedes Buch am nächsten Tag lieferbar, das wissen auch die KundInnen.

Neben den Auslieferungen, meist Gemeinschaftsbetrieben verschiedener Verlage, gibt es auch noch die sogenannten Barsortimente, die das Bereitstellen von Büchern zu ihrem Geschäft gemacht haben. Diese sind keinen Verlagen angeschlossen, es sind klassische Zwischenhändler. Der Buchhändler arbeitet mit beiden zusammen, Auslieferungen wie Barsortimenten, doch intensive Beratung zum Angebot erhält er nur von den Auslieferungen.

Die Veränderungen in der Branche erfährt Wieser aus erster Hand. Seit einiger Zeit schon nehme der Druck auf die kleinen Buchhandlungen zu, die Filialisten (Orell Füssli, Lüthy, Thalia) würden immer dominierender, zudem macht allen Läden die Onlinekonkurrenz zu schaffen. Verschärft habe sich die Lage dann noch, als die Buchpreisbindung aufgehoben wurde und es im Markt wegen der Discountpreise zum Beispiel von Ex Libris plötzlich drunter und drüber ging. «Die kleinen, engagierten Buchhandlungen werden immer weniger», sagt Wieser, und er muss es wissen, er macht ja Jahr für Jahr gewissermassen eine Branchenerhebung.

Nur nicht aufstecken!

Und was sagt Wieser zum Ende des Ammann-Verlags? Hat es ihn überrascht, dass nicht einmal einer der renommiertesten Schweizer Verlage ein Auskommen findet? Schade finde er es, dass Egon Ammann sich nicht mehr weiter bemüht habe, den Verlag über Wasser zu halten – «aber überrascht hat es mich nicht». Da klingt schon einiges an Resignation mit, wenn Wieser schildert, wie schwierig es für einen hiesigen Verlag, zumal mit Schwerpunkt auf Schweizer Literatur, in den letzten Jahren geworden sei.

Und für seinen eigenen Berufsstand, sieht Wieser da auch eher schwarz? Womöglich gibt es ja in, sagen wir mal, weiteren 25 Jahren gar keine Verlagsvertreter mehr? «Es geht, wenn man es konsequent durchdenkt, schon in diese Richtung», sagt Wieser erstaunlich ungerührt und packt, statt zu grübeln, lieber einen Stapel Verlagsvorschauen auf den Tisch, die er zur Durchsicht empfiehlt. Ganz Vertreter jetzt – nicht aufstecken, auch wenn das Geschäft mal nicht so läuft.