Buchhandel im Umbruch: Wo kaufen Bibliotheken ihre Bücher?

Nr. 22 –

Um zu überleben, brauchen auch kleine Buchhandlungen grosse Aufträge – zum Beispiel von öffentlichen Bibliotheken. Doch diese ändern nun die Spielregeln.

Michael Pfister von der Buchhandlung Calligramme in Zürich
«Unabhängige Buchhandlungen sind Kulturorte»: Michael Pfister von der Buchhandlung Calligramme in Zürich.

Laute Musik, Korkenknallen und der Jubel der ausgelassenen Hochzeitsgesellschaft nebenan verschlucken die kurze Rede, die Buchhändler Michael Pfister vor rund dreissig Leuten hält. Sie warten an diesem Donnerstagmittag Mitte Mai vor dem Zürcher Stadthaus auf Gemeinderat Filippo Leutenegger, um ihm die Petition «Für die Erhaltung vielfältiger und unabhängiger Buchhandlungen in der Stadt Zürich» zu übergeben.

Diese von vierzehn unabhängigen Buchhandlungen gestartete Petition richtet sich an den Zürcher Stadt- und Gemeinderat, aber auch an die Pestalozzi-Bibliothek (PBZ). Innert kürzester Zeit kamen über 11 300 Unterschriften zusammen. Die anwesenden Buchhändler:innen haben Bücher dabei, die sie dem Stadtrat übergeben wollen. Die Auswahl der Bände soll die Vielseitigkeit der kleinen unabhängigen Buchhandlungen in Zürich symbolisieren – und die ist bedroht.

Vom Boden bis zur Decke

Was die Pestalozzi-Bibliothek damit zu tun hat, erläuterte Pfister zwei Wochen zuvor bei einem Besuch in seiner Buchhandlung Calligramme im Zürcher Niederdorf. Gemeinsam mit drei anderen hat der Gymnasiallehrer die Buchhandlung Ende 2020 von Helen Lehmann übernommen, die Calligramme während 36 Jahren praktisch unverändert geführt hatte. Hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein: In zwei Räumen reihen sich Bücher in Regalen vom Boden bis unter die Decke aneinander. Neuerscheinungen, dreissigjährige Werke, Kunstbände, Reclam-Hefte – rund 20 000 Bücher sind es laut Schätzung von Pfister.

Erfasst sind die Bücher in keinem System, doch Pfister weiss mittlerweile, was er wo findet. Er kennt auch seine Stammkund:innen – früher war er selber einer –, tauscht sich mit ihnen aus, empfiehlt Lektüre. «Unabhängige Buchhandlungen sind Kulturorte», sagt er, «du kannst hier in Büchern stöbern, Neues entdecken, Gespräche führen, Leute treffen, die du schon lange nicht mehr gesehen hast, lernst neue kennen, hier entstehen kulturelle Projekte …»

Als unabhängige Buchhandlungen gelten gemäss dem Schweizer Buchhandels- und Verlags-Verband (SBVV) jene mit maximal drei Standorten. Laut einer Umfrage des Verbands rechneten 2023 viele mit sinkendem Umsatz auf Ende Jahr – nachdem dieser während Corona gestiegen war. Als grösste Konkurrenz nannten sie Onlineanbieter wie Amazon, Buchhandelsketten sowie Direktkäufe durch Kund:innen bei Verlagen.

Damit unabhängige Buchhandlungen überleben können, brauchen sie nicht nur ihre Stamm- und Laufkundschaft – diese generieren bloss einen kleinen Teil des Umsatzes –, sie sind auf verlässliche Grosskunden wie Schulen und Bibliotheken angewiesen. Mit der zunehmenden Digitalisierung des Schulmaterials und dem Direktverkauf der Verlage an Schulen droht dieses Standbein wegzubrechen. Auch viele Bibliotheken suchen nach günstigeren Angeboten bei Grosslieferanten oder direkt bei den Verlagen.

Seit Jahren kauften die Bibliothekar:innen der vierzehn Zürcher PBZ-Standorte einen Grossteil ihrer Bücher bei lokalen, unabhängigen Buchhandlungen ein. Es ist eine Art unausgesprochener Pakt: Die PBZ wird von der Stadt jährlich mit 10,6 Millionen Franken subventioniert, Teile dieses Gelds fliessen in die kleinen, unabhängigen Buchhandlungen. Dadurch leistet die Stadt indirekt einen wichtigen Beitrag zur Vielfalt der unabhängigen Buchhandlungen, auf die sie in ihrem Kulturleitbild 2024–2027 sogar explizit verweist: «Zürich ist ein Zentrum der Literatur. […] Unabhängige Buchhandlungen, von denen manche während der Pandemie wieder an Sichtbarkeit zulegen konnten, und ein dichtes Netz von Bibliotheken bereichern das literarische Stadtleben», ist da festgehalten.

Existenzielle Verkäufe

Auch Calligramme lieferte bisher jährlich rund 400 Bücher an die Pestalozzi-Filiale, die gleich neben der Buchhandlung liegt. Für seine Buchhandlung habe diese Lieferung nur rund drei Prozent des Umsatzes ausgemacht, aber auch kleinere Einbussen seien mit Einzelkund:innen nur schwer wettzumachen, betont Michael Pfister. Für andere Buchhandlungen sind die PBZ-Verkäufe mit bis zu fünfzehn Prozent des Umsatzes existenziell. Doch diese Lieferungen fallen in Zukunft weg. Grund ist eine öffentliche Ausschreibung, die die PBZ vergangenen November für die Beschaffung ihres Angebots machte.

Als er davon hörte, setzte sich Pfister gemeinsam mit anderen Zürcher Buchhändler:innen zusammen, um über eine Onlinepetition zu diskutieren. Darin fordern sie unter anderem, dass die PBZ ihre Neuausrichtung rückgängig macht, dass sich öffentliche Bibliotheken verpflichten müssen, einen namhaften Anteil ihrer Bücher bei lokalen, unabhängigen Buchhandlungen zu bestellen, und dass die Stadtpolitik Modelle für den Erhalt dieser Buchhandlungen entwickelt. Denn für Pfister und die anderen war klar: Bei einer internationalen Ausschreibung können kleine Buchhandlungen unmöglich mithalten, weil ihnen das Geld und die personellen Ressourcen fehlen. Und sie sollten recht behalten.

Kurz nach der Lancierung der Petition im Februar stand der grosse Gewinner der Ausschreibung fest: die Orell Füssli AG. Ausgerechnet jenes Unternehmen, das letztes Jahr über 232 Millionen Franken Umsatz machte.* Ein Grossunternehmen, das durch sein Joint Venture mit Thalia zur Hälfte ein deutsches Unternehmen ist und nach ganz eigenen Spielregeln arbeitet. So kann die Buchhandelskette dank eigenem Bücherzentrallager in Deutschland günstigere Konditionen bieten als die Kleinen. Gleichzeitig hält sie sich – anders als die unabhängigen Buchhandlungen – nicht an den unverbindlichen Verkaufspreis, den das Schweizer Buchzentrum für deutschsprachige Bücher vorgibt: Über neunzig Prozent dieser Bücher sind im Einzelverkauf bei Orell Füssli teurer als bei den Unabhängigen.

Wandel in den Bibliotheken

Er verstehe den Ärger, sagt Felix Hüppi, Direktor der Pestalozzi-Bibliothek, er sei auch nicht glücklich mit diesem Ausgang. Gleichzeitig betont er, dass er diese Ausschreibung machen musste: Die Gesamtsumme der Einkäufe liegt bei 800 000 Franken. Aufträge, die mit öffentlichen Geldern beschafft werden, müssen ab 230 000 Franken international ausgeschrieben werden. «Bisher wurde das übersehen, weil jede Filiale einzeln bestellt hat», erklärt Hüppi, «aber die Rechnungen laufen über dieselbe Stelle.» Laut der Ausschreibung müssen die Buchhandlungen neu auch die Folierung und die Aufbereitung der Bücher übernehmen, was bisher die hauseigene Buchbinderei machte, die geschlossen wird. Ausserdem sollen in Zukunft nicht mehr die Bibliothekarinnen die Auswahl der Bücher treffen, sondern die Buchhändler.

«Als wir vor fünf Jahren die internen Prozesse untersuchten, stellten wir fest, dass von unseren 110 Mitarbeitenden 80 regelmässig unterwegs in Buchhandlungen waren, um Bücher zu bestellen», sagt Marianne Aubert, Präsidentin der PBZ und frühere Zürcher SP-Gemeinderätin. Das seien einfach zu viele gewesen. «Es braucht diese Leute doch vor Ort.» Deswegen habe man geschaut, wie man das ändern könne. Es ist aber nicht so, dass die Buchhändler:innen die Bücher frei zusammenstellen können: «In jeder Bibliothek erstellt ein Team ein Quartiersprofil, das die Vorlage für die Einkäufe liefert.»

Die Ausschreibung, die ihnen schliesslich von der Stadt vorgegeben wurde, sei auch für sie eine grosse Herausforderung gewesen: kompliziert, zeitraubend und anspruchsvoll. Aber, das betonen Aubert und Bibliotheksdirektor Hüppi, sie hätten sich wirklich darum bemüht, die Anforderungen möglichst so zu gestalten, dass auch kleinere Buchhandlungen hätten mithalten können. So wurden die Einkäufe extra in vierzehn unterschiedliche Kategorien («Lose» genannt) wie «Belletristik Erwachsene», «Belletristik Kinder / Jugendliche» oder «Comics, Erwachsene, Kinder, Jugendliche» unterteilt, auf die man sich einzeln bewerben konnte und die nicht zu einem einzigen grossen Paket geschnürt wurden.

«Die meisten dieser vierzehn Lose übersteigen die Kapazität der kleinen Buchhandlungen», stellt Michael Pfister klar, «da sie alle Bibliothekszweigstellen beliefern müssten.» Das Los «Belletristik Erwachsene» beinhaltet den Verkauf von jährlich 7500 Büchern – also fast zwanzigmal mehr, als Calligramme zurzeit liefert. Das sei für eine kleine Buchhandlung nicht zu stemmen. Aber der eigentliche Skandal sei doch der: «Seien wir ehrlich: Die Stadt Zürich kauft in Zukunft billig im Ausland ein, während wir ums Überleben kämpfen.» Der Wegfall der PBZ sei vor allem darum ein Problem, weil er nur ein weiterer Schritt in einer langen Entwicklung sei: «Zentralbibliothek, ETH und Universität haben ihre Aufträge sukzessive reduziert, um im Ausland einzukaufen.» Deswegen sei ein Handeln der Politik gefordert.

Hüppi wiederum sagt: Dass die PBZ nun als «Buchhandlungskiller» gelte, weil sie die rechtlichen Vorgaben umsetze, sei ihm unangenehm. «Schliesslich setzen wir uns für dieselbe Sache ein: die Vermittlung von Literatur und Kultur.» Bibliotheken befinden sich seit Jahren in einem starken Wandel. Waren es früher primär Orte, an denen Bücher ausgeliehen wurden, werden sie immer mehr zu Orten der Begegnung, des Austauschs und der Informationsbeschaffung. «Die Anforderungen an die Bibliotheken werden grösser – Stichwort Digitalisierung, 24-Stunden-Gesellschaft, demografischer Wandel –, die Ressourcen bleiben jedoch gleich», so Hüppi, und er ergänzt sofort: «Erfreulicherweise, muss man sagen.» Doch klar sei auch: Diese neue Entwicklung bringe eine Umverteilung der Ressourcen mit sich.

Verzicht auf günstigste Variante

Auch Dani Landolf, der 2022 die Leitung der Kornhausbibliotheken (KOB) in Bern übernahm, weiss von der veränderten Nutzung der Bibliotheken und den damit verbundenen neuen An- und Herausforderungen. «Es geht um die Bibliothek als ‹dritter Ort›, an dem die Begegnung und die Vermittlung zentral sind», so Landolf. Der Begriff des «dritten Ortes» meint neben dem eigenen Zuhause und dem Arbeitsort einen öffentlichen Raum, in dem Kommunikation und kollaboratives Arbeiten möglich sind. Über 660 000 Personen nutzten 2023 das Angebot der 21 Zweigstellen in der Stadt und der Region Bern, die pro Jahr mit drei Millionen Franken von Stadt, Kanton und Region subventioniert werden. Schon heute bieten die KOB ein grosses Vermittlungsangebot wie Deutschkurse, Digitreffs, Lesungen oder Kinderanlässe an.

Und seit vergangenem Jahr gibt es Zweigstellen, die länger und ohne Personal geöffnet sind. Landolf will diese Angebote weiter ausbauen. Vorbild sind Bibliotheken in nordischen Ländern, die als Erlebnisraum verstanden werden: In den Räumlichkeiten halten sich unter anderem Familien, aber auch viele Jugendliche sowie Menschen mit Migrationsgeschichte auf, die sich hier ohne Konsumzwang treffen, miteinander reden, lernen oder arbeiten und gleichzeitig von niederschwelligen Angeboten profitieren können. Dazu braucht es finanzielle und personelle Ressourcen. Und da die Budgets insgesamt nicht grösser werden – «wir sind froh, dass wir den neuen Leistungsvertrag zu denselben Bedingungen verlängern konnten» –, plant Landolf eine Reorganisation auf 2025. Diese betrifft auch den Bücher- und Medieneinkauf sowie die Aufbereitung der Bücher. Vergangene Woche wurden die Buchhandlungen informiert.

Allerdings wählt Landolf einen anderen Weg als Zürich: Zwar lagert auch er die Folierung, die Aufbereitung und die Katalogisierung der Bücher, die bisher intern gemacht wurden, aus. Aber nicht an die Buchhandlungen, sondern an den Berner Bibliotheksdienstleister SBD, der das bereits für andere Schweizer Bibliotheken macht. Um für diese ausgelagerte Arbeit möglichst gute Konditionen zu erhalten, kaufen die KOB künftig die Hälfte der Bücher über den SBD. Das war bis 2014 die gängige Einkaufspraxis; erst vor zehn Jahren übergab man den ganzen Einkauf den Berner Buchhandlungen.

Diese neue Praxis bedeute tatsächlich eine Einbusse für ganz wenige Buchhandlungen, räumt Landolf ein. Man habe geschaut, dass man nur jenen etwas wegnehme, die nach 2014 mehr bekommen hätten. Bei den anderen bleibt die Menge in etwa gleich. «Als ehemaliger Geschäftsleiter des Schweizer Buchhandels- und Verlags-Verbands finde ich es wichtig, dass das Geld, das die Bibliothek von der öffentlichen Hand bekommt, wieder ins lokale Gewerbe geht», betont Landolf, «auch wenn wir dadurch auf die absolut günstigsten Einkaufsbedingungen verzichten.»

Laufkundschaft fällt weg

Konsequenzen hat die neue Einkaufspraxis für die Buchhandlung Sinwel im Berner Lorrrainequartier, die ab 2025 weniger Bücher an die Kornhausbibliotheken verkaufen kann. Vor 21 Jahren übernahm der Buchhändler Daniel Stehelin den bald fünfzigjährigen Laden, seit drei Jahren führt er auch die Buchhandlung Libromania. Unter den rund 3000 Büchern bei Sinwel finden sich neben zeitgenössischen Romanen und Sachbüchern auch eine grosse Anzahl Eisenbahnbücher – eine Nische, auf die die Buchhandlung spezialisiert ist.

Die Bücher, die Sinwel an die KOB verkauft, machen acht Prozent des Umsatzes aus – eine nicht zu unterschätzende Summe, so Stehelin. Wie viel davon wegfallen wird, weiss er noch nicht, aber er befürchtet, dass es massiv sein werde. Für ihn sei das im Moment noch nicht existenziell, aber je nachdem hätten solche Umsatzverluste Stellenstreichungen zur Folge. Was ihn am meisten ärgert, ist, dass die KOB die Buchhändler:innen vor vollendete Tatsachen gestellt haben: «Ich hätte die Möglichkeit bevorzugt, mitbieten zu können», so Stehelin, aber das habe man den Buchhandlungen nicht zugetraut.

Daniel Stehelin von Sinwel in Bern
«Städte werden unattraktiv, wenn internationale Handelsketten den ­unabhängigen Handel ersetzen»: Daniel Stehelin von Sinwel in Bern.

Die wichtigste Einnahmequelle für Sinwel ist die Gewerbeschule gleich gegenüber. «Ohne diese gäbe es uns nicht mehr», so Stehelin, allerdings schwebten die E-Lernmittel wie ein Damoklesschwert über dem Laden. Den Direktkontakt mit der Laufkundschaft und den treuen Stammkund:innen in seinem Quartierladen schätzt er sehr – doch auch dieser wird immer weniger: «Wir haben Tage, an denen wir keine zehn Kassenbewegungen haben», sagt er.

Natürlich sei er dafür, dass die Stadt mit den Steuergeldern vorsichtig umgehe, aber: «Grundsätzlich finde ich, dass Bibliotheken bei ihrem Einkauf den unabhängigen Handel berücksichtigen sollten – daran müsste auch die Politik Interesse haben.» Schliesslich gehe es auch um Stadtentwicklung: «Städte werden langweilig und unattraktiv, wenn der unabhängige Handel – egal in welchem Bereich – durch internationale Handelsketten ersetzt wird und jede Stadt der anderen gleicht.» Ausserdem fliesse ein Teil des Geldes über die Steuern wieder in die Stadt zurück.

Dass unabhängige Buchhandlungen Subventionen bekommen sollten, wie das gewisse Stimmen fordern, unterstützt Stehelin nicht: «Ich sehe mich zwar als Kulturvermittler, aber nicht als Kulturschaffender.» Doch er wünscht sich ein klares Bekenntnis und Rahmenbedingungen von der Politik, dass es erst gar nicht so weit kommen muss.

Das wünscht sich auch Anna Christen: Pragmatisch schlägt die Buchhändlerin der Berner Buchhandlung Klamauk, die sich in der Unteren Altstadt befindet, eine Klausel in den Leistungsverträgen der öffentlichen Bibliotheken vor, in der festgehalten wird, dass sie einen bestimmten Anteil der Bücher bei lokalen Buchhandlungen einkaufen müssen. «Das wäre ein klares politisches Bekenntnis.»

Christen sitzt an der Kasse ihrer Buchhandlung, die sie vor neun Jahren gründete. Gleichzeitig übernahm sie damals auch die Buchhandlung Zur Schmökerei in Worb. Klamauk ist auf Politliteratur, Prüfungsliteratur für Maturlektüre und Fussball spezialisiert; in den zwei schmalen Räumen findet sich unter den 8500 Büchern aber auch manch anderes. «Etwa gleich viele Bücher habe ich zu Hause», sagt Christen.

Anna Christen von der Buchhandlung Klamauk in Bern
«Es ist der schönste Beruf der Welt! Ich arbeite jetzt seit fünfzehn Jahren im Beruf, und ich hatte noch nie keine Lust, zu arbeiten»: Anna Christen von der Buchhandlung Klamauk in Bern.

Viele Leute hätten eine falsche Vorstellung vom Alltag einer Buchhändlerin. «Sie denken, ich sitze den ganzen Tag hier an der Kasse, lese und plaudere mit den Kund:innen.» Dabei bestehe ihre Arbeit aus Literaturrecherchen, Treffen mit Verlagsvertreter:innen, dem Erstellen von Bücherlisten und dem Bestellen von Neuheiten, darin, alte Bücher an die Verlage zurückzusenden, das Schaufenster und die Tische neu zu drapieren, Rechnungen zu erstellen oder Lieferungen an Bibliotheken und Schulen auszutragen. Das macht sie meistens zu Fuss mithilfe von «Kurt», wie sie ihren Trolley nennt.

Noch habe sie genügend Aufträge von Schulen und Bibliotheken; bei einigen sei auch ein Bewusstsein für die Kleinen da. «Eine Fakultätsleiterin sagte mir, es störe sie nicht, wenn wir nicht immer die Billigsten seien, es sei ihr wichtig, lokal und unabhängig einzukaufen. Schliesslich hätten sie eine Vorbildfunktion.»

Christen ist froh, dass in Bern keine Ausschreibung gemacht wurde wie in Zürich. Aber es stört sie, dass vonseiten der Politik das Interesse fürs Thema fehle. Selbstkritisch fügt sie an: «Vielleicht haben wir Buchhändlerinnen es auch verpasst, ein öffentliches Bewusstsein dafür zu schaffen, dass wir nicht von der Laufkundschaft leben können und dass deshalb Einkäufe von Bibliotheken und Schulen überlebenswichtig für uns sind.»

Laut der Umfrage des SBVV sind die meisten Buchhändler:innen trotz schwieriger Bedingungen von ihrer Arbeit begeistert. Auch Christen betont: «Es ist der schönste Beruf der Welt! Ich arbeite jetzt seit fünfzehn Jahren im Beruf, und ich hatte noch nie keine Lust, zu arbeiten.»

Auch die Politik reagiert

Vor dem Zürcher Stadthaus ist es ruhig geworden. Die Hochzeitsgesellschaft ist weitergezogen. Filippo Leutenegger tritt aus der Tür. Der Vorsteher des Schul- und Sportdepartements schüttelt Hände, nimmt den Karton mit den Unterschriften und einen Stapel Bücher entgegen, gibt sich verständnisvoll, betont, man sei dran.

Mitte Mai hat in Zürich auch die Politik reagiert: Die Gemeinderätinnen Liv Mahrer (SP) und Anna-Béatrice Schmaltz (Grüne) reichten ein Postulat ein, das den Stadtrat auffordert zu prüfen, mit welchen Massnahmen und Möglichkeiten die Diversität und die Vielfalt der Buchhandlungen in der Stadt Zürich aufrechterhalten und unterstützt werden könnten. Doch die Verträge der PBZ mit Orell Füssli sind unterschrieben, erst in fünf Jahren wird eine politische Neuausrichtung möglich sein.

Wie viele der unabhängigen Buchhandlungen es dann noch geben wird, ist ungewiss.

* Korrigenda vom 31. Mai 2024: In der Printversion sowie in der alten Onlineversion stand fälschlicherweise, dass der Umsatz von Orell Füssli AG im Jahr 2023 21 Millionen Franken betrug. Korrekt sind 232 Millionen Franken Umsatz.