Vom Konjunktur- zum Sparpaket: Gaddafis Datteln

Nr. 40 –

Die Arbeitslosigkeit steigt, die Krankenkassenprämien werden teurer. Derweil erinnert sich Bundespräsident Hans-Rudolf Merz an seine Hängeregistratur, erzählt vom Empfang beim Revolutionsführer in New York und freut sich bereits wieder aufs Sparen.


Trogen AR: Vor der «Krone» blasen die Trip-Trap-Musikanten den Marsch, der «Kronen»-Wirt hat seine Wirtschaft am Montag extra geöffnet, oben im Saal hängt in der Mitte die Schweizer-Fahne. Es wirkt alles wie früher, aber es ist Ausserrhoden 2009: Regierungsrätin Marianne Koller freut sich, dass in Deutschland jetzt «andere Brückenbauer» an der Macht sind. Sie hat dort bis kurz vor dem Fall des Bankgeheimnisses für ihren steuergünstigen Kanton Roadshows veranstalten lassen. Und sie freut sich auch auf den heutigen Gast der «Trogener Gespräche», der hier «en famille» aus dem Regierungsalltag erzählen wird: Bundespräsident Hans-Rudolf Merz. Film- und Tonaufnahmen sind keine erlaubt.

Ob den einleitenden Worten von «Marianne» zeigt sich Merz «zu Tränen gerührt», dann beginnt das Gespräch unter der Leitung von «Dorle» (Vallender, ehemalige FDP-Nationalrätin) und «Hans» (Altherr, amtierender FDP-Ständerat). «Datteln», fällt Merz dem Dorle gleich ins Wort, als sie meint, das Treffen mit Gaddafi sei wohl etwas trockener gewesen als das mit Medwedew oder mit Obama. «Datteln hat er mir offeriert.»

Bern: Das Staatsekretariat für Wirtschaft (Seco) und die Konjunkturforschungsstelle (KOF) sind sich in ihren Wirtschaftsprognosen zwar nicht einig, aber eines ist klar: Die Arbeitslosigkeit nimmt massiv zu, derzeit sind 3,8 Prozent der Schweizer Bevölkerung arbeitslos, das sind rund 150 000 Menschen. Bis 2010 soll die Zahl laut Prognosen auf über 200 000 steigen. Betroffen sind vor allem die Jugendlichen, im Vergleich zum Vorjahr hat die Jugendarbeitslosigkeit um 75 Prozent zugenommen.

Zwei Konjunkturpakete haben Bundesrat und Parlament seit letztem Herbst beschlossen. Beide waren auf Investitionen fokussiert. Nun hätten mit dem dritten Konjunkturpaket jene unterstützt werden sollen, die von der Krise persönlich betroffen sind: die Jugend- und Langzeitarbeitslosen. In der letzten Woche der Herbstsession wollten die FDP und die SVP aber nichts davon wissen. FDP-Präsident Fulvio Pelli meinte stellvertretend, in diesem Land würde ohnehin schon zu viel Geld umverteilt. «Jetzt künstliche Stellen zugunsten der Arbeitslosen zu schaffen, ist reine Geldverschwendung.» Dass im Herbst 46 Milliarden Franken an die UBS verteilt worden waren, hatte Pelli offensichtlich bereits wieder vergessen.

Nach langem Hin und Her nahm der Nationalrat am vergangenen Freitag das dritte Konjunkturpaket doch noch an. FDP und SVP hatten bis zuletzt dagegen opponiert, die Massnahmen gegen Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit kamen nur stark gekürzt durchs Parlament. Dabei war das Programm von Beginn weg mager gewesen. «Wir haben immer ein weitaus grösseres Paket gefordert», sagt Paul Rechsteiner, Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB). «Das beschlossene Paket ist höchstens ein halber Schritt nach vorne.» Immerhin sei die von den Gewerkschaften geforderte Rückerstattung der CO2-Abgaben drin. Das trage etwas mehr als eine halbe Milliarde zur Kaufkraftstärkung bei.

Trogen: Im «Kronen»-Saal erzählt Merz, dass er Grüntee trinke und dass die Hängeregistratur in seinem Büro drei Farben habe, denn «für die Ordnung im Geist braucht es auch eine ordnende Struktur». Merz zitiert auch den lateinischen Vers, wonach man bei allem immer das Ende bedenken solle. Es ist, angesichts seiner politischen Leistungen, schon ein eingebildetes Geschwätz, und wenn er auf andere Leute zu sprechen kommt, ist es meist auch ein herablassendes Geschwätz, aber die knapp hundert ZuhörerInnen lachen mit.

Zwischendurch fallen aus der Gesprächswolke zwei interessante Informationen: eine zu Merz’ Einflüsterern und eine zur UBS-Strafverfolgung. Zum Fall des Bankgeheimnisses am «schwarzen Freitag, dem 13. März», sagt der Bundespräsident: Einer der Ersten, der ihn angerufen habe, endlich die OECD-Standards zu akzeptieren, sei Peter Brabeck von Nestlé gewesen. Ansonsten wären nämlich die Nachbarstaaten auch auf die Holdings losgegangen.

Und als jemand im Saal doch noch wissen will, ob man die UBS-Banker nicht juristisch belangen könne, wiegelt Merz zuerst ab: Das Strafrecht komme nur zur Anwendung, wenn auch ein Straftatbestand vorliege. Aber die Frage könne man definitiv erst beantworten, wenn die Kriterien für die 4450 Kontendaten, welche an die USA übermittelt wurden, öffentlich werden. Das ist im November der Fall.

Insgesamt habe die Krise für ihn vier Phasen, führt Merz noch aus: Die erste Phase war die Krise in der Finanzindustrie, die zweite Phase war die Krise in der Exportwirtschaft, die dritte Phase ist die Arbeitslosigkeit. Auf sie geht er mit keinem weiteren Satz ein.

Bern: Den Arbeitslosen fehlt es nicht nur an Unterstützung, sie werden sogar noch unter Druck gesetzt: Im Juni hat der Ständerat die Revision der Arbeitslosenversicherung angenommen, die Leistungen für Arbeitslose sollen abgebaut werden.

Am Erscheinungstag dieser WOZ gibt das Bundesamt für Gesundheit die Erhöhungen der Krankenkassenprämien für 2010 bekannt. Gemäss den Prognosen steigen die Prämien um zehn Prozent, bei den Jugendlichen sogar um fast vierzehn Prozent. Das ist genau jene Alterskategorie, die von der steigenden Arbeitslosigkeit am stärksten betroffen ist.

«Ausserordentliche Einnahmen können auch für ausserordentliche Ausgaben verwendet werden», sagt Daniel Lampart, Chefökonom des SGB. Die 1,2 Milliarden, die der Bund mit dem Verkauf der Pflichtwandelanleihe an der UBS eingenommen habe, solle man für die Erhöhung der Prämienverbilligung verwenden.» Ein entsprechender Vorstoss von Paul Rechsteiner wurde im Parlament abgelehnt.

Christina Werder, Zentralsekretärin beim SGB, ergänzt: «Als 1996 das Krankenversicherungsgesetz eingeführt wurde, definierte man ein Sozialziel: Die Prämien dürften nicht mehr als acht Prozent des steuerbaren Einkommens ausmachen. Dieses Ziel wurde nie erreicht, die Prämien lagen 2007 bei etwa zehn Prozent. Jetzt müssen die Prämienverbilligungen erhöht werden.»

Trogen: Merz ist mittlerweile bei der vierten Phase der Krise angelangt: dem Schuldenabbau. Für 2011 rechnet er angesichts sinkender Steuereinnahmen mit einem Defizit von vier Milliarden Franken. «Auf diese Phase», sagt Merz, «freue ich mich.»