Manifest Steuerwende: Angriff von links
Jetzt machen GegnerInnen der Steuerflucht ernst. Sie fordern den automatischen Informationsaustausch mit anderen Ländern und prüfen eine Volksinitiative. Derweil sorgt Bundesrat Merz bei Fachleuten für Kopfschütteln.
Der politische Kampf gegen die Steuerflucht in der Schweiz tritt diese Woche in eine neue Phase. Die WOZ weiss: Am Erscheinungstag dieser Ausgabe lancieren die entwicklungspolitische Organisation Erklärung von Bern, das globalisierungskritische Netzwerk Attac und die gewerkschaftsnahe Denkfabrik Denknetz gemeinsam ein «Manifest Steuerwende» mit hundert Erstunterzeichnenden. Sie erheben Forderungen, die unter der Berner Käseglocke bisher tabu waren. Konkret verlangen sie einen «automatischen Informationsaustausch mit allen Steuerbehörden demokratischer Rechtsstaaten» und die «Aufhebung der Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug» auch im Inland. Sie «streben neue Verfassungsbestimmungen an, die zu einer gerechten, sozialen und nachhaltigen Steuerpolitik führen und jede Begünstigung von Steuervermeidung und Steuerhinterziehung im In- und Ausland untersagen». Sie prüfen «alle möglichen Instrumente zu deren Durchsetzung, einschliesslich einer Volksinitiative».
Die Fronten verschieben sich. Die rechtsliberalen BefürworterInnen des steuerlichen Standortwettbewerbs, angeführt von Bundespräsident Hans-Rudolf Merz, stehen zwar unter starkem Druck des Auslands, doch wähnten sie sich vor Angriffen aus dem Inland sicher. Hans-Rudolf Merz glaubte noch an ein Heimspiel, als er Anfang November in Luzern zu einem internationalen Symposium über den «Wettbewerbsfaktor Steuern» anreiste. Lächelnd betrat er den grossen Saal des KKL, des Kultur- und Kongresszentrums Luzern. Winkend stieg er auf die Bühne. Schlau plädierte er für seine neue Politik der Zusammenarbeit mit ausländischen Steuerbehörden.
Tuscheln über Merz
Die Schweiz werde in Zukunft nicht nur bei Steuerbetrug, sondern «auch bei Steuerhinterziehung international Amtshilfe leisten», versprach er, setzte aber sofort hinzu: «Das Bankgeheimnis im Inland ist davon nicht betroffen.» Seine Steuerpolitik werde «auch künftig KKL sein: konsequent, kundennah und liberal». Seine Worte verfehlten freilich ihre Wirkung. Einige Fachleute im Saal reagierten kopfschüttelnd, andere tuschelten diskret.
Seine «neue Amtshilfepolitik» war schon vor Merz’ Auftritt am Symposium von einem andern Referenten zerpflückt worden. Robert Waldburger, Professor für Steuerrecht an der Universität St. Gallen und von 1998 bis 2007 Abteilungsleiter für Internationales bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung, machte die versammelte Branche mit juristischer Akribie auf Ungereimtheiten bei den neuen Doppelbesteuerungsabkommen aufmerksam. Waldburger enthüllte in aller Gelassenheit rechtliche Mängel, die die Umsetzung der ganzen «neuen Politik» infrage stellen.
Anders als man es in Bern darstelle, werde die neue Amtshilfepolitik indirekt sehr wohl auch innerhalb der Schweiz ihre Auswirkungen haben, erläuterte der Fachmann. Der Bundesrat wolle kantonale Steuerbehörden schlechter stellen als ausländische – für Waldburger ein «falsches Signal an inländische Steuerhinterzieher». Staaten wie Frankreich oder Grossbritannien erhielten bei Verdacht auf Steuerhinterziehung Bankinformationen, die den Kantonen vorenthalten blieben. Dafür wären allerdings, auch wenn dies die Bundesbehörden nicht wahrhaben wollten, unbedingt rechtliche «Sonderbestimmungen notwendig». Sonst sei «nicht gesichert», dass es gelinge, «den Entscheid des Bundesrates international umzusetzen». Waldburger wunderte sich, dass die höchst problematische Ungleichbehandlung in- und ausländischer Hinterziehung in der Schweiz «bis jetzt kaum politische Diskussionen» ausgelöst habe.
Umverteilung!
So war es bisher in der Tat, doch das ändert sich jetzt. Das «Manifest Steuerwende» bietet eine breite Plattform. Zu den hundert Erstunterzeichnenden gehören nicht nur rotgrüne PolitikerInnen wie Hildegard Fässler, Hans-Jürg Fehr, Geri Müller und Luc Recordon, sondern etwa auch Filmemacher Samir, Schriftsteller Peter Stamm und alt Botschafter Philippe Levy (Expräsident von Transparency International Schweiz) sowie zahlreiche Hochschullehrende, Gewerkschafter und Publizistinnen. Sie befürworten nicht nur die stärkere Bekämpfung ungesetzlicher Steuerflucht, sondern auch «eine Stärkung von Steuerformen, die zur Umverteilung beitragen, wie Kapitalgewinnsteuern, Erbschaftssteuern und progressive Steuern».
Die Verfasser des Manifesttextes, darunter Bruno Gurtner, Präsident des internationalen Netzwerks Steuergerechtigkeit, wollen eine breite Bewegung für «Steuergerechtigkeit statt Steuerflucht und Steuerdumping» starten. Zuerst und vor allem aber wollen sie eine offene Diskussion über die Rolle des «Steuerstandorts» Schweiz ermöglichen. Andreas Missbach (Erklärung von Bern) kritisiert das «chauvinistische Geschwätz», das die Öffentlichkeit beherrsche: «Wir wollen mehr politische und ethische Substanz.» Die InitiantInnen rufen alle Interessierten auf, ihr Manifest im Internet zu unterzeichnen (www.steuerwende.ch).
Das Manifest kommt zur rechten Zeit. Selbst bei Bankern reift die Einsicht, dass die Schweiz kein Schurkenstaat werden darf, doch sträuben sich einige von ihnen hartnäckig gegen das Unabwendbare. Patrick Odier, Präsident der Bankiervereinigung, schlägt zwar via «NZZ am Sonntag» einen Kurswechsel vor: «Wir Banken müssen ein neues Geschäftsmodell einführen, bei dem die Steuerehrlichkeit bei Annahme von Neugeld das Ziel ist.» Doch möchte er das auf Schweizer Konten liegende unversteuerte «Altgeld» davon verschonen und knüpft die allfällige Ehrlichkeit für Neugeld an Bedingungen. Als «Ersatz zum automatischen Informationsaustausch der EU» will er das Ausland mit einer «Abgeltungssteuer», einer anonymen Quellensteuer, abspeisen. Der Präsident der Bankiervereinigung will immer nur gerade so viel Ballast wie nötig abwerfen, und Merz ist ihm dabei behilflich.
Freilich sind sich die Banker selber uneins. Im Gegensatz zu Odier, Genfer Privatbankier, fordert Hans-Ulrich Doerig, Präsident von Credit Suisse, den Kurswechsel ohne Wenn und Aber. «Es hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass wir einen anderen Weg einschlagen müssen», machte Doerig in der «SonntagsZeitung» deutlich: «Das Bankkundengeheimnis kann nicht einem Geschäftsmodell dienen, das primär auf steuerliche Aspekte setzt.» Schöner kann das ein Banker doch gar nicht formulieren. Nur eines fügte Doerig noch hinzu: «Dieses Umdenken wird einigen Mühe bereiten.» Wahrhaftig, im Gegensatz zu den Verfassern des «Manifests Steuerwende» und dem CS-Präsidenten wollen der Bundespräsident und das Gros der Parteien und Medien noch immer nicht begreifen, was es geschlagen hat.
Viktor Parma ist Journalist, Buchautor («Schurkenstaat Schweiz?») und einer der Erstunterzeichnenden des Manifests Steuerwende (www.steuerwende.ch).