Durch den Monat mit Steff la Cheffe (Teil 3): Was geht denn ab?
WOZ: Vor zwei Jahren sah ich dich zum ersten Mal auftreten, das war an einer Veranstaltung des Grünen Bündnisses Bern. Trittst du ab und zu an politischen Veranstaltungen auf?
Steff la Cheffe: Ja, ich werde immer wieder mal angefragt, bin auch schon am Ostermarsch und an genderpolitischen Anlässen aufgetreten. Momentan bin ich im Solidaritätskomitee aktiv, das sich gegen die SVP-Initiative für die Abschaffung der Reitschule Bern einsetzt. Ich bin Anfang Pubertät politisiert worden – oder habe mich politisiert.
Wie denn?
Einerseits durch meine Erziehung. Meine Mutter steht im politischen Spektrum eher links; ich fand ihre Ansichten meistens sinnvoll und hatte nie das Gefühl, eine Gegenposition einnehmen zu müssen. Zudem war ich schon immer ein Kind, das extrem viel überlegt hat. Ich habe mit neun aufgehört, Fleisch zu essen, weil ich es einfach nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren konnte. Und mit zwölf stellte ich den Fernseher aus meinem Zimmer, weil ich fand, ich schaue zu viel fern. Im Gymnasium traf ich dann vermehrt auf Leute, die politisch links stehen, wir haben viel in der Reitschule verkehrt und während des Irakkriegs an Demos und an Sit-ins vor der US-amerikanischen Botschaft teilgenommen. Mit ein paar Kolleginnen und Kollegen haben wir damals die Revolutionäre Jugend Bern gegründet. Aber wir kamen nicht weit, wir blieben in unserem Keller in Grundsatzdiskussionen stecken.
Die ältere Generation beklagt sich häufig, dass die Jungen sich nicht für Politik interessieren würden ...
Wir sind die «Generation Fragezeichen», die «Generation irgendwie» oder die «Wir-wissen-nicht-genau-was-wir-wollen-Generation». Wir haben alles; unsere Eltern haben uns immer unterstützt, wir mussten uns nicht gegen sie wehren oder uns von ihnen distanzieren. Somit haben wir den Privatkonflikt nicht, den unsere Eltern noch hatten. Aber auch der öffentliche Konflikt wird immer diffuser. Wir haben keine klaren Feindbilder mehr, wie dies die Generation unserer Eltern hatte – oder zumindest zu haben glaubte. Und das Dritte ist, es fehlt an einer Alternative zum etablierten politischen System. Ich glaube, früher war die SP eher eine Alternative zu der Politik, die bis dahin gemacht wurde. Sie stand für Veränderung, für etwas Neues und für eine linke Politik. Nun ist sie aber gar nicht mehr so links, vertritt teilweise sogar – gerade was die Sicherheitspolitik angeht – bürgerliche Ansichten.
Und wie reagiert ihr Jungen denn auf diese Situation?
Ich glaube, vielen fehlt einfach die Antriebskraft, etwas zu machen. In meinem Umfeld gibt es schon Personen, die sich äussern und politisch aktiv sind, aber die Mehrheit ist eher passiv. Obschon viele genau begreifen, was da eigentlich abgeht.
Was geht denn ab?
Uns geht es einfach verdammt gut. Wir sind unter anderem eine Generation von Hedonisten, die davon profitiert, was für uns gemacht worden ist. Wir selber haben ja kein lebensbedrohliches Leid mehr, das findet weit weg von uns statt. Aber doch sind wir alle Menschen und sind Teil derselben Erde, also ist das Leid der anderen irgendwie auch unser Leid.
Wenn wir hier nicht zufrieden sind, dann wird einem das vorgeworfen: Sei doch mal zufrieden und dankbar für das, was du hast und bekommst, andere haben gar nichts. Sei doch stolz auf die Schweiz, uns geht es so gut, heisst es dann. Dabei geht es uns nur so gut, weil es den anderen so schlecht geht. Das ist ein so komplexer Zusammenhang, den man zwar nicht konkret im Alltag erlebt, und doch ist er immer da ...
Und wie gehst du damit um?
In den Kreisen, in denen ich mich bewege, wird teilweise extrem zynisch mit dieser Situation umgegangen. So im Sinne von: Wir wissen, dass wir schuld daran sind, dass die dort drüben verrecken. Und ja, ich gehe mir jetzt trotzdem eine Coca-Cola kaufen, auch wenn ich weiss, dass in Kolumbien Gewerkschaftsmitglieder umgebracht werden. Und ja, ich kaufe mir nun diese Nike-Turnschuhe, auch wenn ich weiss, dass sie in China von Kindern hergestellt wurden. Es bleiben dir irgendwie nur zwei Wege: Entweder du machst voll einen auf Selbstversorgung, kaufst nur noch in Bioläden ein und trägst Hanfkleider und Biobaumwolle, oder dann musst du das einfach ab und zu ignorieren und das Leben geniessen, trotz allem.
Steff la Cheffe (22), mit bürgerlichem Namen Stefanie Peter, ist Rapperin und Beatbox-Vizeweltmeisterin und lebt in Bern.