JAHRGANG 1981: Gegenöffentlichkeit? Ja!

Nr. 1 –

Die WOZ wird dieses Jahr 25 Jahre alt - Christian, Bettina, Markus, Claudia und Florian auch. Fünf engagierte junge WOZ-LeserInnen erzählen.

Christian Trunz: «Ich bin politisch ‹altlinks› - na und?»

Du sagst, die Jugend von heute sei apolitisch. Nun, ich weiss nicht … ja, es ist etwas ruhig. Vor drei Jahren, als Kantonsschüler Demos gegen den Irakkrieg organisierten, sprachen viele von einem neuen Trend: dass die Jungen wieder politischer würden. Ich hab das nie als Trend angesehen. Die sind einfach gegen diesen unsinnigen Krieg auf die Strasse gegangen, mehr nicht. An der Uni ist das politische Bewusstsein dürftig. Nicht so sehr bei den Geschichtsstudenten, aber die Wirtschaftsstudenten sind schon sehr apolitisch, die denken, sie studieren eine exakte Wissenschaft. Und die Politologen meinen, sie seien nun politisch objektiv, weil sie mit vielen Zahlen und Formeln die Politik untersuchen.

Die WOZ ist neben der «Saisonküche» die einzige Zeitung, die ich abonniert habe. Natürlich lese ich auch andere Zeitungen, im Café, in der Uni oder am Arbeitsplatz, beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund. Die WOZ jedoch würde ich sogar abonnieren, wenn ich sie gar nicht läse, denn eine unabhängige linke Zeitung ist für die Schweiz wichtig. Sie bietet eine Möglichkeit, Kreise zu schliessen. Die Schweiz ist ja klein, die Schweizer Linke eine kleine Szene, da gibt eine Zeitung wie die WOZ etwas Gemeinsames. So habe ich sie auch kennen gelernt: In dem Umfeld, wo ich mich als Jugendlicher bewegte, gehörte es einfach dazu, dass man die WOZ - und das St. Galler Kulturmagazin «Saiten» - las.

In Bezug auf mein Informationsverhalten bin ich konservativ: ein Zeitungsleser. Fernsehen, Radio und Internet nutze ich nicht als Informationsmedien. Ich lese auch rechte Titel, ohne damit aber bewusst ein möglichst breites Spektrum anzuzielen. So auch die «Weltwoche», doch eigentlich nur wegen der wunderbaren Musiktexte von Albert Kuhn.

Ich komme aus einem unpolitischen Elternhaus und wurde in der Pfadi politisiert, mit 15 oder 16. In St. Gallen gründete ich die Juso mit. Wichtig waren für meine Politisierung Militärthemen, für die zweite Armeeabschaffungs-Initiative sammelte ich 1997 erstmals Unterschriften. Das war aber eher Zufall, weil das damals eben aktuell war. Den Widerstand gegen den Waffenplatz Neuchlen-Anschwilen (1990/91) bekam ich nur deshalb mit, weil ich mit meinen Eltern den Walter-Zoo am Rande des geplanten Waffenplatzgeländes besuchte. Fasziniert war ich da vor allem von den schönen Zeltklappanhängern der Demonstranten, die den Bau verhindern wollten.

Heute bin ich in keiner politischen Partei. Der Ort meines politischen Engagements ist der Gewerkschaftsbund, eine Organisation, die in den VWL-Vorlesungen an der Uni als «altlinks» betitelt wird - was ich nicht weiter schlimm finde. Man disqualifiziert diese Art, Politik zu betreiben, oft als altmodisch, doch meiner Meinung nach hat das mit Alt oder Jung nichts zu tun.

Gewiss sind die Zeiten heute andere als 1981. Es gibt heute wohl mehr Freiräume; viel Spannendes wie etwa die Berner Reithalle ist in den Achtzigern entstanden. Ich glaube, dass es die WOZ als Ort für eine «Gegenöffentlichkeit» braucht, auch heute noch. Der Journalismus in den letzten Jahren - und da meine ich nicht nur die «Weltwoche» und das «Magazin» - ist geprägt worden von Leuten wie Roger Köppel. Leider hat ihr Kampf gegen den so genannten linken Medienmainstream gefruchtet. Da braucht es eine Zeitung, die diesem Trend widersteht. Gut ist, dass die WOZ einen anderen Blick auf die Dinge wirft, Fragen stellt und dann auch Artikel recherchiert, die anderswo keinen Platz haben. Mit regionalen Geschichten ist die WOZ besser geworden. Den Auslandteil lese ich wenig, da bin ich mit der NZZ - die ja einfach ganz andere Ressourcen hat - und «Le Monde diplomatique» gut bedient. Aber der WOZ-Wirtschaftsteil ist zu schwach. Er vermag keinen Gegenpol zu bilden zu den anderen Medien. Dabei weiss ich von meiner Arbeit, dass es linke Konzepte für die Wirtschaft sehr wohl gibt.

Ich werde am 19. Juli 25. Ich glaube nicht, dass ich das gross feiern werde.

Aufgezeichnet von Marcel Hänggi


Bettina Surber: «Vielleicht sind wir Jungen ja zu brav»

Ich hoffe, dass die WOZ zu ihrem 25. Geburtstag ein riesiges Fest veranstalten wird. Wir brauchen mehr gute Feste! Selber werde ich am 3. Oktober 25 Jahre alt. Ob ich da ein Fest mache, weiss ich noch nicht. Vielleicht schon - so ein richtig grosses, das wäre schön.

Ich sitze seit Anfang Jahr für die Juso im St. Galler Stadtparlament; im ostschweizerischen Solidaritätsnetz engagiere ich mich für Asylbewerber mit einem Nichteintretensentscheid, die nur noch Nothilfe erhalten. Als Jungpolitikerin begegne ich in der Regel sehr viel Wohlwollen. Viele freuen sich, wenn junge Menschen sich links engagieren. Manchmal ist es mir fast peinlich, wie viel Wohlwollen ich nur wegen meines Alters ernte. Ob es dort, wo ich aktiv bin, Generationenkonflikte gibt? Das habe ich mir so noch gar nie überlegt. Eigentlich gibt es da keine Probleme, obwohl … es gibt schon die «Alten», die finden, wir «Jungen» seien zu brav und früher seien die Linken viel wilder gewesen. Vielleicht haben sie ja Recht.

Zur Politik kam ich durch meine politisch aktiven Eltern. Wir diskutierten zu Hause immer schon politische Fragen. Es gab da kein spezielles Thema, das mit meiner Politisierung verbunden war. Heute liegt mir die Asylpolitik besonders am Herzen. Da läuft die politische Diskussion in eine so völlig falsche Richtung, das ist unglaublich.

Die WOZ lese ich seit vielleicht drei Jahren, das weiss ich nicht mehr so genau. Sie war irgendwann einfach da. Ich glaube, mein Bruder hatte sie abonniert. Es ist schwer zu sagen, welche Informationsquelle für mich wie wichtig ist. Über das Weltgeschehen informiere ich mich eher via Radio (das «Echo der Zeit» höre ich immer, wenn ich kann) und Fernsehen («Tagesschau»), über Nationales und Regionales eher via Zeitungen. Als Ostschweizerin lese ich das «St. Galler Tagblatt», auch den «Tages-Anzeiger» und ab und zu die NZZ. Das hat mit politischer Ausrichtung wenig zu tun. Obwohl, es gibt einen Punkt, an dem man schon sagen muss: Diese Zeitung kaufe ich mir nicht mehr, weil sie politisch doch in eine völlig falsche Richtung zielt. Der «Tagi» ist im Moment auf dem besten Weg, eine solche Zeitung zu werden, besonders wegen seiner Berichterstattung zur Asylpolitik.

Die WOZ ist für mich sehr wichtig, weil sie einen Gegenpol in der bürgerlich-konservativ bestimmten Medienwelt der Schweiz bildet. Sie berichtet auch anders als andere Zeitungen. Es sind nicht nur die grossen Geschichten, die sie ausmachen, sondern auch die «kleinen» Geschichten über das politische Geschehen in Gemeinden, von denen man bis anhin gar nicht wusste, dass es sie gibt. Es kommt vieles ans Licht, über das in andern Medien nicht oder nur einseitig berichtet würde. Etwa bei den Wef-Demonstrationen: Die meisten Medien berichten nach diesen Demonstrationen meist nur aus der Sicht der Polizei, die WOZ nicht. Gerade heute ist die Gegenöffentlichkeit sehr wichtig. Es wäre gut, es gäbe in der Schweiz eine linke Tageszeitung.

Die Zeit, als ich geboren - und die WOZ gegründet - wurde, war eine Zeit der Forderungen nach alternativen Kulturräumen. Es wurde viel gefordert und viel demonstriert und einiges gewonnen. Dies weiss ich allerdings nicht aus dem Geschichtsunterricht, sondern deshalb, weil viele der damals entstandenen Kulturlokale heute noch bestehen und wir irgendwann den Weg in diese Lokale gefunden haben.

Aufgezeichnet von Marcel Hänggi


Claudia Gambacciani: «Ich möchte gegen Gleichgültigkeit kämpfen»

Über die Zeit, als ich geboren wurde, habe ich in der Zeitung gelesen: AJZ, Opernhauskrawall sind mir ein Begriff. Ich finde es verständlich, dass die Jungen damals rebellierten. Es ist sehr wichtig, dass sich Jugendliche für ihre Anliegen einsetzen. Ich selbst hoffe auf eine «grüne Jugendrevolution»: Die nächste Jugendbewegung soll ökologisch sein. Obwohl ich selber in einer Partei bin, finde ich auch ausserparlamentarisches Engagement gut und wichtig. Das sollte sich gegenseitig ergänzen und unterstützen. Wir machen mit den Jungen Grünen auch Aktionen auf der Strasse.

Seit 2003 bin ich bei den Jungen Grünen. Inzwischen bin ich im Vorstand und arbeite als Koordinatorin im Zürcher Sekretariat. Das heisst, ich bin zu zwanzig Prozent angestellt, meistens arbeite ich mehr. Ich mache Öffentlichkeitsarbeit, bereite Sitzungen vor und schaue, dass alle die Infos bekommen. Im Februar kandidiere ich für die Stadtzürcher Gemeinderatswahlen im Kreis 10. Die junggrünen Hauptthemen sind Verkehr und Energie, Bildung und Jugendpartizipation, gewaltfreie Konfliktlösung und gerechte Globalisierung.

Aber für Politik habe ich mich schon vorher interessiert. Ein Schlüsselerlebnis war eine Schulstunde in der Berufsschule über die Klimaveränderung und die Umweltverschmutzung. Das war etwa 1997. Es hat mich schockiert: Alle kennen die Fakten, aber niemand unternimmt etwas. Gegen diese Gleichgültigkeit möchte ich ankämpfen.

Ich habe den «Tagi» und die WOZ abonniert, schaue ausserdem oft die News auf TeleZüri und häufig die «Tagesschau». Tageszeitung lesen ist eine Pflicht, die WOZ lesen ist gemütlich. Ich nehme mir Zeit, Artikel genau zu lesen und darüber nachzudenken. Die Tagespresse liefert abgehackte Fragmente - die Artikel in der WOZ machen die Zusammenhänge verständlich und bleiben viel eher hängen. Die WOZ bringt sachliche Fakten, vieles kommt aber auch mit einem Augenzwinkern daher. Sie wirft Fragen auf und hinterfragt. Das gefällt mir. Und die Bilder gefallen mir auch sehr gut.

Was mir in der WOZ fehlt, sind Hinweise, wie man selber aktiv werden könnte. Es ist gut, Informationen zu liefern, aber ich fände es wichtig, dass die Texte die Leserschaft auch dazu motivieren, selber etwas zu tun. Manchmal muss man die Leute dazu anspornen. Zum Beispiel könntet ihr Adressen von Organisationen und Bewegungen angeben oder diese porträtieren und vermehrt auf ihre Veranstaltungen hinweisen. Ausserdem wünsche ich mir, dass die WOZ mehr auf die Lebensrealitäten junger Leute eingeht. Man könnte zum Beispiel Menschen zwischen 25 und 35 porträtieren, auch wenn sie nicht bekannt sind. Dann würde ich mich stärker mit der Zeitung identifizieren.

Gegenöffentlichkeit ist immer noch etwas sehr Wichtiges. In unserer Massenmediengesellschaft besteht die Gefahr, dass alle das Gleiche berichten. Medienimperien wie Berlusconis Konzern in Italien finde ich sehr gefährlich - da ist es von Vorteil, Zugang zu verschiedenen Perspektiven zu haben, um sich eine eigene, differenzierte Meinung zu bilden. Mein Bezug zu Italien? Ja, mein Name ist italienisch, aber die Geschichte ist komplizierter. Meine Grosseltern sind nach dem Krieg von Italien nach Argentinien ausgewandert. Mein Vater ist dort aufgewachsen, bis er sechzehn war, dann ist seine Familie in die Schweiz gekommen. Er ist zweisprachig, italienisch-spanisch, aufgewachsen, meine Eltern sprechen miteinander Spanisch. Darum kann ich besser Spanisch als Italienisch.

Mein Geburtstag ist am 16. September. Das ist ein Samstag, und ich werde wohl kurz vorher umziehen müssen, so werde ich vielleicht das Geburtstagsfest mit der Wohnungseinweihung verbinden. Ich wünsche der WOZ einen schönen Geburtstag und dass sie noch etwas populärer wird.

Hobbys? Dazu komme ich doch momentan gar nicht.

Aufgezeichnet von Bettina Dyttrich


Markus Gehrig: «Die Perspektive von unten ist wichtig»

Bin ich ein Linker? Wenn links sein «mehr Staat» bedeutet, bin ich alles andere als links; wenn es Einsatz für Humanität und soziale Gerechtigkeit bedeutet, ja, dann bin ich links. Ich bin libertärer Sozialist und halte das Links-rechts-Schema für eine vereinfachte Schematisierung von Gedanken und Ansichten.

Ich engagiere mich im Redaktionskollektiv der ausserparlamentarischen Zeitung «BrandSATZ», helfe in einer nicht kommerziellen Bar und bin in einem anarchistischen Netzwerk aktiv. In meiner Kindheit verkehrte ich vor allem mit ausländischen Menschen. Deshalb standen die Themen Rassismus und Flüchtlingspolitik am Anfang meines politischen Interesses. Als ich in einem klassischen Industriebetrieb eine kaufmännische Lehre machte, kam ich ausserdem zum ersten Mal mit dem Arbeitskampf in Berührung.

Über das Geschehen in der Welt informiere ich mich im Internet, zum Beispiel auf Indymedia, und aus dem «Tages-Anzeiger», manchmal auch der NZZ. An zweiter Stelle folgen Wochen- und Monatszeitungen aus dem linksradikalen Spektrum und die WOZ, die ich von der Winterthurer Genossenschaftsbeiz Widder her kenne. Es ist wichtig, dass es eine Wochenzeitung gibt, die nicht den Logiken des Kapitals verfallen ist, aus einer Perspektive von unten informiert und trotzdem nicht ideologisch gebunden ist - aber mein wichtigstes Medium ist die WOZ nicht. Ich finde es schade, dass sie eine eher linksparlamentarische als ausserparlamentarische Linie fährt. Ich glaube nicht, dass die Funktion der WOZ, eine Gegenöffentlichkeit zu bieten, heute überholt ist. Es braucht solche Medien, die gesellschaftliche Ereignisse und Entwicklungen von unten her betrachten.

Über die Zeit der WOZ-Gründung - und meiner Geburt - weiss ich vor allem aus Medien der ausserparlamentarischen Linken Bescheid. Dass es heute, als Überbleibsel der achtziger Jahre, Hausbesetzungen und Genossenschaftsbeizen gibt, ist für eine linksradikale Struktur sehr wichtig.

Ob die Linken früher ideologischer waren? Es gibt auch in meinem Umfeld starke ideologische Grabenkämpfe, das ist keine Generationenfrage. Ich glaube nicht, dass wir Jüngeren uns hier gross unterscheiden von der Generation, die die WOZ gegründet hat.

Wie ich meinen 25. Geburtstag am 22. Juli feiern werde, da habe ich noch keine Ahnung.

Aufgezeichnet von Marcel Hänggi

Christian Trunz studiert an der Universität Bern Geschichte, Volkswirtschaft und Politikwissenschaft und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter von Serge Gaillard beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund.

Bettina Surber möchte Anwältin werden. Sie studiert im 9. Semester Jus an der Universität Zürich, arbeitet im Sekretariat einer Anwaltskanzlei in Zürich und im Restaurant Schwarzer Engel in St. Gallen.

Claudia Gambacciani ist kaufmännische Angestellte, macht zurzeit die Ausbildung zur Sekundarlehrerin (PHZH) und arbeitet im Sekretariat der Jungen Grünen Zürich.

Markus Gehrig ist kaufmännischer Angestellter und studiert Geschichte an der Universität Bern. Er lebt in einer Wohngemeinschaft in Winterthur.