Griechenlandkrise: Fördern statt sparen
Für den Finanzexperten Mark Herkenrath ist die Überwindung der Krise nur möglich, wenn die wichtigsten Entscheidungsträger nicht die G20 und der IWF bleiben.
WOZ: Die EU und der Internationale Währungsfonds (IWF) haben ein Hilfspaket in der Höhe von 110 Milliarden Euro für Griechenland geschnürt. Das Land muss sich nun an die Kreditauflagen des IWF halten. Was halten Sie davon?
Mark Herkenrath: Ich bin da sehr skeptisch. Der Internationale Währungsfonds holt alte Rezepte aus der Schublade, die sich schon während der Asienkrise als kontraproduktiv erwiesen haben: Man verordnet Griechenland ein rigoroses Sparprogramm, um so das Vertrauen der Investoren zu stärken. Die sollen daraufhin wieder Geld ins Land bringen. Tatsächlich würgt man damit aber die Wirtschaft ab und schadet der unschuldigen Bevölkerung. Für Griechenlands Probleme ist ja nicht nur die eigene Staatsverschuldung verantwortlich, sondern auch die extern verursachte globale Finanzkrise.
Gibt es Alternativen?
In den USA und in vielen Ländern Europas hat man in der Krise Konjunkturprogramme lanciert, um die Realwirtschaft zu stützen. Das hat auch der IWF ausdrücklich befürwortet. Aber offensichtlich wird bei Griechenland mit einer anderen Elle gemessen. Da fehlt es am politischen Willen, dem Land ein Programm zur Wirtschaftsförderung zu ermöglichen.
Woran liegt das?
Eigentlich laufen die Kreditauflagen auf eine Strafaktion hinaus. Griechenland hat ein Problem mit seiner Staatsverschuldung, das ist nicht von der Hand zu weisen. Würde man dem Land nun bedingungslos Geld für den Wirtschaftsaufbau leihen, könnte das für andere Länder ein Anreiz sein, sich ebenfalls weiter zu verschulden. So jedenfalls argumentieren die Befürworter des Sparprogramms. Das Problem ist: Dadurch wird die Wirtschaftskrise in Griechenland verschärft, und es besteht eine grosse Ansteckungsgefahr. Die Krise hört nicht an der griechischen Grenze auf.
Wie beurteilen Sie die Rolle des IWF in der globalen Wirtschaftskrise ganz allgemein?
Der IWF war vor der Krise praktisch in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Die meisten Entwicklungs- und Schwellenländer begriffen schon nach der Asienkrise Ende der neunziger Jahre, dass die Kreditauflagen des Währungsfonds die Wirtschaft unnötig lähmen. Und dass sie verheerende soziale Folgen haben. Im letzten Jahrzehnt beantragte darum kaum noch ein Land einen Kredit. Das hat sich in der jetzigen Krise geändert. Der IWF ist als Notfallkasse zurück im Geschäft, denn man hat es verpasst, sinnvolle Alternativen zu schaffen. Ausserdem hat die G20, die Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, dem Fonds sogar neue Aufgaben bei der Überwachung der globalen Finanzmärkte zugewiesen.
Sie haben die G20 erwähnt. Zählt sie auch zu den GewinnerInnen der Krise?
Ja, denn in einer Krise sind rasche Antworten gefragt. Ein exklusiver und informeller Club wie die G20 kann solche schnellen Lösungen anbieten, weil darin Länder mit ähnlichen Interessen zusammenkommen. Die Schwellenländer haben zwar weltpolitisch an Einfluss gewonnen, aber die reichen Industrieländer sind in der G20 weiterhin klar tonangebend. Das hat zu einer paradoxen Situation geführt: Ausgerechnet die Staaten, die die Krise massgeblich zu verantworten haben, geben nun vor, die effizientesten Antworten anbieten zu können.
Funktioniert das?
Weder die G20 noch der IWF sind bereit, die politischen Weichen so zu stellen, dass das Finanzsystem künftig nicht nur stabiler, sondern auch gerechter wird. Und beide Gremien sind klar zu wenig repräsentativ und demokratisch legitimiert, um über wichtige weltwirtschaftliche Zukunftsfragen zu entscheiden. Die Entwicklungsländer, die massiv unter der Krise leiden, werden schlicht übergangen. Eigentlich ist die Uno die einzige internationale Instanz, die demokratisch genug ist, um solche Entscheidungen zu treffen.
Schwächt die G20 die Position der Uno nicht?
Die G20 argumentiert mit ihrer Effizienz. Sie stellt die Uno als Organisation dar, die zwar für Grundsatzdiskussionen geeignet ist, aber nicht als Entscheidungsträgerin. Dass Verhandlungen in der Uno oft lange dauern und wenig konkrete Ergebnisse bringen, liegt aber nicht daran, dass zu viele Länder mitreden. Vielmehr versuchen die Industrieländer regelmässig, wichtige Entscheidungen innerhalb der Uno zu blockieren. Sie selbst machen die Uno ineffizient.
Können Sie das konkretisieren?
Ein gutes Beispiel ist der Uno-Krisengipfel in New York letzten Sommer. Der Präsident der Uno-Generalversammlung, Miguel d’Escoto Brockmann, legte damals einen Entwurf für die Abschlusserklärung vor, in den viele Ideen des sogenannten Stiglitz-Berichts eingeflossen waren. Dieser forderte grundlegende Reformen der internationalen Finanzmärkte. Unter anderem einen repräsentativen Weltwirtschaftsrat, staatliche Kapitalverkehrskontrollen oder die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, die zivilgesellschaftliche Organisationen ja schon längst fordern. Die Industrieländer haben den Entwurf nicht akzeptiert und so den Weg für sinnvolle und wichtige Reformen blockiert.
Zurück zur Krise in Griechenland: Wird sie die Diskussionen um die Zukunft der Finanzmärkte beeinflussen?
Die internationale Reformdiskussion hatte vor Griechenland wieder deutlich an Schwung verloren. Eine grundlegende Reform des globalen Finanz- und Wirtschaftssystems schien plötzlich nicht mehr so dringend, denn es hiess, die Krise sei fast vorüber. Aber das ist sie nicht. Die Situation in Griechenland könnte zu einem Umdenken führen.
Die globale Krise hat eines ganz deutlich gemacht: Die bisherigen Markttheorien funktionieren nicht. Es ist dringend notwendig, unser Finanzsystem grundlegend zu überdenken. Es kann nicht angehen, dass es lukrativer ist, sich an Finanzspekulationen zu beteiligen, statt in die Realwirtschaft zu investieren. Wir brauchen in Zukunft Reformen und Regulierungen, wie sie im Stiglitz-Bericht erwähnt werden.
Der 38-jährige Mark Herkenrath ist Finanzexperte von Alliance Sud, der entwicklungspolitischen Arbeitsgruppe der Hilfswerke. Überdies ist der gebürtige Zürcher Privatdozent am Soziologischen Institut der Universität Zürich. Herkenrath ist Herausgeber des Buches «Civil Society – Local and Regional Responses to Global Challenges», Zürich/Berlin 2007, erschienen im LIT Verlag.