Stromwirtschaft: Ein Stausee für die Zukunft. Aber für welche?

Nr. 50 –

Am Berninapass wird ein gigantisches Pumpspeicherwerk gebaut. Dank Forderungen der Umweltverbände wurde es ökologisch akzeptabler, doch letztlich bleibt es eine Waschanlage für dreckigen Strom aus Kohle. Ein Lehrstück über die Verbandelung der Schweizer Energiewirtschaft.


In einer perfekten Welt wäre das Pumpspeicherwerk am Lago Bianco ein gutes Projekt – modern und grün. Doch in der wirklichen Welt geht es ums grosse Geschäft. Hauptakteurin ist das Energieunternehmen Repower, das in Brusio zu Hause ist, im südlichsten Bündner Zipfel.

Der Lago Bianco liegt auf dem Berninapass, ein Stausee zwar, aber doch ein grossartiger See in einer grossartigen Gegend. Auf diesen See hat es die Repower schon lange abgesehen. Ursprünglich wollte sie ein Pumpspeicherwerk bauen, das die Bäche hätte vertrocknen lassen. Die Umweltverbände wehrten sich dagegen – bis ihnen der Schnauf ausging. Dann machte die Greina-Stiftung einen Vorschlag (vgl. «Jetzt können die Fische wieder schwimmen» am Ende dieses Textes), der aus dem fatalen Projekt ein annehmbares machen soll: Der Lago di Poschiavo unten im Tal wird durch einen zwanzig Kilometer langen Stollen mit dem Lago Bianco verbunden.

Repower stieg darauf ein. Vor einigen Wochen stimmte die Bevölkerung von Poschiavo dem Projekt zu. An diesem Montag sagten nun auch die EinwohnerInnen von Pontresina mit 91 gegen 4 Stimmen Ja zum Konzessionsvertrag. Pontresina erhält als Gegenleistung jährlich Wasserzinsen von rund 100 000 Franken und Gratisstrom im Wert von 250 000 Franken. Da kann man kaum dagegen sein.

Einige Auswärtige waren aber dagegen. Vor der Abstimmung organisierten sie in Pontresina eine Veranstaltung mit dem renommierten US-amerikanischen Klimawissenschaftler James Hansen. Das rätoromanische Fernsehen war da, doch PontresinerInnen liessen sich keine blicken. Hansen hätte ihnen erzählen wollen, dass der Bau von Kohlekraftwerken unverantwortlich sei. Und sie hätten erfahren, was klimafeindlicher Kohlestrom mit dem Lago Bianco zu tun hat. Aber eben, die Einheimischen blieben fern. Deshalb sei die Geschichte hier nochmals erzählt.

In einer perfekten Welt wäre unser Strom sauber und würde von Windfarmen, Sonnenkollektoren oder Wasserkraftwerken produziert. Weil Sonnen- und Windstrom jedoch unregelmässig anfällt, würden die Pumpspeicherwerke wie riesige Batterien funktionieren: Der überschüssige Ökostrom würde genutzt, um Wasser in Seen wie den Lago Bianco zu pumpen. Wenn Strom fehlte, könnte man das Wasser runterlassen und mithilfe von Turbinen wieder in Strom umwandeln. Klug, einfach, sauber.

Am Lago Bianco wird Repower eine Anlage bauen, die eine gleich hohe Leistung wie das Atomkraftwerk Gösgen hat und 1,5 Milliarden Franken kosten dürfte. Um rentabel zu sein, muss sie während rund 2500 Stunden pro Jahr Wasser nach oben pumpen – also im Durchschnitt acht Stunden täglich, damit während weiteren acht Stunden teurer Spitzenstrom produziert werden kann. Mit Windstrom lässt sich das nicht machen, sagen Experten: So viel überschüssigen Ökostrom gibt es gar nicht und wird es in nächster Zukunft nicht geben. Kommt hinzu, dass im Glanerland und am Grimsel weitere grosse Pumpspeicherwerke geplant sind.

Ein kleines bisschen Ökostrom ...

Die Repower bietet zwar Ökostrom an, allerdings produziert sie insgesamt nur knapp 50 Gigawatt Ökostrom, gerade mal 0,01 Prozent ihrer gesamten Produktion.

Im Bünderland bekommen Repower-KundInnen nicht etwa sauberen Wasserstrom, sondern solchen, der aus «nicht überprüfbaren Energieträgern» besteht. Oder wie es Repower ausdrückt: «preiswerter Strom, der im Stromhandel eingekauft wird». Das ist der typische europäische Strommix, der vor allem aus Kohle- und Atomstrom besteht.

Und in Kohlestrom gedenkt Repower massiv zu investieren. In Brunsbüttel nördlich von Hamburg will sie – zusammen mit der deutschen Firma Südweststrom – ein grosses Kohlekraftwerk mit einer Leistung von 1800 Megawatt bauen. Kohlekraftwerke gelten als Klimakiller, weil sie viel CO2 produzieren. Die Anlage in Brunsbüttel würde eine riesige CO2-Schleuder: Ihr Ausstoss entspräche vierzig Prozent der jährlichen CO2-Menge der ganzen Schweiz.

Repower möchte am Projekt nur einen Minderheitsanteil von 200 bis 400 Megawatt halten, sucht also noch PartnerInnen. Der Entscheid der deutschen Regierung, die Laufzeit der AKWs zu verlängern, erschwert die Suche, weil es sich dann nicht mehr lohnt, neue Kohlekraftwerke zu bauen. Repower hält sich diesbezüglich bedeckt. Im nächsten Jahr würden die ersten Bewilligungen erwartet, meint der Repower-Pressesprecher Werner Steinmann: Das weitere Vorgehen werde nach «einer aktualisierten Beurteilung der Wirtschaftlichkeit zusammen mit dem Partner Südweststrom beschlossen».

In Saline Joniche in Italien verfolgt Repower ein weiteres Kohlekraftprojekt, das eine Leistung von über 1300 Megawatt haben soll. Über den Baubeginn weiss man allerdings noch nichts.

Diese Kraftwerke sollen sechzig Jahre in Betrieb sein. Sie werden deshalb einen grossen Einfluss darauf haben, wie Europa in den nächsten Jahrzehnten mit Strom versorgt wird. Sie verschlingen viel Kapital, das für einen sinnvollen Umbau der Energieversorgung fehlen wird.

... und ein blühendes Geschäft

Weil Kohlekraftwerke Bandenergie liefern, fällt nachts zu viel Strom an. Pumpspeicherwerke werden deshalb gebraucht, um den überschüssigen Kohlestrom in Spitzenstrom zu verwandeln; Repower wird kaum teuren Ökostrom einkaufen, um den Lago Bianco vollzupumpen, wenn sie gratis eigenen Kohlestrom zur Verfügung hat. Mit den Kohlekraftwerken und dem Pumpspeicherwerk wäre Repower perfekt aufgestellt, um im Stromhandel noch erfolgreicher mitzuspielen.

Das Geschäft blüht bereits: 1999 hatte die Firma einen Energieumsatz von 3600 Gigawatt, letztes Jahr waren es bereits 14 000, wobei nur rund zehn Prozent in eigenen Anlagen produziert wurden. Der Grossteil wird auf dem Markt gekauft und verkauft, ein abstraktes Geschäft, vergleichbar mit dem Devisenhandel. Der Firmenumsatz stieg in diesen zehn Jahren von 176 Millionen auf 1,9 Milliarden Franken.

Das im Puschlav beheimatete Unternehmen gedeiht, doch wer meint, es wäre ein Bündner Unternehmen, liegt falsch. Faktisch wird die Repower von den grossen Stromkonzernen Alpiq und Axpo regiert (vgl. «Wem Repower gehört»). Und diese werden den Lago Bianco auch gut gebrauchen können, um ihren überschüssigen billigen Kohle- und Atomstrom gewinnbringend zu waschen. Von der grünen, perfekten Welt bleibt nicht viel übrig.

Wem Repower gehört

Vor zehn Jahren entstand die Rätia Energie, die heutige Repower, aus dem Zusammenschluss mehrerer Bündner Kraftwerkgesellschaften. Heute hat Repower eine aussergewöhnliche Eignerstruktur: 46 Prozent der Aktien gehören dem Kanton Graubünden, 24,6 Prozent dem Energieunternehmen Alpiq und 21,4 Prozent der Elektrizitätsgesellschaft Laufenburg (EGL). Alpiq gehört zu einem Viertel dem französischen Energiegiganten Electricité de France. Sie betreibt das AKW Gösgen und plant ein weiteres zu bauen. Die EGL ist die Stromhändlerin des Ostschweizer Energiekonzerns Axpo, der ebenfalls AKWs betreibt und neue bauen möchte.

Im Verwaltungsrat der Repower sitzen diverse hochkarätige Leute wie zum Beispiel Kurt Baumgartner, der Alpiq-Finanzchef, der für die Finanzierung des AKW-Neubaus verantwortlich sein wird, oder Stromhandelscrack Guy Bühler aus der EGL-Geschäftsleitung. Als Verwaltungsratspräsident amtiert Eduard Rikli, ein enger Bekannter des neuen FDP-Bundesrates Johann Schneider-Ammann.

Was Gallus Cadonau von der Greina-Stiftung sagt: «Jetzt können die Fische wieder schwimmen»

WOZ: Herr Cadonau, Sie waren unzufrieden, weil die WOZ kritisiert hat, dass die Greina-Stiftung das Pumpspeicherwerk Lago Bianco unterstützt.

Gallus Cadonau: Nicht die Kritik – die publizierten Unwahrheiten sind unzulässig, wie zum Beispiel, dass Rätia Energie, die heutige Repower, die Umweltverbände gefragt habe, was wir bei dem Projekt besser machen würden. Nicht die Rätia Energie, sondern die Schweizerische Greina-Stiftung (SGS) erarbeitete seit 2004/05 mit dem Gewässerforschungsinstitut Eawag vier neue Rahmenbedingungen für ökologische Pumpspeicherkraftwerke und publizierte sie erstmals im Herbst vor drei Jahren.

Im September 2008 gelang es der Greina-Stiftung unter Vorsitz von alt Bundesgerichtspräsident Giusep Nay, alle Prozessparteien – Repower, WWF und Pro Natura – von unserem Gegenvorschlag zu überzeugen. Repower hatte bis anhin auf allen rechtlichen Ebenen gegen die Umweltverbände gewonnen. Nur der Bundesgerichtsentscheid stand noch aus.

Hätten Sie nicht gewinnen können?

Wir sahen kaum Chancen – im Gegenteil: Die SGS befürchtete ein verheerendes Präjudiz mit Restwassermengen, die viermal tiefer lagen als das gesetzliche Minimum – und dies hätte für 11 000 Kilometer Flussstrecken gegolten, die in der Schweiz eigentlich saniert werden müssten! Dank unseres Gegenvorschlags können die Fische wieder in den Flüssen leben, in verfassungskonformen, angemessenen Restwassermengen.

Welche anderen Verbesserungen enthält Ihr Vorschlag noch?

Die Staumauer des Lago Bianco wird nicht um 17, sondern bloss um 4,3 Meter erhöht, und die Linie der Rhätischen Bahn muss nicht versetzt werden. Mit dem neuen, ökologischen Pumpspeicherkraftwerk wird zudem die Stromproduktion etwa um das Zehnfache erhöht.

Pumpspeicherwerke werden doch gebaut, um schmutzigen Strom aus Kohle- oder Atomkraftwerken zu veredeln. Dagegen haben Sie sich doch stets gewehrt?

Richtig! Wir von der SGS gehörten in den achtziger Jahren zu den Ersten, die das angeprangert haben. Die Zukunft sieht jedoch anders aus: Erneuerbare Energie – zum Beispiel von grossen Windparks – fällt unregelmässig und in riesigen Mengen an, die gespeichert werden müssen, statt Windanlagen abzuschalten. Wird mit überschüssigem Wind- oder Solarstrom Wasser in den Lago Bianco gepumpt, ist das sinnvoll und nötig. Repower hat sich verpflichtet, Solarstrom von den lokalen Bauernbetrieben kostendeckend zu kaufen, Plus-Energie-Bauten drei Jahre je mit 100 000 Franken zu fördern und Windkraftwerke mit einer Leistung von 150 Megawatt zu bauen. Das ist der Anfang für ein ökologisches Pumpspeicherwerk.

Repower plant, im Ausland grosse Kohlekraftwerke zu bauen, die massiv CO2 produzieren. Ist das ökologisch?

Nein, sicher nicht. Dagegen sind wir nach wie vor. Leider entscheiden andere über die Repower-Geschäftspolitik und nicht wir.

Gallus Cadonau ist Geschäftsführer der Greina-Stiftung und der Solaragentur Schweiz.


Nachtrag vom 6. Januar 2011: Kohlekraft bald vor dem Aus?




Die Begeisterung, neue Kohlekraftwerke zu bauen, zerbröselt. Das Bündner Energieunternehmen Repower plant zusammen mit deutschen Stadtwerken in Brunsbüttel nördlich von Hamburg eine solche Anlage, die wegen ihres enormen CO2-Ausstosses als «Klimakiller» verschrien ist. Anfang Woche haben die Schleswiger Stadtwerke bekannt gegeben, dass sie aussteigen werden, weil «die Wirtschaftlichkeit des Projekts infrage gestellt» sei. Die deutsche Regierung hat die Laufzeit der AKW verlängert, weshalb diese nun günstiger Strom produzieren, als es neue Kohlekraftwerke könnten.

Zum Entscheid meint Repower-Pressesprecher Werner Steinmann: «Wir haben immer kommuniziert, dass es sich beim Vorhaben in Brunsbüttel um ein in Bearbeitung stehendes Projekt handelt, so wie wir andere Projekte in verschiedenen Technologien auch studieren und schrittweise zur Entscheidungsreife führen. Diese Entscheidungsreife ist noch nicht erreicht.» Die Nachricht aus Schleswig habe für Repower deshalb keine weiteren Folgen. Kurz vor Neujahr gab allerdings auch der französische Konzern GDF Suez bekannt, dass er sein Kohlekraftwerkprojekt in Brunsbüttel definitiv beerdigt – ebenfalls wegen mangelnder Konkurrenzfähigkeit.

Die Atomlobby vermiest offensichtlich der Kohlelobby das Geschäft. Was nicht der Ironie entbehrt, gehört doch die Repower zu einem massgeblichen Teil den Schweizer Energieunternehmen, die hierzulande drei neue Atomkraftwerke planen: Axpo, BKW, Alpiq.

Susan Boos