Fukushima und das Klima: Sachzwang der Unvernunft

Nr. 12 –

Wie recht sie doch mitunter haben. Die Atomkatastrophe in Japan ändere nichts an der Sicherheitslage der Schweizer AKWs, sagen die, die noch immer an der Atomkraft festhalten wollen. Wie wahr: Wer es wissen wollte, wusste auch vor dem 11. März schon, was für Höllenmaschinen AKWs sein können. Merkwürdig, wenn jetzt aber dieselben Leute meinen, Fukushima ändere etwas an der Bedrohungslage durch den Klimawandel. «Die Bedeutung der Klimadiskussion wird man allenfalls revidieren müssen», sagte nun Kurt Rohrbach, Chef der AKW-Mühleberg-Betreiberin BKW.

Nun, tun wir das – anhand einer Studie, die WissenschaftlerInnen der ETH Zürich letzte Woche publizierten. Sie untersuchte die beiden Sommer 2003 und 2010. Sie liest sich apokalyptisch: Als heissester Sommer seit mindestens 500 Jahren (so weit zurück kann man die Temperaturen einigermassen rekonstruieren) brach 2010 «alle Rekorde sowohl in Bezug auf die Temperaturabweichung vom Mittel als auch auf die räumliche Ausdehnung», steht in der Pressemitteilung. Bis zu 13,3 Grad zu warm war es in Russland. Die Ernteausfälle betrugen 25 Prozent. Und schon der Sommer 2003 brach alle Rekorde. Bis Ende unseres Jahrhunderts sollen Hitzesommer wie 2010 alle acht Jahre auftreten, solche wie 2003 werden «bis zum Ende des Jahrhunderts schon fast zur Normalität».

Beurteilen wir das im Licht von Fukushima also neu: Was, wenn der Klimawandel zu Ernteausfällen im grossen Stil, zu wirtschaftlichem Zusammenbruch und politischem Chaos führt? Wer passt dann auf die AKWs auf, wer sorgt für den Rückbau der Anlagen, wer wird weiterforschen, ob sich noch eine Endlagerlösung finden lässt?

Doch wer schon immer gegen die Klimapolitik war, hat die neue Atomangst schnell genutzt. Ohne neue AKWs «können wir das CO2-Ziel nicht aufrechterhalten. Es wäre nur mit Rationierungen des Energieverbrauchs erreichbar», sagt Nationalrat Filippo Leutenegger. Nun, er hat recht: Anders als mit Rationierung lässt sich das Ziel, umweltverträglicher Umgang mit Energie, nicht erreichen – einfach weil Energie, die auf den Markt gelangt, auch konsumiert wird: Marktlogik. Energie hat sich ihre Nachfrage noch immer selbst geschaffen. Und deshalb ist jede Sparanstrengung eine Sisyphusübung, solange immer mehr oder auch nur gleich viel Energie angeboten wird. Das CO2-Gesetz schreibt vor, wie viel CO2 noch ausgestossen werden darf. Es rationiert heute schon wenn nicht den Bezug, so die Produktion eines Stoffs. Nähme man das ernst, so dürfte für jedes CO2-Molekül, das noch ausgestossen werden darf, nur noch genau ein Kohlenstoffatom aus fossiler Quelle eingeführt werden.

Natürlich: Wenn man glaubt, es gehe uns umso besser, je mehr Energie wir haben, dann tut eine Beschneidung des Angebots weh. Auch dann wäre unser Komfort weder das Fukushima-Risiko noch die Klimakatastrophe wert. Doch wie kommt man überhaupt auf die Idee, noch mehr Energie, noch mehr Verkehr, noch mehr Konsum und noch schnellerer Verschleiss würden uns glücklicher machen?

«Irgendwann müssen auch die Grünen zur Vernunft kommen», sagt Leutenegger. Wie frei ist diese Gesellschaft, die unsere «liberalen» PolitikerInnen auf keinen Fall verändert sehen möchten, wenn «Vernunft» nur noch heisst, sich Sachzwängen zu beugen? Wenn wir nur noch die Wahl haben, ob wir die Welt atomar oder klimatisch zugrunde richten wollen, hat all die viele Energie uns nicht reich, sondern armselig, nicht frei, sondern unfrei gemacht. Deshalb ist ein Ausstieg aus der Atomkraft nicht ein hoher Preis, den man nun zur Beruhigung der Volksseele entrichten muss, und deshalb brauchen wir auch keine Gaskraftwerke und müssen weder den letzten Bach mit einem Kleinwasserkraftwerk noch jede Bergeshöhe mit einem Windrad verschandeln. Sondern die Chance nutzen, uns auf das zu besinnen, was so altmodisch klingt und doch seine Gültigkeit nicht verloren hat: auf das menschliche Mass.