Anti-AKW-Bewegung: Gekommen, um bald zu gehen
Während die Parteien um ihre Öko-Glaubwürdigkeit streiten, stehen Menschen vor der Nuklearsicherheitsbehörde Ensi und zelten vor dem Sitz des Mühleberg-Betreibers. Sie wollen erst wieder gehen, wenn AKWs abgestellt werden.
Dienstag vor einer Woche in Brugg: Zehn Personen versammeln sich abends zu einer Mahnwache vor dem Büro des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats (Ensi). Das Gebäude, vor dem sich die Leute einfinden, war in den letzten Wochen oft im TV zu sehen: Ensi-Direktor Hans Wanner beantwortete vor dem Eingang Fragen der «Tagesschau». An diesem Abend sind es die zehn Protestierenden, die Herrn Wanner aus dem Büro locken. Wanner und Ensi-Vizedirektor Georg Schwarz begrüssen die versammelten Leute freundlich und fragen, was sie wollten. Diese berichten: Die vielen Atomkraftwerke in nächster Umgebung ihrer Wohnorte würden sie verunsichern. Seit den Ereignissen in Japan noch mehr. Wanner und Schwarz hören aufmerksam zu. Nach einer Weile meinen sie, dass das Ensi der falsche Ort sei, um zu protestieren. Es sei nicht die Aufgabe ihrer Behörde, die Sicherheit der Kraftwerke zu garantieren, sondern lediglich zu überprüfen, ob die AKW-Betriebe die internationalen und nationalen Sicherheitsstandards einhalten würden. Sie sollten sich mit ihrem Protest an die PolitikerInnen und AKW-Betriebe wenden.
Der Pressesprecher des Ensi bestätigt diese Einschätzung gegenüber der WOZ – das Inspektorat sei nicht für die Garantie der Sicherheit zuständig.
«Das Ensi ist die zentrale Schnittstelle bei der Frage, die sich die Öffentlichkeit stellt: Sind diese AKWs sicher oder nicht?», erwidert Energieingenieur Heini Glauser, der die Mahnwache mitorganisiert. Doch wenn es um die Frage der Sicherheit gehe, so werde die heisse Kartoffel von Politik, Ensi und AKW-Betreibern im Dreieck umhergereicht. Die AktivistInnen beschliessen, die Mahnwache weiterzuführen.
Auch am Freitagabend finden sich rund zehn Personen vor dem Büro des Ensi ein. Wanner und Schwarz kommen erneut auf die Leute zu, diesmal weniger geduldig: Sie bitten die Anwesenden, hier keine weiteren Mahnwachen abzuhalten. Sie befürchten, der Protest vor ihrer Haustür könne PaketbombenbastlerInnen auf ihren Sitz aufmerksam machen.
Es ist der Tag nach dem Briefbombenanschlag auf die Lobbyorganisation Swissnuclear in Olten. Die AktivistInnen nehmen die Bitte ernst, weil sie sich von jeder Form der Gewalt abgrenzen. Die wenigsten verstehen hingegen, warum ihre Proteste mehr Aufmerksamkeit erregen sollten als die vielen «Tagesschau»-Berichte mit Herrn Wanner vor seinem Büro. Die Mahnwachen vor dem Ensi sollen daher weitergehen. «Das Ensi soll endlich dazu stehen, dass es die absolute Sicherheit der AKWs nicht garantieren kann. Es braucht unsere Mahnwache, bis der erste Altreaktor in der Schweiz abgeschaltet wird», begründet Heini Glauser den Entscheid.
Protest vor den Türen der Verantwortlichen gibt es seit Dienstag auch in Bern: Vor dem Hauptsitz der Mühleberg-Betreiberin BKW stehen Zelte. Es handelt sich um ein Protestcamp, das dauern soll, «bis die BKW den Schrottreaktor Mühleberg abstellt» – möglicherweise also jahrelang.
Am Dienstagabend sitzen etwa vierzig Personen im Vorgarten der BKW am Viktoriaplatz. Aktivist David Böhner hat sein Zelt bereits aufgestellt. «Bei einem Protestpicknick am Mittag haben wir spontan beschlossen, zu bleiben.» Es brauche jetzt nämlich Druck und Dynamik von unten, Raum, um gemeinsam Aktionen zu planen. «Die grossen Organisationen und Parteien streiten sich ja lieber darüber, wer die Anti-AKW-Bewegung erfunden hat», so Böhner. Die CamperInnen sind OptimistInnen: «Bis im Herbst ist Mühleberg stillgelegt – ich habe also keine Angst, den Winter im Zelt verbringen zu müssen», sagt eine junge Atomkraftgegnerin. Die Stadt Bern will die Situation beobachten und den Dialog mit den CamperInnen suchen.