Zum 1. Mai: Nehmt ihnen das Geld weg!

Nr. 17 –


Bei der Lohnverteilung, bei der Abgabenpolitik, bei der Vermögensentwicklung: In der Schweiz findet eine gigantische und systematische Umverteilung von unten nach oben statt. Das belegt der «Verteilungsbericht» des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, der diese Woche erschienen ist.

Wie gigantisch die Umverteilung ist, zeigt sich beim Betrachten der Zahlen: Das Lohnwachstum der Mehrheit der Beschäftigten blieb unter ihrem Beitrag an die Produktivität, die Zahl der Gehaltsmillionäre hat sich hingegen in den letzten zwanzig Jahren verfünffacht. Systematisch wird die Umverteilung von der Politik ermöglicht: Direkte Steuern, die progressiv wirken, werden durch indirekte Abgaben ersetzt. Mit der Folge, dass einer Familie mit tiefem Einkommen von ihrem Lohnzuwachs noch ein Zehntel, einer Familie mit hohem Einkommen alles bleibt (vgl. Seite 3 der Printausgabe).

Dass die Umverteilung mit voller Absicht erfolgt, wurde diesen Frühling exemplarisch an der Unternehmenssteuerreform II ersichtlich: Nachdem bekannt wurde, dass sie für AktionärInnen Steuergeschenke in Milliardenhöhe bringt, von denen der verantwortliche Finanzminister Hans-Rudolf Merz im Abstimmungskampf nichts gesagt hatte, trat das Parlament nochmals zusammen. Nicht wider besseres Wissen, sondern im besseren Wissen beschloss es, die Steuergeschenke zu akzeptieren.

Die Frage drängt sich auf: Wieso ist eine Politik mehrheitsfähig, die den Interessen eines Grossteils der Bevölkerung diametral entgegensteht? Liegt es an einer falschen Identifikation mit den Reichen? An der Lottoidee, wonach man selbst einmal dazugehören könnte? Der Verteilungsbericht räumt mit falschen Annahmen auf: etwa mit der Behauptung, dass Steuererleichterungen für hohe Einkommen allen Leuten zugute kommen. Das Gegenteil stimmt: Die breite Bevölkerung finanziert die Begünstigung der Reichen.

Vielleicht gibt es noch einen anderen Grund, wieso sich die Umverteilung nach oben politisch durchsetzen kann: dass es an einer offensiven, deutlichen Gegenposition fehlt.

Dieses Wochenende ist 1. Mai, und in den Reden wird vielleicht wieder die Zeile «Vorwärts und nicht vergessen» aus dem «Solidaritätslied» verwendet. Es ist, in ihrer Verbindung von Vergangenheit und Zukunft, die schönste und gescheiteste linke Parole. Wenn sie also gebraucht wird – dann könnte man sich zum Beispiel an Georg Büchner erinnern.

Fast 200 Jahre ist es her, dass der Schriftsteller seinen «Hessischen Landboten» verfasste. Die Flugschrift war eine Recherche zur Abgabenpolitik zugunsten des Grossherzogs von Hessen, seiner Beamten und Sekretäre. Büchner wurde deswegen steckbrieflich gesucht, konnte nach Strassburg und später nach Zürich flüchten, wo er mit erst 23 Jahren an Typhus starb. Das Motto über seiner Flugschrift lautete: «Friede den Hütten! Krieg den Palästen!»

Oder man könnte sich an den Generalstreik erinnern, der vor fast hundert Jahren das sozialpolitische Programm für die moderne Schweiz formulierte: Von einer Altersversicherung bis zum Frauenstimmrecht wurden fast alle Forderungen erfüllt. Bis heute nicht erfüllt wurde der letzte Punkt, er hiess: «Tilgung aller Staatsschulden durch die Besitzenden».

In der politischen Gegenwart könnte das bedeuten: Auf die erhellende Analyse des Verteilungsberichts müssen entsprechende Handlungen folgen. Es ist nicht nur ungerecht und ungerechtfertigt, dass der Gewinn nach oben verteilt wird. Das muss auch geändert werden: Nehmt den Reichen das Geld weg! Das ist nicht romantisch gemeint. Und sowieso nicht neidisch. Es muss ganz nüchtern, in einer Selbstverständlichkeit gesagt werden: Nehmen wir ihnen jetzt das Geld weg, weil es ihnen nicht gehört. Es gehört allen.

Eine demokratische Gesellschaft kann sich keine feudalistischen Tendenzen leisten. Das Beispiel der Unternehmenssteuerreform macht deutlich: Wenn Abstimmungen zur Farce werden, nimmt die Demokratie Schaden. Der neue Feudalismus ist auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen wie den Medien zu beobachten: Sie werden zunehmend über intransparente StifterInnen finanziert.

Die politische Gegenwart, zumindest die europäische, zeichnet sich durch eine merkwürdige Passivität aus: Vieles ist bekannt – gehandelt wird trotzdem nicht. Vielleicht helfen gegen die Grossbanken und die Atomkraftwerke ja neue Risikomodelle. Vielleicht lässt sich die Festung Europa ja mit noch mehr Grenzschutz aufrechterhalten. Und zur Augenwischerei dient der Rechtspopulismus.

Linke Politik muss sich dagegen wieder als Handlung verstehen. Sie kann damit beginnen, in diesen Tagen wieder an die 1.-Mai-Demo zu gehen. Nur schon, um abzumachen, wie wir vorgehen bei der Verteilung von Geld und Besitz nach unten.