Energiestrategie 2050: Zurück an die Absenderin

Nr. 48 –

In diesen Tagen berät das Parlament die Energiestrategie 2050. Ein Monstergeschäft, das viel Verwirrung, aber sicher nicht die Energiewende bringt – weil die Liberalisierung alles aushebeln dürfte.

Um es vorwegzunehmen: Diese Vorlage müsste man als Ganzes versenken. Sie trägt den zukunftsträchtigen Titel «Energiestrategie 2050» und soll angeblich die Energiewende einläuten. Es hätte das Meisterinnenstück von Umweltministerin Doris Leuthard werden sollen. Nach den Kernschmelzen in den Reaktoren von Fukushima im Frühling 2011 versprach sie den Atomausstieg und eine neue Energiepolitik. Herausgekommen ist ein «erstes Massnahmenpaket», das der Nationalrat ab diesem Donnerstag debattieren wird.

Hier der Versuch, das grosse Bild zu zeichnen, bevor die Detaildebatte den Blick trübt. Es kann nur ein Versuch sein, denn selten war ein Energiegeschäft so unüberschaubar – was grundsätzlich falsch ist, weil eine Strategie ein Kompass für die Zukunft sein sollte und deshalb knapp, kurz und verständlich sein müsste. Aber diese Vorlage verwirrt, statt zu klären. Und es keimt der Verdacht, dass das Absicht ist.

Die Lobbys haben ganze Arbeit geleistet. Alle bekommen etwas, deshalb wird niemand ganz dagegen sein: Rot-Grün erhält mehr Ökostrom, die Bergkantone erhalten mehr Förderung der Wasserkraft, die Rechte bekommt einen bis zur Unkenntlichkeit abgemilderten Atomausstieg.

Der Ausstieg reduziert sich nämlich auf das Verbot, neue AKWs zu bauen – aber immerhin. Im Moment streiten sich Parteien, AKW-Betreiber und Umweltorganisationen darüber, wie lange die Altreaktoren am Netz bleiben dürfen. Das ist keine unwesentliche Frage. Sie führt aber auch dazu, dass man sich öffentlich kaum mit dem grossen Rest der Energiestrategie beschäftigt. Und das ist fatal.

Das Sparen hat keine Lobby

Die Schweiz hat das Glück, sich dank Wasserkraft zu rund sechzig Prozent mit sauberem Strom zu versorgen, die restlichen vierzig Prozent werden durch die AKWs gedeckt. Will man sie abschalten, muss man diesen Strom durch erneuerbare Energien ersetzen – gewonnen aus Sonne, Wind, Geothermie oder neuen Wasserkraftwerken. Die Produktion dieses Stroms soll deshalb subventioniert werden. So weit die Logik von Leuthards Vorlage.

Es geht um Subventionen von jährlich ein bis zwei Milliarden Franken. Ein tüchtiges Business, das während Jahren sichere Renditen garantiert und etwa ein Drittel bis die Hälfte dessen ausmacht, was die Landwirtschaft heute an Direktzahlungen erhält.

Der Vergleich mit der Landwirtschaft liegt ohnehin nahe. Die Bauern bekommen Geld, damit sie das Land ökologisch bewirtschaften. Da ist es schlüssig, dass die Stromproduzenten auch dafür bezahlt werden, dass sie Ökostrom bereitstellen. Das könnte man zumindest meinen. Doch so einfach ist es nicht.

Anders als beim Essen ist die beste Energie die, die wir nicht verbrauchen. Dumm ist nur, dass das Sparen keine Lobby hat. Energieministerin Leuthard hat trotzdem ehrgeizige Sparziele in die Vorlage hineingepackt.

Konkret sieht es so aus: Die Schweiz braucht heute pro Jahr 60 Terawattstunden Strom – davon werden fünf Prozent aus neuen erneuerbaren Quellen gewonnen (also aus Fotovoltaik-, Windkraft- oder Biomasseanlagen). Leuthard will nun ins Energiegesetz schreiben, dass bis 2035 jährlich mindestens 14,5 Terawattstunden Strom aus erneuerbaren Quellen bereitgestellt werden. Die AKWs liefern heute 25 Terawattstunden. Es fehlen laut Leuthards Rechnung rund 10 Terawattstunden.

Die bekommt Leuthard rein, indem sie ins Gesetz schreibt, dass der gesamte Energieverbrauch pro Person (gegenüber dem Stand von 2000) bis in sechs Jahren um 16 Prozent und bis 2035 um 43 Prozent reduziert werden soll; entsprechend soll auch der Stromverbrauch sinken. Das ist gut. Aber wie will die Energieministerin dies erreichen? Seit Jahrzehnten wird vom Energiesparen geredet. Trotzdem sinkt der Verbrauch nicht.

Weisse Zertifikate

Die Vorlage tut so, als ob die Schweiz eine Insel wäre und bliebe. Das Land stellt seinen Strom selbst her, produziert von den grossen Energieunternehmen, die mehrheitlich den Kantonen gehören. Die Individuen bekommen den Strom von ihren Gemeindewerken.

Nun bringt die Energieministerin sogenannte Weisse Zertifikate ins Spiel: Sie will die Stromversorger verpflichten, jedes Jahr sparsamer zu werden und den Stromabsatz um einen definierten Prozentsatz zu reduzieren. Pro eingesparte Megawattstunde gibt es dann ein Weisses Zertifikat. Diese Papiere dürfen gehandelt werden: Wer zu wenig einspart, muss bei einem Versorger, der zu viel eingespart hat, Zertifikate kaufen.

Diese Weissen Zertifikate würden aber nur als Strafe wirken, da die Branche ja mit dem Verkauf von Strom Geld verdient und nicht mit dem Sparen. Die vorberatende Kommission hat nun vorgeschlagen, ein Bonus-Malus-System einzuführen. Mit diesem System könnte die Branche Geld verdienen, wenn sie weniger Strom verkauft. So weit, so gut.

Liberalisierung unterläuft die Politik

Der fundamentale Fehler dieser Vorlage sitzt aber an einem ganz anderen Ort: Die Vorlage ignoriert, dass die totale Liberalisierung des Strommarkts vorbereitet wird. Selbst im Medienworkshop, den das Bundesamt für Energie (BFE) eigens durchgeführt hatte, um den JournalistInnen die komplexe Vorlage näherzubringen, wurde die bevorstehende Liberalisierung kaum gestreift. Aber die Liberalisierung wird die gesamte Stromversorgung umwälzen, weil danach alle KonsumentInnen jedes Jahr ihren Anbieter wechseln können. Gleichzeitig können ausländische Anbieter den Schweizer Markt aufrollen.

Sämtliche geplanten Steuerungsmassnahmen dürften dann nicht mehr oder ganz anders wirken. Ob Subventionsgelder in ein Gemeinwesen zurückfliessen oder von internationalen Konzernen abgeschöpft werden, macht zum Beispiel einen grossen Unterschied. Und wenn deutsche Billiganbieter künftig ihren Kohlestrom direkt verkaufen wollen, dürften sie das. Wie man sie mit Weissen Zertifikaten zu Einsparungen zwingen will, ist schleierhaft.

Auch wenn es ignoriert wird, fallen die jetzige Vorlage und die Liberalisierung faktisch zusammen: Das «erste Massnahmenpaket» soll 2017 in Kraft treten – die vollständige Strommarktöffnung ist auf 2018 geplant.

Die lokalen Elektrizitätswerke, die bislang versuchten, in ihren Gemeinden eine kluge, ökologische Stromversorgung aufzubauen, werden unter Druck geraten. Die grossen Energieunternehmen werden ihrerseits versuchen, im internationalen Markt ihre Gewinne zu optimieren. Der saubere Wasserstrom wird dann nach Möglichkeit teuer exportiert, importiert wird billiger, schmutziger Strommix. Weshalb soll man dann noch den Bau von Wind- oder Solarstromanlagen subventionieren? Dieser teure, saubere Strom wird – wenn es schlecht läuft – zu Spottpreisen auf dem freien Markt verschachert werden müssen, weil niemand die Kohlekraftwerke stoppt, die das Klima und die Strompreise kaputt machen. Es wird ein grosses Durcheinander geben.

In der Landwirtschaft ist es immerhin noch ein bisschen anders: Die LandwirtInnen produzieren für den hiesigen Markt, weil Zölle verhindern, dass Billiglebensmittel in Massen die Läden fluten. Schutzzölle gegen importierten billigen Dreckstrom sind indes nicht vorgesehen.

Die Liberalisierung wird die Politik aushebeln. Kurzum: Diese Vorlage sollte erst kommen, wenn man eine Ahnung hat, wie und ob überhaupt die Schweiz den Strommarkt ganz liberalisieren will. Ansonsten ist es, als ob man aufwendig ein Haus renoviert und ein Jahr später entscheidet, es doch ganz abzureissen.

Zuerst eine Lenkungsabgabe

Sobald die Liberalisierungsfrage geklärt ist, müsste man darauf fokussieren, wie man den Energiehunger eindämmt – zum Beispiel mit einer Lenkungsabgabe und einer ökologischen Steuerreform. Das will Bundesrätin Leuthard zwar auch, aber erst in ihrem «zweiten Massnahmenpaket», das irgendwann angegangen werden soll und vermutlich nie kommen wird.

Für die jetzige Vorlage kann man eine Prognose abgeben: Sie wird eine Subventionsmaschine aufziehen, die Druck macht, den hinterletzten Bergbach zu verbauen. Man wird viel Dreckstrom aus dem Ausland einkaufen. Man wird den Energiekonsum nicht reduzieren. Man wird die Energiewende nicht schaffen, was bedeutet, dass die Altreaktoren vermutlich ewig am Netz bleiben.

Das Geschäft müsste zurück an die Absenderin. Das wird aber nicht passieren, weil zu viele LobbyistInnen von links bis rechts etwas bekommen.