Bilderbergs Abgründe: Sie planen gerade den dritten Weltkrieg. Das hat ihr ein Baron erzählt

Nr. 24 –

In St. Moritz trafen sich die reichsten Herren und Damen zur Bilderbergkonferenz. Die Damen und Herren VerschwörungstheoretikerInnen wollten die Welt vor ihnen retten. Mit dabei: «der Präsident der neutralen Schweiz» und andere Helden der reichsten Schweizer Partei.


Nur Narr! Nur Dichter! / Nur Buntes redend, / aus Narrenlarven bunt herausredend, / herumsteigend auf lügnerischen Wortbrücken, / auf Lügen-Regenbogen / zwischen falschen Himmeln / herumschweifend, herumschleichend – / nur Narr! nur Dichter! / Das – der Wahrheit Freier?

Friedrich Nietzsche, Dionysos-Dithyramben

Wir waren aufgebrochen, um Geister zu sehen. Aber Geister kommen nur, wenn sie gerufen werden. Und so musste alles mit einem Knall als Köder beginnen: Auf der Passhöhe des Juliers zündeten wir – zwei Wanderer und ein Reporter – ein kleines Feuerwerk, einen lauten, aber harmlosen Böller. Vom Tatort der alpinen Ruhestörung fehlten noch dreizehn Kilometer bis St. Moritz, der diesjährigen Stätte der Bilderbergkonferenz, eines verschwiegenen Treffens globaler Prominenz aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Adel. Höllisch schallte das Echo von den Felswänden. Es vergingen keine zwei Minuten, und schon riss vor uns auf dem Schotter eine schwarze Limousine eine Vollbremsung. Drei Männer in schwarzen Anzügen, mit weissen Hemden, schwarzen Krawatten, schwarzen Sonnenbrillen und schwarzen Schuhen sprangen aus dem Wagen mit schwarzer Liechtensteiner Nummer und verlangten unsere Ausweise. «Wir sind vom Ostpolkonkordat», sagte der eine. Was nach einem syldawischen Komplott aus Tim und Struppis «König Ottokars Zepter» klingt, ist in Tat und Wahrheit ein Zusammenschluss der Ostschweizer Kantonspolizeien. Wir überreichten den Bürstenschnitten also unsere Papiere und fragten, ob sie immer in schwarzen Anzügen arbeiten würden. Der eine, ein Bündner Kantonspolizist, sagte: «Nein, nicht immer.» Und weshalb sie dunkle Sonnenbrillen trügen? «Tragen Sie keine Sonnenbrille, wenn die Sonne scheint?», erwiderte der Bündner. Wir schwiegen. Denn die Sonne schien nicht, dunkle Wolken hingen über dem Pass.

Die weisse Leinwand

Wären wir – wie so viele, die es an Pfingsten wegen Bilderberg nach St. Moritz zog – 9/11-Skeptikerinnen, politische Esoteriker, Antisemitinnen, SVPler, Royalisten, fundamentalistische Christinnen oder sonstige Spinner und Fantasten gewesen, hätten wir die drei Herren auf dem Julier zweifellos für CIA-Agenten zur Abwehr extraterrestrischer Spezies gehalten. Oder wir hätten sie als Gralshüter der geheimen Weltregierung entlarvt. Als Mossadspione! Satanisten! Reptilienhirne! Assistenten Henry Kissingers! Fremde Richter! Illuminati! Schwarzen Adel von Venedig! Mörder Kennedys, Moros, Lennons, Barschels, Dianas und Haiders! Aber nein, sie waren nur vom Ostpolkonkordat: Nachdem der von ihnen bewachte Konvoi – schwarze Limousinen, schwarze Scheiben – die Passhöhe passiert hatte, durften wir weiter.

Unten im Oberengandin hatten sich die prominenten KonferenzteilnehmerInnen bereits hinter die Kulissen zurückgezogen. Verschwörungstechnisch oppulent war die Szenerie gleichwohl: Im sattgrünen Lärchenwald glich das mächtige Suvretta-Hotel aus der touristischen Gründerzeit dem Overlook-Resort in den Bergen von Colorado aus Stanley Kubricks «Shining». Durch die blühenden Magerwiesen rund um den Hotelkomplex waren weiss-rote Bänder gespannt: «Polizei-Sperrzone». Bereitschaftsbeamte mit Hunden standen zwischen hohen Tannen. Im Eingangsbereich des Hotels verhinderte eine hundert Meter lange und zwei Meter hohe weisse Baublache tiefere Einblicke in den Kreis der «geheimen Weltregierung».

Am Hang gegenüber dem Eingang hatten sich die BilderberggegnerInnen niedergelassen. Viele waren aus Deutschland und Österreich angereist, Franzosen waren da, Italienerinnen, Engländer und Amerikanerinnen. Friedliche Open-Air-Stimmung hing in der Luft, überall zierten Schilder und Transparente die Wiese: Durchgestrichene einäugige Pyramiden (das allsehende Auge der «Illuminati») waren zu sehen, man las «We are watching you», «We’re not your slaves» oder «We know what you did last summer». Zweihundert meist jüngere Männer starrten stundenlang auf die weisse Wand vor dem Suvretta, als wäre sie eine Kinoleinwand, assen Chips, tranken Bier, rauchten und tauschten Geschichten aus: Überhaupt, St. Moritz! Die Reichen und Mächtigen hinter den sieben Bergen! Sogar der Brunnen auf dem Dorfplatz ist von den Rothschilds gestiftet! Checkst, hä?! Antisemitische Konspiratisten glauben, dass die jüdische Bankiersfamilie zum Kern der «geheimen Weltregierung» gehört. Eine ältere Engländerin, die den Bilderbergern seit dreissig Jahren folgt und in deren blauen Augen ein hitchcockscher Wahnsinn glänzte, meinte, SIE, die Zionisten, planten gerade den dritten Weltkrieg. Das habe ihr Baron Norton of Louth erzählt, konservatives Mitglied des britischen House of Lords. Auf die Idee, Gucklöcher in die weisse Stoffplane vor dem Hotel zu schneiden, kam aber auch sie nicht. Ein einziger Schnitt zeugte dort vom Versuch, einen Blick hinter die Leinwand zu erhaschen. Irgendwann schrieb jemand «Wall of Shame» auf die Blache.

Schwander und das Volk

Wo sämtlichen nationalen und internationalen Institutionen Sinn und Glaubwürdigkeit abgesprochen wird, wo das ganze verdammte Elend der Welt auf die Schultern von ein paar wenigen Schuldigen geladen wird, wo es leicht ist, über «die da oben (in Brüssel)» zu schimpfen und der Allwissenheit des Volkes zu huldigen, aber umso schwieriger, sich von Antisemitismus und Xenophobie zu distanzieren, ist auch die reichste und grösste Partei der Schweiz nicht weit: Am Freitagabend lädt die «unabhängige Internetzeitung» «Info8.ch» (Motto: «Was andere verschweigen») um den Luzerner Jung-SVP-Präsidenten und «Polit-Rapper» («Info8») Anian Liebrand zu einer Gegenveranstaltung im Hotel Radolins, ein paar Hunder Meter bergaufwärts vom Suvretta-Hotel. Mit dabei ist auch «We Are Change Switzerland» (WAC), eine internationale «Informationsbewegung», die den 11. September 2001 als eine Eigenproduktion der US-Regierung bezeichnet, Obamas amerikanische Geburtsurkunde anzweifelt und «die meisten Medien» unter «zionistischer Kontrolle» wähnt. Angekündigt sind neben anderen Rednern die SVP-Nationalräte Pirmin Schwander (SZ), Lukas Reimann (SG) und Dominique Baettig (JU).

Am Nachmittag vor dem SVP-WAC-Happening hatte Reimann den Kampf der SVP-Troika gegen «die Weltverschwörung» im US-amerikanischen Internetsender «PrisonPlanet.tv» bei Verschwörungstheoretiker Alex Jones ankündigen dürfen. In diesem «historical broadcast» (Jones) wurde aus Auns-Präsident Schwander kurzerhand «the President of neutral Switzerland», Reimann bezeichnete Baettig als «our hero», und Jones machte Reimann unwidersprochen zu «one of the swiss goverment leaders» und meinte dann vor der Werbepause: «This is history!»

Am Mittwoch zuvor hatte der jurassische Nationalrat Baettig der Bündner Justizdirektorin Barbara Janom Steiner (BDP) einen Brief geschickt, in dem er sie unter anderem mit den folgenden Zeilen zur Gewährleistung der freien Meinungsäusserung und zur Mässigung ihrer Bündner Beamten rund um das Bilderbergtreffen aufforderte: «Ich bitte um Verzeihung, aber die nicht gewählten und nicht transparenten Globalisten im Suvretta dürfen nicht dem souveränen Schweizer Volk seine demokratischen Rechte mit Ihrem willkürlichen Beistand entziehen.»

Und jetzt also im «Radolins». Sehr souverän, aber auch nicht ganz transparent – Schwander, Reimann und Bättig, «Freie Schweiz wohin?» heisst die Veranstaltung. Nach einer Einleitung Anian Liebrands über «die geheimen Machenschaften der EU» tritt Schwander, «Experte für EU-Fragen» (Liebrand), ans Rednerpult. Der Oberst im Generalstab und Unternehmensberater bei Contrast Finance in Luzern schleppt sich zuerst mühsam über hochdeutsche Sätze gegen die Personenfreizügigkeit und gegen den Bundesrat, der das Volk belüge und internationale Verträge unterschreibe, ohne nachzudenken: «Ich habe auch gewusst, worauf ich mich einlasse, als ich meinen Ehevertrag unterschrieb.» Dann sagt Schwander: «Das Bankkundengeheimnis ist jetzt hier nicht das Thema.» Worauf er zehn Minuten lang über ebendieses und den drohenden «gläsernen Bürger» spricht. Dann ruft das Mitglied der grössten Fraktion im Nationalrat den Saal dazu auf, «gegen den Lug und Trug des Bundesrates und des Parlamentes», deren unmittelbare Ziele immer die eigene Macht und die Ausschaltung des Volkes seien, «auf die Strasse zu gehen»: ob links oder rechts, das sei doch wurscht, «ich weiss jetzt nicht, was ich bin, nach heute Abend. Aber ich bin stolz darauf, dass ich sage, was ich denke, und mache, was ich sage.» Begeisterung im Saal. Auf einem Pulloverrücken steht: «Die Welt ist eine Illusion, was wirklich passiert, steht hier: schallundrauch.info.» Liebrand überreicht Schwander noch eine Bündner Nusstorte, «als Zeichen unserer lokalen Verbundenheit».

Das nasse Monster

Als Lukas Reimann aufsteht, geht das Licht aus, jemand schreit: «Zugriff!» Dann Gelächter. Es wird wieder hell, und Reimann, «der Jungpolitiker mit erfrischenden Ideen» (Jungpolitiker Liebrand), betritt die Bühne. Er ruft unter anderem zur internationalen Vernetzung aller Gegner von «supranationalen Gebilden» auf. «Dass die Parlamentsmitglieder hier in der Schweiz so frei von der Leber reden, das macht mich richtig froh», sagt eine Zuhörerin, Sozialarbeiterin aus Deutschland. Früher sei sie ein Punk gewesen, sagt sie, «heute ist dieses Links-rechts-Schema doch einfach überholt.» Wenn sie zu Hause mit ihren Freunden über die «geheime Weltregierung» rede, glaube ihr nur ihr Mann. «Aber es macht alles so Sinn! Dann frage ich mich manchmal: Bin ich verrückt?» Ihr Sitznachbar wirft ein, es sei wichtig, dass sie sich hier auch ganz real träfen, «wir wissen ja nicht, wann SIE das Internet abschalten.» Als die beiden hören, was Reimanns und Schwanders sonstige politische Positionen sind, bedanken sie sich betreten «für die Aufklärung».

Draussen in der feuchten Engadiner Nacht raucht ein eleganter Anthroposoph mit einer dänischen Behindertenpflegerin dünne Mentholzigaretten. Auch er weiss wenig von der SVP: «Ich kann ihre Politik nicht im Grossen und Ganzen beurteilen. Ich habe aber den Eindruck, dass diese Herren sagen, was sie denken, also aufrichtige Leute sind.» Starker Regen setzt ein. Neben uns steigt der Nationalrat, Oberst im Generalstab und Unternehmensberater Schwander in seinen grossen, silbernen Mercedes. Kurz darauf braust er am Suvretta-Hotel vorbei, das nun, in dieser trüben, verregneten Nacht, von vielen Scheinwerfern hell erleuchtet, monsterhaft prominent in der Schwärze des Waldes steht.