Gesundheitspolitik: Einsiedeln kämpft für sein Spital – auch mit einem Lied

Nr. 26 –

Der Kanton Schwyz möchte das Spital von Einsiedeln schliessen. Die Bevölkerung, sonst eher konservativ, findet diese Sparmassnahme gar nicht lustig. Ein Lehrstück zur Sparpolitik.


Alois Gmür sagt den Satz nur beiläufig: «Bei den Reichen lernt man sparen.» Der Satz geht beinahe unter im Gespräch, obwohl er doch eigentlich alles sagt darüber, was im Kanton Schwyz seit Jahren vor sich geht. Der Kanton ist einer der finanzstärksten und steuergünstigsten in der Schweiz und gleichzeitig einer der grössten Sparer. Was Alois Gmür, CVP-Kantonsrat, Braumeister in der familieneigenen Brauerei Rosengarten und Stiftungsratspräsident des Spitals Einsiedeln, zum Kopfschütteln bringt, ist, dass der Regierungsrat des Kantons Schwyz empfiehlt, das Spital bis 2015 zu schliessen. Für ihn ist der Entschluss des Regierungsrats nicht nachvollziehbar: «Wir schreiben schwarze Zahlen, haben eine Auslastung von über neunzig Prozent, eine niedrige Wiedereintretensquote und eine hohe Patiententreue.» Und dennoch soll das kleinste Spital im Kanton dran glauben, während die beiden anderen in Lachen und Schwyz weiterbestehen sollen.

Breit abgestützter Protest

Die vom Regierungsrat empfohlene Schliessung hat in der Einsiedler Bevölkerung hohe Wellen geworfen. MitarbeiterInnen des Spitals, PolitikerInnen und andere EinwohnerInnen haben den Verein Pro Spital Einsiedeln gegründet, der mittlerweile mehr als 7000 UnterstützerInnen zählt. Überall in Einsiedeln hängen Plakate des Vereins, er machte an diversen Standaktionen in der Region auf sein Anliegen aufmerksam, seit einigen Tagen gibt es einen Song für das Spital, und am Erscheinungstag dieser WOZ findet eine Demonstration in Schwyz statt. «Die Bewegung für das Spital gleicht für Schwyzer Verhältnisse fast einer Revolution», sagt die SP-Kantonsrätin Karin Schwiter. «Es ist hier normalerweise äusserst schwierig, die Bevölkerung aufzurütteln.» Allerdings stösst die Schliessung von kleinen Spitälern in der Region oft auf grossen Widerstand in der Bevölkerung, wie die Beispiele von Wattwil SG und Wolhusen LU zeigen. Auch in diesen konservativen Gegenden war der Protest so massiv, dass die Spitäler erhalten blieben. Zu gross ist die Angst vor der fehlenden medizinischen Grundversorgung und dem Verlust von Arbeitsplätzen.

Das Spital Einsiedeln ist der grösste Arbeitgeber der Region. Direkt im Spital werden 243 Angestellte beschäftigt. Der Regierungsrat sagt, wegen des Mangels an Pflegepersonal würden die Beschäftigten rasch eine neue Stelle finden. Er vergisst dabei aber einen wichtigen Punkt, wie Martina Fuchs, Pflegeangestellte im Bereich Chirurgie, erklärt: «Ich persönlich habe keine grosse Angst, bei einer Kündigung keine Stelle mehr zu finden. Aber wir müssen auch an die Leute denken, die in der Küche, in der Reinigung, der Wäscherei oder in den Zulieferbetrieben arbeiten.» Für die Zulieferung berücksichtige das Spital vor allem das regionale Gewerbe, so sei fast jede Familie in Einsiedeln irgendwie mit dem Spital verbunden.

Spitäler unter Wettbewerbsdruck

Eine Mitarbeiterin, die nicht mit Namen genannt werden will und seit 25 Jahren im Labor des Spitals arbeitet, fügt hinzu: «Wir dürfen auch nicht vergessen, dass viele hier Teilzeit arbeiten. Darunter auch Leute, die noch einen Bauernhof betreiben und im Spital zusätzliches Geld verdienen. Diese können nicht weit weg pendeln und sind darauf angewiesen, in der Nähe des Hofs arbeiten zu können.» Als die Spitalleitung die Angestellten über die Entscheidung des Regierungsrats informierte, sei die Betroffenheit und Konsternation gross gewesen, doch mittlerweile herrsche vor allem ein kämpferischer Geist, nicht zuletzt dank der Unterstützung aus der Bevölkerung.

2012 tritt die neue Spitalfinanzierung in Kraft. Vorgesehen sind unter anderem Fallpauschalen und freie Spitalwahl in der ganzen Schweiz. Das heisst, Herr und Frau Schweizer können in Zukunft frei wählen, wo sie sich ihren Blinddarm operieren lassen wollen, und bezahlen überall gleich viel dafür. Alles Massnahmen, die den Wettbewerb zwischen den Spitälern fördern sollen. Der Regierungsrat nimmt an, dass das kleine Spital Einsiedeln mit seinen sechzig Betten diesem Wettbewerbsdruck nicht standhalten kann. Da das Krankenhaus auch auf gut 41 Millionen Franken an Investitionen angewiesen wäre, befürchtet die Regierung wohl, das Geld in den Sand zu setzen. Obwohl der Kanton Schwyz die Fallpauschale schon seit sieben Jahren kennt und das Einsiedler Spital gut damit zurechtkommt, also durchaus wettbewerbsfähig zu sein scheint, wie der Verein Pro Spital Einsiedeln immer wieder betont.

Auch der Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) Schwyz unterstützt die Kampagne für das Spital. Annette Hug, Regionalsekretärin des Verbands, sieht die Betonung der Wettbewerbsfähigkeit aber nicht nur positiv: «Es wird häufig mit den günstigen Fallkosten für den Erhalt des Spitals argumentiert. Ein Kampf um niedrige Fallkosten schadet mittelfristig dem Personal. In den letzten Jahren gab es in allen drei Spitälern bereits eine enorme Effizienzsteigerung. Das heisst, die Leute haben für den gleichen Lohn mehr Arbeit geleistet. Manche von ihnen sind am Anschlag.» Die Leitung des Spitals verhandelt im Moment mit den Spitälern Lachen und Schwyz über eine erweiterte Kooperation. «Wir sind durchaus zu Konzessionen bereit», sagt Spitaldirektor Reto Jeger. «Wir verfolgen eine Variante, dass wir eine einzige Organisation mit drei Spitälern gründen. Dadurch liesse sich gerade im Administrativbereich viel einsparen.»

Verfehlte Steuerpolitik

Dass gespart werden muss, darüber scheint vom Regierungsrat über die Spitalleitung bis hin zu den Angestellten Konsens zu herrschen. Die SP-Kantonsrätin Karin Schwiter widerspricht: «Die Grundannahme dabei ist immer, dass der Kanton das Spital nicht zusätzlich finanziert, obwohl er das könnte. Diese Annahme stellen wir von der SP infrage. Wenn die Bevölkerung weiterhin drei Spitäler will, dann kostet das zwar etwas, aber es ist durchaus möglich.» Denn der Kanton Schwyz verfügt zurzeit über ein Eigenkapital von 562 Millionen Franken. Gleichzeitig hält er die Ausgaben für den Service public so klein wie möglich. Bis 2007 gab es keine Energieförderbeiträge, bis heute finanziert er keine Kulturräume und keine Kinderbetreuungseinrichtungen, mit der Begründung, dass dies keine Staatsaufgaben seien. «Wir bezahlen fast hundert Millionen Franken im nationalen Finanzausgleich und müssen es uns nun selbst vom Mund absparen», sagt Karin Schwiter. «Die neuste Sparrunde ist auch eine Konsequenz der verfehlten Steuerpolitik des Kantons.» Eine Einschätzung, die auch Alois Gmür teilt, der normalerweise nicht gerade als Verfechter eines starken Staates bekannt ist: «Im Kanton Schwyz herrscht stets die Angst, dass die guten Steuerzahler wegziehen, wenn andere Kantone ihre Steuersätze senken. Das ist der Steuerwettbewerb, der eben auch seine Probleme mit sich bringt. Ich war selbst gegen die Steuersenkungen der letzten Jahre, weil ich befürchtete, dass das auf uns zurückfällt. Genau das passiert jetzt. Wir hätten besser einen vernünftigen Steuerfuss und könnten uns dafür auch mal etwas leisten.»