Kommentar: Papandreou wagt die Demokratie
Verstört, sauer, dann empört reagierte man in Paris, Berlin, Brüssel auf die Ankündigung des griechischen Premierministers Georgios Papandreou, Europas neusten Griechenland-Rettungsplan den griechischen BürgerInnen zur Abstimmung vorzulegen. Nun steht alles auf der Kippe: die 130 Milliarden Euro an Hilfszahlungen, der Schuldenschnitt, die neue Rosskur, die Griechenland verpasst werden soll – vor allem aber Europas wirtschaftliche Stabilität.
Sieht man von Papandreous Absichten ab, dem es vor allem um seinen eigenen Kopf gehen mag, stellt sich auch eine sehr grundsätzliche Frage: In welcher Welt leben wir, in der die Ankündigung eines demokratischen Referendums einen ganzen Kontinent in Empörung versetzt – und den Dax in die Tiefe tauchen lässt? Es ist eine Welt, in der die Demokratie ihr Primat verloren hat – und sich darüber niemand zu sorgen scheint.
Ausgehöhlt wird die Demokratie von politischen Eliten und Konzernen, die den freien Markt propagieren, über die letzten drei Jahrzehnte die Märkte jedoch schrittweise zerstörten. Geblieben sind gigantische Finanzoligopole, deren Marktmacht so gross ist, dass denselben Eliten nun nichts anderes übrig bleibt, als die Kolosse ständig von neuem zu retten – weil deren Kollaps die gesamte Wirtschaft in den Abgrund zu reissen droht.
Ausgehöhlt wird die Demokratie aber auch durch eine Europäische Union, die in den letzten Jahrzehnten immer mehr politische Kompetenzen an sich riss, es jedoch verpasste, das EU-Parlament, als einzige direkte Vertreterin der europäischen BürgerInnen, als oberste politische Instanz zu etablieren. Nun bestimmen die politischen Eliten in Berlin und Paris, die in der EU das Sagen haben, selbstherrlich über das Schicksal der GriechInnen, ohne jegliche demokratische Legitimität. Bleiben die nationalen Parlamente und BürgerInnen, die Brüssel jedoch mit dem Drohfinger zum Spuren zwingt.
Im derzeitigen Ausnahmezustand ist keine Zeit für solche grundsätzlichen Fragen, mögen manche denken. Dieser Ausnahmezustand hält aber bereits seit drei Jahren an. Nicht zuletzt deshalb, weil genau diese Fragen niemand stellt.