Knatsch in der SVP: «Auf den Scheiterhaufen»

Nr. 47 –

SVP-Präsident Toni Brunner äusserte sich abschätzig über Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf und gerät damit wenige Tage vor der Ständeratswahl in die Kritik. Hält die SVP nach der Schlappe bei den Nationalratswahlen an ihrem harten Kurs fest?

Niemand weiss, was in Toni Brunners Kopf vorging, als er an einem Abend Mitte Oktober 2010 die Brasserie Chez Edy in Bern betrat. Dort verwickelten ihn zwei junge Männer in eine politische Diskussion. Brunner debattierte fröhlich und engagiert, es entwickelte sich ein Gespräch über die Offroader-Initiative der Grünen und die Ausschaffungsinitiative der SVP, aber auch über Rauchverbote und Toleranz. Schliesslich landete das Gespräch bei Eveline Widmer-Schlumpf, der 2007 gewählten und anschliessend aus der SVP ausgeschlossenen Bundesrätin. Dabei holte Brunner zum Schlag gegen Widmer-Schlumpf aus und sagte: «Die sollte man sowieso auf den Scheiterhaufen werfen.»

Diese Aussage machte Toni Brunner nicht etwa in der Hitze des Gefechts, zum Beispiel unmittelbar nach der Abwahl von Christoph Blocher, als einige SVP-ParlamentarierInnen wie geköpfte Hühner durch die Wandelhalle des Bundeshauses rannten und von Verrat, Verschwörung und Meuchelmord redeten. Bei Brunners Aussage handelt es sich auch nicht um einen Herrenwitz am Stammtisch in privatem Rahmen. Dass Eveline Widmer-Schlumpf wie eine Hexe oder eine Ketzerin auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden sollte, erzählte der Präsident der grössten Schweizer Partei drei Jahre nach der Wahl in einer Bar wildfremden Menschen laut vernehmlich. 

«Inakzeptabel»

Die WOZ hätte gerne gewusst, was Hans Grunder, der Präsident von Eveline Widmer-Schlumpfs Partei, zu Brunners abseitigem Kommentar über die BDP-Bundesrätin sagt. Doch Grunder gibt «im Moment keine Auskunft, und zwar allen Medien, weil wir im Moment in den internen Verhandlungen mit den anderen Bundesratsparteien sind». Mit der SVP-Spitze wird ein Gespräch allerdings nicht möglich sein, wenn man Toni Brunners Äusserungen glauben darf: Er führe derzeit mit allen Parteien Gespräche, sagte er am Montag an einem Podium in St. Gallen, nur mit einem Parteipräsidenten rede er nicht – «und das ist Herr Grunder».

Dafür spricht Grunders Parteikollege, der Bündner BDP-Nationalrat Hansjörg Hassler. Für ihn ist eine solche Aussage Brunners «menschenverachtend» und «inakzeptabel». Die Fraktionsführung hatte Hassler, damals noch SVP-Mitglied, und seine Bündner Kollegin Brigitta Gadient 2007 kurz vor den Bundesratswahlen aus parlamentarischen Kommissionen ausgeschlossen, weil sie als zu wenig linientreu galten. Hassler verglich die Zustände in der SVP damals mit einer «Diktatur».

Martin Landolt, den ehemaligen Vizepräsidenten der SVP Glarus und heutigen BDP-Nationalrat, erstaunt eine derartige Aussage zwar nicht, er findet sie aber «in höchstem Mass unanständig». Die Aussage zeuge von «falsch verstandener Hemdsärmeligkeit»: «Das ist nicht unbedingt das, was sich für einen Parteipräsidenten gehört.» 

Toni Brunner selber äussert sich nicht zum Vorfall. Er hat weder E-Mails, SMS noch Telefonanrufe beantwortet. Erst als ihn die WOZ am Rande einer Wahlkampfveranstaltung auf seine Aussage ansprach, sagte er: «Die WOZ hat jetzt wahrscheinlich Wahlkampf. Es erübrigt sich jeder weitere Kommentar.»

Warum ist der Vorfall in der Brasserie Chez Edy wichtig? Einerseits ist da die ehrliche Empörung eines Bürgers: Einer der beiden jungen Männer, die mit Toni Brunner ins Gespräch gekommen waren, sagt zur WOZ: «Ich dachte zuerst, ich sei gerade Zeuge eines grösseren Politskandals geworden. Später zweifelte ich aber daran und sagte mir: Wahrscheinlich reden die alle so. Trotzdem finde ich, dass eine so scharfe Bemerkung für einen Parteipräsidenten skandalös ist.»

Toni Brunner ist aber nicht bloss Parteipräsident, er kandidiert auch für den Ständerat. Am Wochenende entscheidet die Stimmbevölkerung des Kantons St. Gallen, wen sie die nächsten vier Jahre in die sogenannte «chambre de réfléxion» schicken will. Ständeratskandidat Brunner sprach nicht abschätzig über die Politik von Widmer-Schlumpf, er griff sie persönlich an – jenseits allen guten Geschmacks. Mit Reflexion hat das nichts zu tun. Was hat jemand wie er im Ständerat zu suchen?

Brunners Aussage zeigt, wie schlecht die SVP verlieren kann, wie tief das Trauma von Blochers Abwahl auch Jahre danach noch sitzt. Nach Widmer-Schlumpfs Wahl säuberten die SVP-Spitzenpolitiker ihre Partei: Die neue Bundesrätin sowie Bundesrat Samuel Schmid wurden aus der Fraktion ausgeschlossen, die SVP spaltete sich in eine linien- und blochertreue Fraktion sowie in eine neu gegründete BDP.

Bezeichnend für diese Bereinigung ist die Geschichte von Hansjörg Hassler. Seine Positionen kamen in der SVP nicht immer gut an, weil sie den ordnungspolitischen Vorstellungen der Partei zuwiderliefen, etwa beim Service public oder bei der Interessensvertretung der Randregionen. «Stimmte ich nicht im Sinn der Fraktionsspitze ab, liess mich diese das spüren. Ihre Vertreter sassen in der Bank hinter mir und setzten mich unter Druck mit Bemerkungen wie: ‹Das ist schön daneben, wie du gestimmt hast.›» Für ihn war die Abspaltung eine Befreiung, er schloss sich der BDP an: «Jetzt empfinde ich meine Parlamentsarbeit als sehr befriedigend.» Aber Hassler wirft nicht alle SVP-ParlamentarierInnen in einen Topf. Und mittlerweile habe sich der Umgang mit der SVP beruhigt, das bestätigt auch Martin Landolt, der erst seit 2009 im Parlament in Bern sitzt.

Automatischer Ausschluss

Wie absurd die Gehässigkeiten gegenüber Widmer-Schlumpf sind, zeigt das letzte Woche erschienene Buch des zurückgetretenen SP-Nationalrats Andrea Hämmerle, der bei der Wahl von Widmer-Schlumpf eine entscheidende Rolle spielte. Er beschreibt darin, dass Blocher ohnehin nicht wiedergewählt worden wäre, selbst wenn Widmer-Schlumpf die Wahl abgelehnt hätte. Die CVP hatte in einer Sitzung einstimmig beschlossen, dass sie in diesem Fall Urs Schwaller wählen würde. Mit den Stimmen der Ratslinken wäre dieser somit – als Plan B – Bundesrat geworden.

Die SVP grenzte sich in der Folge gegen aussen ab: 2008 sollten sich ihre BundesparlamentarierInnen per Unterschrift auf einen Oppositionskurs verpflichten. Das machten aber nicht alle mit. Es wäre ohnehin eine verfassungswidrige Disziplinierung gewesen: Die Bundesverfassung verbietet Instruktionen an Parlamentsmitglieder. Die SVP ergänzte allerdings ihre Parteistatuten, damit künftig nur noch der Fraktion genehme SVP-Mitglieder in den Bundesrat gewählt werden. Nimmt ein anderer Kandidat die Wahl an, hat das «automatisch» den Parteiausschluss zur Folge. Das schränkt die Wahlfreiheit der ganzen Bundesversammlung ein: Sie kann zwar wählen, wen sie will, aber ist die Gewählte der SVP nicht genehm, dann ist sie bei Wahlannahme keine SVP-Bundesrätin mehr – eine Zauberformel nach dem Diktat der Blocher-Partei.

Doch wie lange wird die aufgezwungene Einigkeit noch halten? Vor den Nationalratswahlen empfahl «Weltwoche»-Redaktor Peter Keller in einem Artikel gestandene Parteisoldaten wie Hans Fehr und Maximilian Reimann zur Abwahl – und wurde am Wahlsonntag selber SVP-Nationalrat in seiner Heimat Nidwalden. Sein Artikel sorgte parteiintern für Ärger. Reimann hätte Neo-Nationalrat Keller in der ersten Fraktionssitzung nach den Wahlen gerne darauf angesprochen. «Das war schon ein starkes Stück», sagt Reimann. Man könne doch die eigene Partei nicht so angreifen, «vor allem nicht, wenn man dafür das Amt eines Journalisten braucht – oder besser: missbraucht». Keller tauchte allerdings ausgerechnet bei der ersten Sitzung gar nicht auf – «aus gesundheitlichen Gründen», wie er sagt. Reimann wollte der WOZ «sicher nicht» verraten, was er Keller zu sagen habe, aber man könne davon ausgehen, «dass wir ihn schon noch drannehmen».

Bei den Wahlen Ende Oktober hat die SVP stark verloren. Fährt die SVP künftig weiter den gleichen harten Blocher-Kurs wie in den letzten Jahren? Es gibt Anzeichen dafür, dass Christoph Blocher nach dem Rücktritt von Caspar Baader Chef der Bundeshausfraktion werden könnte. Für SVP-Nationalrat Hans Fehr wäre dies «ein Akt der Logik». Doch nach der erneuten Schlappe bei den Ständeratswahlen in Bern, wo Adrian Amstutz die Wiederwahl in den Ständerat misslang, regt sich langsam Kritik am heutigen Kurs. Und: Sowohl Blocher als auch Brunner haben bei den Ständeratswahlen vom Wochenende in Zürich und St. Gallen einen schweren Stand. Sollten beide scheitern, wären die beiden starken Männer an der Spitze der SVP ein weiteres Mal entzaubert und eine Richtungsdebatte wohl unausweichlich.