Die Nationalbankaffäre: Waterloo statt Watergate
In den USA ist am Anfang dieser Wirtschaftskrise der Hypothekenmarkt wegen fauler Papiere implodiert. In der Schweiz erweisen sich derzeit Selbstgewissheiten wie das Bankgeheimnis als fauler Zauber. Die Fragen, die sich nach dem Rücktritt von Nationalbankchef Philipp Hildebrand dringend stellen: In was für einer Bankenrepublik leben wir eigentlich? Und wie kommen wir hier raus?
Die letzten Jahre und Tage im Zeitraffer: Eine Grossbank verspekuliert sich in den USA zuvorderst auf dem Immobilienmarkt. Mit kriminellen Methoden hilft sie vermögenden BürgerInnen bei der Steuerflucht. Im Herbst 2008 stellen die Nationalbank und die Regierung 68 Milliarden Franken zur Verfügung, um die taumelnde Bank per Notrecht zu retten. Im Frühling 2009 muss der Finanzminister, ein ehemaliger Mitarbeiter der Grossbank, Kundennamen an die USA liefern und das Bankgeheimnis lockern. Darauf will es die rechtspopulistische Partei als Nationalheiligtum in die Verfassung schreiben.
Eine gründliche Aufklärung der Vorgänge lehnt das Parlament ab, immerhin werden die Regeln für Banken etwas verschärft, mit Unterstützung der Nationalbank, geleitet von einem ehemaligen Hedgefondsmitarbeiter. Die Nationalbank versucht derweil, die Währung mit Deviseninterventionen abzuwerten – und gerät ins Visier der RechtspopulistInnen. Über die vergangenen Weihnachtstage erhalten in der Bankenrepublik die Töchter und Söhne aus gutem Haus ein ebensolches Haus geschenkt, weil von links eine Volksinitiative für eine Erbschaftssteuer lanciert wurde. Der Verwaltungsratspräsident der führenden Wirtschaftszeitung traut sich nicht mehr, in die USA zu reisen, weil ihm dort die Verhaftung droht. Zu Beginn des neuen Jahres muss der Nationalbankchef wegen einer Devisentransaktion auf seinem Konto zurücktreten.
Philipp Hildebrand musste zurücktreten, weil das Devisengeschäft, wie auch immer es abgelaufen ist, nicht mit der öffentlichen Erwartung an sein Amt vereinbar war. Im Gegensatz zu Marcel Ospel oder Hans-Rudolf Merz ist er immerhin zum richtigen Zeitpunkt abgetreten, von Christoph Blocher ganz zu schweigen.
Ausgerechnet die SVP hat das Bankgeheimnis für eine politische Kampagne gebrochen – das grösste Sicherheitsrisiko für Schweizer Banken sind künftig SVP-Mitglieder. Die Partei erscheint, dem Rachefeldzug von Blocher und seinen Lügen folgend, geradezu sektiererisch: VerschwörungstheoretikerInnen spielen in der SVP eine immer grössere Rolle. Die «Weltwoche» schliesslich hat ohne gesicherte Quellen publizistische Hetze betrieben – und damit dem Journalismus insgesamt geschadet. Waterloo statt Watergate.
Das Motiv von Blocher für den Angriff auf die Nationalbank bleibt unklar: Will er eine schwächere Bankenregulierung? Eine andere Währungspolitik? Oder die simple Destabilisierung? Wenn die Gewissheiten fallen, die Argumente fehlen, geht es wohl vor allem um eines: den absoluten Machtanspruch.
Die Auseinandersetzung zwischen Blocher und Hildebrand ist auch eine unter Reichen, zwischen einem Multimilliardär und einem Multimillionär. Sie handelt von Ferienhäusern und Gemälden. Gesprochen wird darüber in einer zunehmend ökonomisierten Sprache: Eine Beziehung erscheint als gemeinsames Konto, eine Tochter als Unterkonto, der Freund als Kundenberater. Konstant bleibt im Vergleich zu früher nur eine Rolle: die der «irrationalen Frau».
Ein Ausweg für die Bankenrepublik könnte darin liegen, wieder anders über Wirtschaft zu sprechen – indem nicht die Profite im Zentrum stehen, sondern die tägliche Arbeit, die von vielen als Stress empfunden wird. In diesem Sinn ist darauf hinzuweisen, dass die Nationalbank auch Arbeitsplätze sichern muss. Angesichts des noch immer starken Frankens droht der Verlust von Zehntausenden von Stellen. Als Nationalbankchef braucht es jetzt keinen vorgestrigen Monetaristen oder sogenannten Superbanker, sondern eine Person, die eine nachhaltige Wirtschaft im Auge hat – über das Land hinaus.