Katerina Seda: Anleitung zu einem besseren Leben
Mit utopischer Verve verfolgt die tschechische Künstlerin Katerina Seda ihr Ziel, Menschen zusammenzubringen und deren Lebensqualität zu erhöhen. Im Kunstmuseum Luzern sind Resultate ihrer Arbeit zu sehen.
Am Rand des Dorfs, dort, wo einst Felder lagen, hat der koreanische Konzern Hyundai 2009 eine riesige Fabrik eröffnet, um Autos für den europäischen Markt zu produzieren. Für die BewohnerInnen von Nosovice, ganz im Osten Tschechiens, bedeutete das einen gewaltigen Einschnitt in ihr Leben. Nicht wenige zogen es vor, den Ort zu verlassen, und jene, die geblieben sind, sehen sich täglich mit einem Fremdkörper konfrontiert, der ihr Leben sowohl sozial als auch räumlich massiv beeinträchtigt.
In dieser Situation entschloss sich die tschechische Künstlerin Katerina Seda einzugreifen, um das verlorene Gemeinschaftsgefühl im Dorf wiederherzustellen. Für ihr Projekt «No Light» hielt sie die BewohnerInnen an, sich vorzustellen, wie sich ihr Dorf vom abgesperrten Fabrikareal aus präsentiert. Die daraus resultierenden Zeichnungen liess sie anschliessend von den Frauen des Dorfs auf Tischtücher sticken, die in der Mitte ein Loch – Symbol für den ausgesperrten Bezirk – aufweisen.
Bis eine Lösung gefunden wird
Diese bestickten Tischtücher sind nun in der Ausstellung von Seda im Kunstmuseum Luzern – die erste der neuen Direktorin Fanni Fetzer – auf runden Tischen ausgelegt und bilden den Auftakt zu einem umfassenden Überblick über das bisherige Schaffen der 34-jährigen Künstlerin.
Der Ansatz von Seda ist in vielem mit der interventionistischen Kunstpraxis der neunziger Jahre vergleichbar. Im Unterschied zur radikalen Pioniergeneration verweigert sie sich der musealen Praxis indessen nicht: Während zum Beispiel die österreichische Künstlergruppe WochenKlausur 1994 die Zürcher Shedhalle lediglich als Operationsbasis nutzte, um eine Pension für drogenkonsumierende Frauen aufzubauen, präsentiert Seda Videodokumentationen ihrer Projekte sowie Objekte, die sie zusammen mit den Beteiligten geschaffen hat.
Mit dieser klaren Trennung von Projekt und Ausstellung begegnet sie offensiv einer Grundproblematik von Kunstprojekten, in denen nicht die Produktion von Kunstwerken, sondern die direkte Intervention in einen gesellschaftlichen Zusammenhang im Vordergrund steht. Wie Seda in einem Interview ausführt, erachtet sie die Ausstellung «als eine Art Bonus, nicht als Hauptziel eines Projekts». Ihr Anliegen ist es vielmehr, ins «richtige Leben» einzugreifen, das Gemeinschaftsgefühl einer sozialen Gruppe zu befördern oder Missstände zu beheben. Mit dieser Doppelstrategie scheint die Künstlerin gut zu fahren: Ihre Ausstellungsliste ist jedenfalls beeindruckend, unter anderem war sie 2007 an der Documenta 12 beteiligt, ein Jahr darauf an der 5. Berlin Biennale. In einem Punkt bleibt sie jedoch strikt: Ihre Projekte realisiert sie ausschliesslich auf eigene Initiative in ihrem angestammten Umfeld. Einladungen, anderswo aktiv zu werden, lehnte sie bisher ab. Die Möglichkeit, dass eines ihrer Projekte scheitert, schliesst die Künstlerin aus – so will sie ihre Zusammenarbeit mit den Menschen von Nosovice fortführen, bis eine Lösung des Problems gefunden ist.
Der synchronisierte Tagesablauf
Mit dem gleichen Engagement widmet sich Seda auch ihrem privaten Umfeld. Sie hat etwa ihre depressive Grossmutter, die auf jede Anregung mit Gleichgültigkeit reagierte, dazu animiert, das Sortiment des Haushaltswarengeschäfts zu zeichnen, in dem sie 35 Jahre tätig war. Bis zu ihrem Tod hat Jana Seda 521 Zeichnungen angefertigt. Als therapeutischer Versuch kann auch die Videoarbeit «Her Mistress’s Everything» (2007–2011) gesehen werden: Als der Schäferhund der Grossmutter deren Tod nicht verwinden kann und nachts immerfort heult und bellt, versucht die Familie, die tägliche Routine der Verstorbenen aufrechtzuerhalten, indem sie zum Beispiel den Fernseher oder das Radio einschaltet oder nachts das Licht brennen lässt.
Bereits während ihrer Ausbildung an der Kunstakademie Prag machte Seda die Regeln der Institution selbst zum Thema, um sie gleichzeitig ausser Kraft zu setzen: Sie setzte als Prüfungsausschuss ihre eigene Familie ein, um die Abschlussarbeiten ihrer KommilitonInnen zu diskutieren und zu bewerten («The Gray Commission», 2005). Die Videodokumentation dieser etwas anderen Expertenkommission reichte sie als ihre eigene Abschlussarbeit ein.
Noch im selben Jahr realisierte sie in Ponetovice das Projekt «There Is Nothing There». Weil die BewohnerInnen ihr Dorf als langweilig empfanden, verordnete sie ihnen einen synchronisierten Tagesablauf, der sich stark an ihrem Alltag orientierte: So mussten alle zum selben Zeitpunkt ihre Einkäufe tätigen, die Strasse wischen und sich abends zum gemeinsamen Bier treffen. Offenbar fand dieser Eingriff in die Privatsphäre trotz des rigiden Settings durchaus Anklang – wohl weil er ihnen Gelegenheit bot, sich über das Erlebte auszutauschen.
Interventionistische Projekte nutzen den Freiraum, den die Kunst bietet: Als autonome Disziplin in einer durchrationalisierten Welt schafft sie die Möglichkeit, das gesellschaftliche Regelwerk zu durchbrechen, den Alltag neu zu organisieren – kurzum: alternative Möglichkeiten zu denken und in die Tat umzusetzen. Die tschechische Künstlerin Katerina Seda setzt alles daran, dieses Potenzial der Kunst auszuschöpfen.
Katerina Seda: «Talk to the Sky ’cause the Ground Ain’t Listening» im Kunstmuseum Luzern, bis 17. Juni 2012. Zur Finissage findet eine Performance der Künstlerin mit Gästen aus Lisen-Brno statt. www.kunstmuseumluzern.ch