Dias & Riedweg im Kunstmuseum Luzern: Eine ganz andere Art von Zweifel

Nr. 16 –

In seinen «Kleinen Geschichten von Bescheidenheit und Zweifel» erzählt das brasilianisch-schweizerische Künstlerduo Mauricio Dias und Walter Riedweg von Menschen, die am Rand der Gesellschaft leben.

Es geschieht immer seltener, dass ein Ausstellungsbesuch zu einem beglückenden Erlebnis wird. Pompös oder banal, pseudointellektuell oder selbstverliebt, das sind einige der ärgerlichen Varianten der zeitgenössischen Kunst, die den Kunstbetrieb heute dominieren. Auch wenn man noch nicht ganz beim «Kunst hassen» – so der Titel des Buchs von Nicole Zepter über ihre «enttäuschte Liebe» – angelangt ist, es geschieht doch öfter, dass man eine Ausstellung mit einem schalen Gefühl verlässt und sich fragt, ob man seine ästhetischen Anregungen in Zukunft nicht anderswo suchen sollte.

Einladung zur Identifikation

Bei Dias & Riedweg, bestehend aus dem Brasilianer Mauricio Dias und dem aus Luzern stammenden Walter Riedweg, war ich im Vorfeld ziemlich optimistisch, auch wenn die wenigen Werke, die ich von ihnen kenne, nur noch schemenhaft präsent waren, etwa die Videoinstallation «Voracidad máxima» (maximale Gier, 2003), ausgestellt 2007 an der Documenta 12 in Kassel und nun auch in Luzern zu sehen. Für dieses Projekt haben die beiden Künstler Gespräche mit Sexarbeitern in Barcelona geführt, viele von ihnen mit Migrationshintergrund. Um ihre Anonymität zu wahren, tragen die auf einem Bett sitzenden und liegenden, mit einem weissen Bademantel bekleideten Protagonisten Gummimasken mit den Gesichtszügen von Dias und Riedweg; im Setting ist auch jeweils einer der beiden Künstler identisch gekleidet präsent, was ihre Nähe zur porträtierten Szene unterstreicht. Mit einer in der Ausstellung platzierten Matratze werden die BesucherInnen eingeladen, sich ebenfalls mit den Dargestellten zu identifizieren.

Menschen, die an den Rändern der Gesellschaft leben und damit auch Ausgrenzungen erfahren, sind in den Videoarbeiten des Künstlerduos sehr präsent: Prostituierte, Homosexuelle, Strassenkinder, jugendliche Strafgefangene oder psychisch Kranke. In «Corpo santo» (heiliger Körper) von 2012 haben Dias & Riedweg mit PatientInnen der Psychiatrischen Universitätsklinik in Rio de Janeiro eine Performance erarbeitet. In der Ausstellung sind die von den Künstlern entworfenen Kostüme der AkteurInnen zweifach präsent: zum einen im Original als skulpturale Gebilde, zum anderen in einem Video, wo wir die AkteurInnen beobachten können, wie sie sich die surrealen Kleidungsstücke überziehen. Diese Verwandlung erlaubt es ihnen, eine andere Identität anzunehmen und die ihnen zugewiesene Rolle als Kranke zu erweitern und zu transformieren.

Angestrengte Kontraste

Es sind also gesellschaftlich brisante, zeitgemässe Themen, mit denen sich Dias & Riedweg in ihrer Arbeit beschäftigen. Trotzdem vermag die in Luzern gezeigte Werkauswahl nicht zu überzeugen. Zu viele der Arbeiten schürfen lediglich an der Oberfläche, begnügen sich mit dem Zeigen der Problematik, ohne einen analytischen, künstlerisch reflektierten Zugriff zu entwickeln. Zwar wird gelegentlich versucht, mit (kunst)historischen Zitaten die Präsentation aufzuladen, doch nicht selten muss diese Absicht als missglückt bezeichnet werden.

So etwa in «Funk Staden», das die Tänze und Rituale der subkulturellen Funkszene von Rio de Janeiro porträtiert und diese mit den Erzählungen des deutschen Soldaten und Abenteurers Hans Staden von 1557 über die «wilden, nacketen, grimmigen Menschfresser-Leuthen» in der Neuen Welt konfrontiert. Stadens Buch als kolonialistisches Zeugnis ist interessant, die Gegenüberstellung aber wirkt angestrengt. Das gilt auch für die Installation «Malas para Marcel» (Koffer für Marcel) von 2006 mit zwölf offenen, auf Sockeln platzierten Köfferchen, in deren Deckel je ein Video zu sehen ist, in dem zwölf Personen das entsprechende Gepäckstück durch die Strassen Rios tragen. Als eine Hommage an Marcel Duchamps «Boîte-en-Valise» intendiert, wirkt der kunsthistorische Verweis aufgesetzt und prätentiös.

Die Spiegelung wird in der Ausstellung als zentrale Methode der Arbeiten von Dias & Riedweg angekündigt. Sehr wörtlich wird dies in «O espelho e a tarde» (der Spiegel und der Nachmittag) von 2011 umgesetzt: Wir sehen einen jungen Mann durch die Strassen und Gassen Rios wandern, ohne bestimmtes Ziel offenbar, einfach der Dämmerung entgegen. Unter dem Arm trägt er einen Spiegel, in dem sich die durchschrittenen Räume reflektieren. So einfach die Idee, so ambitiös die Inszenierung: Auf verschiedenen, sich teilweise überlagernden Screens gleichzeitig präsentiert, taucht mitten in einer Einstellung zuerst ganz klein, dann immer grösser werdend eine neue Szenerie auf, bis sie das vorangehende Bild zum Verschwinden bringt.

Hochtrabende Katalogtexte

Komplexität und Vielschichtigkeit – diese Versprechen lösen Dias & Riedweg nicht in den Arbeiten selbst, sondern lediglich auf der Ebene der Szenografie ein. Ganz überspielen lässt sich mit dieser Strategie die Dürftigkeit gewisser Werke nicht, auch nicht durch die hochtrabenden Katalogtexte, die fast zwanghaft auf angesagte Philosophen wie Jean-Luc Nancy zurückgreifen. Und so säen diese kleinen, bescheidenen Geschichten, die im Ausstellungstitel angekündigt werden, eine ganz andere Art von Zweifel als beabsichtigt.

Die Ausstellung von Mauricio Dias und Walter Riedweg, «Kleine Geschichten von Bescheidenheit und Zweifel», im Kunstmuseum Luzern dauert noch bis zum 22. Juni 2014. Der Ausstellungskatalog ist ab Juni erhältlich. www.kunstmuseumluzern.ch