Griechenlands Zukunft: Das Huhn im Hinterkopf
Dreissig Jahre lang hatte der Neoliberalismus Zeit, sich in unseren Hinterköpfen einzunisten. Nun sitzt er im Unbewussten fest und schaltet in entscheidenden Momenten das Bewusstsein aus. Kurz vor den Wahlen in Griechenland war ein solcher Moment.
Vier Jahre ist es her seit dem Finanzcrash 2008. Inzwischen kritisieren selbst MainstreamökonomInnen Europas Sparpolitik. Bürgerliche Medien wie die FAZ leisten sich in ihren Feuilletons Kapitalismusdebatten. Und regelmässig wird die britische Expremierministerin Margaret Thatcher zitiert, die sagte, dass es zur neoliberalen Doktrin «no alternative», keine Alternative, gebe. Eine Absurdität, schliesslich lebt die Demokratie von der Alternative.
Zurück in der Realpolitik behält jedoch das Unbewusste das Sagen. Brüssels Signal kurz vor Griechenlands Wahlen war unmissverständlich: Die konservative Nea Demokratia (ND) müsse gewinnen; ein Sieg der linken Syriza, die Athens Schulden infrage stellt, würde das Land aus dem Euro und den Kontinent ins Chaos katapultieren. Hinter der Warnung aus Brüssel stecken Interessen, zuvorderst diejenigen der Banken: Griechenlands Schulden sind deren Vermögen. Doch die europäischen Medien? Sie folgten ihrem Reflex: Die «Financial Times Deutschland» gab eine Wahlempfehlung zugunsten der ND heraus; das Schweizer Fernsehen kolportierte einmal mehr einseitig die Bedenken von Brüsseler Beamtinnen und von Bankanalysten.
Die Botschaft: «There is no alternative.»
Der Gastbeitrag eines Syriza-Beraters in der letzten WOZ zeigt: Die Forderungen des Parteienbündnisses entsprechen pragmatischer Sozialdemokratie: Das proeuropäische Bündnis hat sich – anders als oft behauptet – stets für den Verbleib im Euro ausgesprochen. Es verkündete lediglich, dass es die Sparauflagen, an die Brüssel seine Hilfskredite knüpft, neu aushandeln wolle, und stellte ein Schuldenmoratorium in Aussicht. Das Kernanliegen von Syriza ist richtig: Griechenlands Schuld, der ein entsprechendes Vermögen gegenübersteht, muss sinken – indem die Schulden teilweise gestrichen oder die Vermögen besteuert werden, statt die breite Bevölkerung bluten zu lassen.
Kaum eine Zeitung nahm ihre Kernaufgabe wahr und stellte den Szenarien aus Brüssel die Argumente von Syriza gegenüber. Hinterfragenden Journalismus hat man nach hinten ins Feuilleton verbannt. Auf den vorderen Seiten übernehmen die JournalistInnen unreflektiert die Verlautbarungen aus Brüssel. Verlautbarungen, die so gut zu jenen Ideen passen, die sich in ihren Hinterköpfen eingenistet haben.
Dort bleibt der Neoliberalismus unangefochten. Die Ideologie hindert viele Leute, in entscheidenden Momenten an die Alternativen zu glauben, von denen sie wissen, dass es sie gibt. Das erinnert an einen Witz, den der Philosoph Slavoj Zizek gerne erzählt: vom Mann, der glaubte, ein Körnchen zu sein, und nach gelungener Behandlung zurück in die Praxis stürzt, weil draussen angeblich ein Huhn auf ihn lauere. Ja, er sei mittlerweile überzeugt, kein Korn zu sein. Doch ob das Huhn dies wisse?!
Fatal ist: Ein Sieg der Syriza hätte Griechenland wohl tatsächlich aus dem Euro geschleudert. Jedoch nur wegen der Angstkampagne aus Brüssel. Sie wirkte, denn wenn Brüssel die Zahlungen einstellte, müsste Griechenland eine eigene Währung einführen, um seinen Verpflichtungen nachzukommen. Athen wäre jedoch wohl bereits vorher einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung zum Opfer gefallen: Wegen der geschürten Angst begannen bereits vor der Wahl viele GriechInnen, Euros von ihren Konten abzuheben. Einen richtigen Bankenrun hätte das Land nicht überstanden.
Mit dem Druck hat Brüssel Griechenlands Demokratie teilweise ausser Kraft gesetzt, nur um keiner Partei gegenüberzustehen, die seine Politik infrage stellt. Für Syriza ist ihr zweiter Platz allerdings ein Glücksfall. Griechenlands Demokratie wurde nicht erst gestern untergraben: An der Regierung hätte auch sie die Sparmassnahmen umsetzen müssen – und ihre WählerInnen vergrault. Als stärkste Opposition wird sie Einfluss besitzen, ohne für die Umsetzung der Sparauflagen geradestehen zu müssen.