Debatte Kulturpolitik (6): Netzwerke statt Kunstheroen!

Nr. 28 –

Mit dem neuen Kulturförderungsgesetz werden die nationalen Subventionen für unabhängige Kunsträume gestrichen. Mit fatalen Folgen – Freiräume mit alternativen künstlerischen Strategien gehen verloren.

Dröhnende Baumaschinen, klaffende Löcher und aufgerissene Hausfassaden empfingen die BesucherInnen diesen Juni auf dem Messeareal anlässlich der Art Basel und der zeitgleich stattfindenden eidgenössischen Kunstpreisausstellung. Überdimensionierten Skulpturen gleich ragten die Baggerarme in den Himmel.

Auch die Schweizer Kunst- und Kulturförderung ist derzeit eine Baustelle: Im Rahmen des seit Januar 2012 gültigen Kulturförderungsgesetzes wird einiges abgerissen und viel Staub aufgewirbelt. Die Neukonzeptionierung des Eidgenössischen Preises für bildende Kunst und die ersatzlose Streichung der Subventionen für unabhängige Kunsträume (siehe WOZ Nr. 19/12) sind die unmittelbarsten Konsequenzen. Insbesondere das Ausbleiben der vom Bundesamt für Kultur bis anhin für «innovative Kunsträume» vergebenen 220 000  Franken wird nicht ohne Folgen bleiben – für BetreiberInnen von selbstorganisierten Räumen sind sie mitunter existenziell. Zugleich werden mit der neuen Gesetzgebung aber auch drängende Fragen nach der grundsätzlichen Funktion der Kunstförderung und den daran geknüpften Vorstellungen und gesellschaftlichen Funktionszuweisungen von und für Kunst und Kunstschaffende aufgeworfen.

Monetäres und symbolisches Kapital

Die Kunstwelt kann nach dem Soziologen Pierre Bourdieu als ein künstlerisches Feld gedacht werden, in dem AkteurInnen um die Akkumulation von verschiedenen Kapitalien buhlen. Monetäre und symbolische Wertigkeiten von Kunst werden dabei ebenso ausgehandelt wie Deutungs- und Definitionshoheiten. In dieser «Produktion des Werts der Werke» (Bourdieu) spielen Institutionen und AkteurInnen der Förderung eine wichtige Rolle: In der Schweiz sind dies neben verschiedenen Strategien der indirekten Förderung vor allem die staatlichen Instrumente der Individualförderung.

Auch die kulturelle Praxis der Preis- und Stipendienvergabe beruht auf der Vorstellung der Kunst als eines Wettbewerbs, aus dem ein Gewinner, eine Gewinnerin hervorgehen muss. Künstlerisches Schaffen wird dabei nicht nur mit monetärem, sondern auch mit symbolischem Kapital ausgezeichnet. Die Auswirkungen derartiger Unterstützungsstrategien auf die Entwicklung und Karriere von Kunstschaffenden lassen sich kaum bemessen. Zweifellos aber fördern solche Mechanismen der Ein- und Ausschliessung spezifische Inhalte, Positionen und Strategien – und sie evozieren ein bestimmtes KünstlerInnenbild.

Das Eidgenössische Kunststipendium und die Beschickungen der Kunstbiennalen sind die wichtigsten nationalstaatlichen Förderungsinstrumente. Als solche sind sie Kristallisationspunkte verschiedenster Ansprüche und stehen von jeher im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Einst zur «Förderung und Hebung der schweizerischen Kunst» (Bundesbeschluss von 1887) konzipiert, gründete das Kunststipendium (seit 1899) auf dem Kriterium der sogenannten «künstlerischen Qualität» – dessen weder messbaren noch festgeschriebenen Inhalte werden von den AkteurInnen im Feld der Kunst stets neu ausgehandelt. Bei den Beschickungen der Biennalen (seit 1920) waren zudem insbesondere nationalstaatliche Repräsentationsfunktionen und politische Komponenten zentral.

Seit den 1950er-Jahren kann die Entwicklung der staatlichen Kunstförderung als ein Prozess der Formation und Pluralisierung beschrieben werden: Die kulturpolitischen Strukturen der öffentlichen und privaten Förderung erfuhren eine stetige Professionalisierung und Institutionalisierung. Dies wiederum spiegelte sich auch in den künstlerischen Inhalten. Die zunehmende Präsenz (privat-)wirtschaftlicher AkteurInnen sowie die Etablierung eines Markts für zeitgenössische Kunst führten auch in der staatlichen Kunstförderung zu einem verstärkten Bemühen um Sichtbarkeit und Markttauglichkeit. Seit den neunziger Jahren schlägt sich diese Tendenz immer deutlicher nieder: Das Eidgenössische Kunststipendium mutierte 1994 zum Kunstpreis und wird nun zeitgleich mit der Art Basel vergeben; seit 2002 werden die Preise zudem international verständlich als Swiss Art Awards verliehen.

Ähnliches lässt sich bei der staatlichen Subvention von Kunstorten feststellen: Die bereits in den siebziger Jahren geforderte Unterstützung von unabhängigen Ausstellungsräumen wurde vom Bund in den achtziger und neunziger Jahren eingelöst, 2000 als «Jahressubventionen an unabhängige Kunsträume» institutionalisiert und von 2009 bis 2011 als «Preis für Kunsträume» weitergeführt. Seit 2009 vergibt der Bund zudem zusammen mit der Julius-Bär-Stiftung den mit 40 000  Franken dotierten Swiss Exhibition Award, der die «herausragendste Ausstellung des Jahres» prämieren soll – als Public Private Partnership wird er die Umbauten der Kunstförderung überstehen.

Lose Netzwerke von AkteurInnen

Individualförderung, prestigeträchtige Awards, Streichung der Subventionen an unabhängige Kunsträume – all dies zusammen mündet letztlich in einer nationalstaatlichen «Weihung» herausragender künstlerischer Positionen: «Leuchttürme», die mit medialer Aufmerksamkeit und beträchtlichem ökonomischem und symbolischem Kapital aufgeladen werden. Daran gekoppelt ist das spezifische Künstlerbild des singulären, ja genialen und heroischen Kunstschaffenden, der als autonomer «Unternehmer seiner selbst» agiert und als Winner aus der neoliberalen Wettbewerbsgesellschaft hervorgeht. In dieser Funktion ist der Kunstschaffende Repräsentationsträger und idealtypische Projektionsfläche für nationalstaatliche Sendungen – das in ihn investierte Kapital scheint auf den grosszügigen Förderer zurück. Die damit verbundenen künstlerischen Strategien sind zeitlich klar determiniert, zielgerichtet und produktfokussiert – sie orientieren sich an Marktchancen und kommerzieller Verwertbarkeit.

Eine staatliche Kulturpolitik hingegen, die neben der Individualförderung dezidiert auf die Unterstützung autonomer, nicht kommerzieller Strukturen setzt, bekennt sich zu einer Pluralisierung der Kunstbegriffe und deren Inhalte. Sie ermöglicht ein nicht zwingend produkt- oder zielgerichtetes Schaffen, das sich einer anderen, langsameren oder auch schnelleren Zeitlichkeit bedient. In den selbstorganisierten, oft kollaborativen Strukturen unabhängiger Kunstorte entstehen andere und neue künstlerische und kuratorische Strategien, es werden eigene Formen von Diskurs und Vermittlung erzeugt. Unabhängige Kunstorte schaffen, gerade weil sie nicht zwingend ortsgebunden sind, ein loses Netzwerk von AkteurInnen, das die Abhängigkeiten aufbrechen kann, die mit dem Konzept des postmodernen Ausstellungskünstlers verbunden sind.

Eine solche Vernetzung ist dringender denn je: Derzeit organisieren sich verschiedene unabhängige Kunstorte, um gemeinsam gegen die aktuelle Kunstförderungspolitik zu protestieren. Mit der Charta 2016 wollen sie Öffentlichkeit herstellen und eine kulturpolitische Diskussion anregen. Wirksam werden dabei gerade jene kulturellen und künstlerischen Freiräume, die so gerne zitiert und gefordert werden. Es ist an der Zeit, dass sich die staatliche Kulturpolitik zu ihnen bekennt.

Charta 2016, der Protest der kleinen Kunsträume: www.charta2016.blogspot.ch

Gioia Dal Molin

An der Universität Zürich hat Gioia Dal Molin (31) Geschichte und Kunstgeschichte studiert. Im Rahmen ihrer Dissertation beschäftigt sie sich mit der öffentlichen und der privaten Kunstförderung in der Schweiz. Daneben ist sie Mitinitiantin des Zürcher Ausstellungs- und Gesprächsformats Le Foyer.

Kultur in der Diskussion

Dies ist nach den Beiträgen von Dorothea Strauss, Peter Schweiger, Ruth Schweikert, Andrea Thal und Schauplatz International der sechste Teil der kulturpolitischen Serie in der WOZ – angestossen auch durch das von Pro-Helvetia-Direktor Pius Knüsel mitverfasste Buch «Der Kulturinfarkt». Fortsetzung folgt.