«Der Kulturinfarkt»: Spektakel statt Kultur
Prompte Entrüstung, druckreifes Aufheulen und kultivierter Alarm: Die Strategie der deutschen Kulturwirtschaftsprofessoren Dieter Haselbach, Armin Klein, Stephan Opitz und des Schweizer Pro-Helvetia-Direktors Pius Knüsel ist aufgegangen. Grandiose Aufmerksamkeit und unzählige Kommentare, bevor das von ihnen geschriebene Buch «Der Kulturinfarkt» überhaupt erschienen ist.
«Von allem zu viel und überall das Gleiche»: Die Wurzel des kulturellen Übels, das die vier Kulturmanager diagnostizieren, haben sie im in den sechziger Jahren vom deutschen Bundeskanzler Ludwig Erhard ausgerufenen «Wohlstand für alle» ausfindig gemacht. Das daraus hervorgegangene sozialdemokratische Konzept «Kultur für alle» hat sich laut Verfassern inzwischen in sein Gegenteil verkehrt – weil es «vom Angebot und nicht von der Nachfrage ausgeht» und einer «elitären Vision der Gestaltung des Kollektiven entspringt». Erleben wir nun also tatsächlich die letzten Zuckungen eines «vordemokratischen Modells aus der Zeit der aufgeklärten Aristokratie», in dem es nicht darum geht, «die Bedürfnisse des mündigen Bürgers zu befriedigen, sondern ihn ästhetisch zu erziehen»?
Das grösste Übel sehen die Autoren also nicht in der grotesken Aufblähung der Kulturverwaltung. Sondern im kulturellen Überangebot. Das Sortiment soll daher jenen neuen Bedürfnissen angepasst werden, die durch «Einwanderung, globalen Austausch und Medienrevolutionen» entstanden sind: für Laienkultur etwa oder «multikulturell» ausgerichtete Bildung. Das Geld dafür soll durch die Schliessung der Hälfte aller Kulturhäuser bereitgestellt werden.
Was wie eine aufgewärmte Umverteilungsforderung der Achtzigerbewegung klingen könnte, entlarvt sich alsbald als reine Kulturtechnokratie: In simpel gestrickter Logik machen die Autoren den Umkehrschluss, dass überall, wo ein Überangebot besteht, der Fokus auf die Nachfrage gelegt werden soll. Damit übertragen sie die Gesetze aus der Konsumwirtschaft auf die Kultur. Als läge der Sinn von Subventionen nicht auch darin, gesellschaftlich notwendige Dienste (Forschung, Bildung, Kunst) derart zu gewährleisten, dass sie von privaten Einflussnahmen verschont bleiben und nicht nur für Bessergestellte bezahlbar sind; als gäbe es nicht auch Tätigkeiten, die sich nicht direkt an einer Nachfrage messen lassen, da sie nicht auf sofortige Bedürfnisbefriedigung angelegt sind.
In dieser Logik wollen die vier Männer einen Teil dieser Gelder auch dafür nutzen, Kunsthochschulen in «permanente Produktionszentren» umzuwandeln und die StudentInnen so früh wie möglich dem Gesetz der Nachfrage auszuliefern. Schöne Aussichten: Produziert wird nur noch, was möglichst vielen möglichst augenblicklich gefällt. Es braucht aber auch eine Kultur, die sich nicht den Zwängen der technologischen und ökonomischen Entwicklungen unterwirft, sondern ihr etwas entgegenhält. Mit ihrem Vorschlag, einen weiteren Teil der frei werdenden Gelder für den «Aufbau einer Kulturindustrie» zu verwenden, lassen die Autoren die Kulturpolitik vollends zur Wirtschaftsförderung verkommen.
Es liege ihnen daran, schreiben sie, die Kultur «zu befreien – von den vermeintlichen Schützern, die sie umarmen bis zur Erstickung». Ihr vermeintlich antielitärer Angriff auf die «Hochkultur» entpuppt sich als neoliberaler Befreiungsschlag – auf Kosten der künstlerischen Freiheit. Das zeigt sich gerade auch in der Politik der Pro Helvetia, die Knüsel seit zehn Jahren dirigiert. Etwa im elitären Ansatz, «Volkskultur» zu unterstützen, indem man sie zur Hochkultur verklärt – oder in einer Theaterpolitik, in der zunehmend nicht künstlerische Kriterien entscheiden, sondern nur noch das Spektakel zählt.
Das Pamphlet kommt vielen recht – in einer Zeit, in der schon im Sozial-, Gesundheits- und Bildungsbereich furiose Streichkonzerte aufgeführt werden. Dagegen gilt: KünstlerInnen an die Macht! Wenn schon Umverteilung, dann von den Verwaltungs- und Direktionsetagen in die Werkstätten und Proberäume. Statt TechnokratInnen in der Kultur braucht es künstlerisch denkende Menschen – auch in der Politik.