Feministische Theologie: Aushalten, was andere nicht mehr aushalten

Nr. 28 –

Seit zwanzig Jahren ist die katholische Theologin Gertrud Würmli Mitglied der IG Feministische Theologinnen. Sie ist aber auch Pfarreibeauftragte in Zürich und kennt die Ungleichbehandlung von Mann und Frau im Katholizismus aus dem Alltag.

Christian Constantin, Bauunternehmer in Martigny: «Dann gehen wir bis zum bitteren Ende.»

Während des Gesprächs klingelt es mehrmals, aber nur einmal verlässt Gertrud Würmli (49) das Sitzungszimmer der Pfarrei St. Felix und Regula Zürich. Eine junge Mutter steht unten an der Tür und möchte einen Tauftermin für ihr Kind vereinbaren. «Das sind die schönen Momente hier, das kann ich nicht aufschieben.»

Gertrud Würmli ist studierte katholische Theologin und amtet seit zwölf Jahren als «Pfarreibeauftragte», so der offizielle Terminus, an der Hardstrasse 76. Faktisch leitet sie die Gemeinde, aber weil im römisch-katholischen Kirchenbild – oder zumindest im Bistum Chur, zu dem der Kanton Zürich gehört – die Leitung der Gemeinde einem Priester vorbehalten ist, kann sie den Leitungstitel nicht tragen. Denn zum Priester geweiht werden in der katholischen Kirche noch immer nur Männer. Diese als Kompromiss getarnte Ungleichbehandlung gehört zu den Dingen, die Gertrud Würmli aushalten muss, und sie hält sie aus. Loyal, aber nicht schweigend.

Die Kraft der Gleichwertigkeit

Seit über zwanzig Jahren, seit kurz nach deren Gründung, ist Gertrud Würmli Mitglied der IG Feministische Theologinnen Schweiz. Fünf Jahre lang war sie im Vorstand, bis sie im Frühling 2011 diese Funktion aufgab zugunsten ihrer Pfarreitätigkeit, einer Hundertprozentstelle. Aber dem statutarisch festgehaltenen Zweck der IG, «die Interessen der feministischen Theologie in den Kirchen und in der Gesellschaft öffentlich zu vertreten», bleibt sie verbunden.

Und warum das so ist, das erklärt sie wiederum mit der Religion: «Gemäss Jesu Lehre ist keine Zweiklassengesellschaft vorgesehen – nicht zwischen Arm und Reich, aber auch nicht zwischen Priester und Laie», und in dieser Gleichwertigkeit von allen stecke eine «beinahe subversiv-kommunistische» Kraft. «Das berührt mich sehr. Diese Kraft weht, wo sie will.»

Der Widerspruch dieser Aussage zur hierarchischen, männerzentrierten Struktur der Papstkirche ist offenbar, und Gertrud Würmli hat erlebt, dass sie von den Kolleginnen in der IG gefragt wurde, ob sie nicht die Konfession wechseln wolle. Sie wollte nicht. Sie war die einzige Katholikin im Vorstand unter lauter Reformierten, doch schon deshalb blieb sie ihrer Stammkirche treu. Und weil «ich in meinem Leben immer auch auf Katholiken getroffen bin, die ähnlich denken. Es ist auch meine Kirche, und ich bin in ihr mit meinen Gedanken nicht allein.»

Der Geist der Offenheit

Sie schrieb sich 1986 an der theologischen Fakultät in Luzern ein, studierte unter anderem bei Marga Bührig, einer Pionierin der feministischen Theologie. Eine prägende Erfahrung. «Mir wurde bewusst, dass der Generation vor mir Kampf und Tränen abverlangt wurden, bis diese theologische Strömung akademisch anerkannt und vermittelbar wurde.» Während der Studienzeit wohnte sie in einem Missionshaus im nahen Immensee, «sehr liberal und befreiungstheologisch angehaucht», und an diesen erlebten Geist der Offenheit erinnert sie sich, wenn sie über ihre Kirche nachdenkt.

Wie wertvoll ihr dieser Geist ist, hat sie in ihrem Auslandsjahr an der päpstlichen Universität in Rom erfahren. «Ich war froh, danach wieder zurückzukehren. Aber mir half der Einblick in die klerikale Kultur, um zu verstehen und auszuhalten, was andere nicht mehr aushalten würden» – die anhaltende Degradierung als Frau in der Kirchenstruktur, das grössere Gewicht, das dem Wort eines männlichen Priesters zufällt.

Wie geht sie damit um? Zuerst einmal mit Gelassenheit: «Eine gewisse Frustrationstoleranz gehört zu jeder Arbeitsstelle», sagt Gertrud Würmli. Vor allem aber thematisiert sie die kirchlichen Geschlechterbilder ganz praxisnah und unideologisch in ihrem Arbeitsalltag. Wenn im Religionsunterricht die Kinder ihre traditionellen, patriarchal geprägten Gottesvorstellungen vom alten Mann mit Bart herantragen, will Würmli sie ihnen nicht ausreden. «Aber ich bringe ihnen andere Gottesvorstellungen näher: Gott als Quelle des Lebens, als Licht, als Schutz, wie ein geflügelter Adler.» Dabei müsse sie gar nichts hineininterpretieren, «das steht alles schon in der Bibel».