Fumoir: Wir Müden

Nr. 38 –

Esther Banz über Diagnosen und dergleichen.

Liebe Natalie Rickli

Zuallererst: alles Gute und viel Ruhe! Viel Mut noch dazu! Mut zum Nichtstun, zum Faulenzen. Das hören Sie vermutlich nicht gerne. Ging mir genauso. Nichtstun ist einfach ätzend, und wer sagt von sich schon gerne: «Ich bin jetzt mal faul.» Ich hatte auch schon mal so etwas wie Sie jetzt.

Ihr Parteikollege und -freund Christoph Mörgeli meinte ja mal in einer «Weltwoche»-Kolumne, Burn-out, das sei gleichzusetzen mit «null Bock». Er wird bestimmt eine Erklärung haben für diese Behauptung und vielleicht sagen, dass er es nie auf Sie beziehen würde. Und trotzdem schrieb er damals hemdsärmelig: «Wissenschaft heisst oft, Selbstverständliches in einen unzugänglichen Fachjargon zu übersetzen. (…) ‹Null Bock› wird zu ‹Burnout›. (…) Solche Führungskräfte liebt man: Wenn es drauf ankommt, bleibt man in der warmen Stube und lässt die anderen den Karren aus dem Dreck ziehen.»

Nie würde er das über Sie gesagt haben wollen, völlig klar. Aber Christoph Mörgeli hat jetzt bekanntlich andere Probleme.

Wie auch immer, Sie stimmten dem Medizinhistoriker bestimmt zu, als es Ihnen noch gut ging. Damals, als Sie meinten, keine Grenzen zu kennen. Dieses auch noch stemmen zu können und jenes sowieso. Nicht der Rede wert. Lustig, dass es da Gemeinsamkeiten zwischen Ihnen und Leuten wie mir gibt. Erschöpfung und Depression kennen keine Parteizugehörigkeit. Weshalb ausgerechnet Sie ausgebrannt sind und nicht Bastien Girod oder Doris Fiala – es ist fies, ja, und Sie werden vielleicht nie wissen, weshalb es ausgerechnet Sie getroffen hat.

So geht es ganz vielen Menschen mit Depressionen oder chronischen Schmerzen: Sie wissen nicht, weshalb es sie getroffen hat und nicht die Kollegin, die so viel weniger stabil und kräftig zu sein scheint. Und es bringt auch nichts, sich dazu Gedanken zu machen, denn die IV-Rente ist jetzt ohnehin gestrichen. Und bereits steht die nächste IV-Revision an, die 6b – da soll nun sogar bei Menschen, die mit einer schweren Behinderung zur Welt gekommen sind, gespart werden.

Liebe Natalie Rickli, ausgebrannt zu sein, das wünscht man niemandem. Es klingt nur für jene harmlos, die es selber noch nie erlebt haben.

Ich würde mich nicht mal in den strubsten Fantasien mit Ihnen vergleichen wollen, aber immerhin teilen wir eine ähnliche Erfahrung. Deshalb masse ich mir an, Ihnen ein paar Tipps auf den Weg zu geben.

1. Vergessen Sie den linken Lehrer, der Sie so kalt und unsolidarisch werden liess. Ich hatte auch mal einen linken Charakterlump als Chef. Er hiess Jürg, und man musste auf der Hut sein, um seinetwegen nicht selber zum Lump zu werden. Aber das macht nicht glücklich. Also vergessen Sie diesen Spiesser doch einfach und werden Sie grossherzig und fröhlich.

2. Machen Sie es besser als Christoph Mörgeli: Genesen Sie auch im Herzen.

3. Hören Sie sich Platten von folgenden Schweizer KünstlerInnen an: Stahlberger, Hora Band, Nadja Zela, Fiona Daniel, Züri West, Jolly and the Flytrap – und von diesen KünstlerInnen, die keine mir bekannten, aber vielleicht doch irgendwelche Schweizer Wurzeln haben: Bonnie «Prince» Billy, PJ Harvey, Manu Chao, Wolfgang Amadeus Mozart, Attwenger, Jochen Distelmeyer.

4. Freuen Sie sich über asphaltfreie Wanderwege, guten Käse, Ehrlichkeit, Qualität.

5. Wechseln Sie die Partei.

Und werden Sie bald wieder gesund!

Herzlich,

Ihre Esther Banz

Esther Banz ist Journalistin in Zürich.