Auf allen Kanälen: «Pop Politics»
Beredtes Schweigen: Worüber Barack Obama und Bruce Springsteen in der papierenen Vintage-Ausgabe ihrer Podcasts nicht reden.
«Renegades» – zwei, die ausscheren: Unter diesem Titel haben Barack Obama und Bruce Springsteen ihren populären Podcast in Buchform gebracht. Er erscheint weltweit zeitgleich in dreizehn Sprachen und wird wie programmiert zum Bestseller. Schauen wir zunächst mal, worüber der Boss des Stadionrock und der – habituell ja so angenehm unbossige – Exboss im Weissen Haus nicht reden: Working Poor, also die Tatsache, dass viele Leute auch mit zwei Jobs kaum über die Runden kommen im «promised land», Angehörige einer erodierenden Arbeiter:innenklasse, von denen viele 2016 Trump gewählt haben. Guantánamo? Opioidkrise? Die Drohnenkriege, die Obama forciert hatte? Fehlanzeige.
Aber klar, warum sollten die beiden Buddys über die dunklen Seiten der Präsidentschaft reden, in einem Coffee-Table-Buch, das als Doppelhagiografie angelegt ist? Zwei Alphamänner versichern sich gegenseitig ihrer Grösse, handgeschriebene Songtexte, Vintage-Stil. Sie machen ihr Amerika «great again», der Name von Obamas Nachfolger fällt auf 320 Seiten ganze fünf Mal. Als wäre Trump ein kleiner Betriebsunfall gewesen, den man mit ein bisschen gutem Willen ungeschehen machen kann. Und mit ein paar guten Songs.
Musik als heilende Kraft
Wie kein anderes Präsidentenpaar haben Barack und Michelle Obama die Popmusik für ihre Symbolpolitik instrumentalisiert, und Symbolpolitik ist hier nicht abwertend gemeint, denn jede Politik ist Symbolpolitik, auch und gerade wenn sie behauptet, dieses oder jenes sei ja «nur Symbolpolitik». Das gilt auch für Identitätspolitik, auf die sich Springsteen gut versteht. «Die Musik», sagt er, und man beachte die Reihenfolge, «trug auch wesentlich zum Entstehen meiner Identität als Mann, als Amerikaner, als Mensch bei.» Pathosformeln dieses Kalibers gibts reichlich. Ausführlich gewürdigt werden die Konzerte im Weissen Haus, wo sich Bruce und Barack kennengelernt haben. Musik als heilende, verbindende Kraft in einem gespaltenen Land, das war das Leitmotiv der Themenabende: eine «Motown Night», eine Country-Nacht, «Fiesta Latina», Broadwaysongs, Gospel und ein Memorial mit Musik der Bürgerrechtsbewegung.
«Ich lebe in einem Haus, das von Schwarzen Sklaven erbaut wurde.» Dieser Satz war der Hit bei den Wahlkampfreden von Michelle Obama, und wenn die Schwarze First Lady in diesem Weissen Haus für eine Modestrecke posierte, dann war das Symbol- und Identitätspolitik erster Güte: Schaut her, jetzt sitze ich an dem Tisch, von dem ihr glaubtet, er sei nur für euch reserviert und ich sei für immer diejenige, die euch das Essen serviert – und von euch geschwängert wird. Symbol- und identitätspolitisch wertvoll ist auch, wenn Schwarze Stars im Weissen Haus ein- und ausgehen: Kendrick Lamar, Janelle Monáe oder das andere «First Black Couple» dieser Jahre, Beyoncé und Jay – vom Dealer zum Milliardär – Z. Wenn Aretha Franklin zur Inauguration ihre Stimme erhebt – wer sang noch mal bei Trump?
Der Nachfolger, den es nie gab
Aaaaaaaaaber, und auch davon reden sie nicht in diesem Buch: Zur Überwindung der Spaltung, zur Befriedung des Landes, haben diese «pop politics» nicht beigetragen – und es wäre idiotisch, das zu erwarten. Ebenso idiotisch wäre es, den Obamas die Schuld an Trump zu geben, von wegen sie hätten ja ein bisschen bescheidener auftreten können, weniger glamourös. So ist denn 2016 der erste Weisse Präsident ins Weisse Haus eingezogen, um mit Ta-Nehisi Coates zu sprechen. In seinem Obama-Bilanz-Buch «We Were Eight Years in Power» bezeichnet der Schwarze Starautor Trump als «First White President», weil er als erster Präsident mit einer explizit weissen, sprich revanchistischen, reaktionären Agenda angetreten war, während Obamas Vorgänger selbstverständlich weisse Männer waren, die Weisse-Männer-Dinge tun, aber nicht rückgängig zu machen haben, was ein Schwarzes Präsidentenpaar angerichtet hat.
Im Übrigen war Trump auch der erste explizit maskulinistische, antifeministische Präsident, der die erste Frau im Weissen Haus verhindert hat – with a little help from the Wahl(un)recht. Das Schweigen der Buddys zu diesen Themen ist laut, und so gilt für das Buch, was einst Jello Biafra von den Dead Kennedys (sic!) als amerikanische Krankheit diagnostizierte: «Nostalgia for an age that never existed» – die Sehnsucht nach einer Vergangenheit, die es nie gab.